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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur Iustizreform

ratung in gewissem Grade Gemeingut aller, die vielseitige Erörterung gewährt
eine größere Sicherheit für die gründliche und erschöpfende Beurteilung sowie
für die Richtigkeit der Entscheidung. Der Wert und die Vorzüge der Kollegial¬
verfassung sind denn auch bei der Beratung des Gerichtsverfassungsgesetzes fast
allgemein anerkannt worden. Deshalb möchte ich die in der bisherigen stärkern
Besetzung der höhern Gerichte liegende größere Gewähr für die Richtigkeit der
Entscheidung nicht vermindert sehen. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß es zum
Erlaß eines Versäumnis- oder Anerkenntnisurteils nicht einer Zahl von drei
oder fünf Richtern bedürfte, aber der für den Erlaß solcher Urteile notwendige
Zeitaufwand ist erfahrungsmäßig zu geringfügig, als daß ihm ein Einfluß auf
die Art der Besetzung der Gerichte eingeräumt werden könnte. Ob aber eine
Revision sichtlich unbegründet ist -- ein Fall, auf den Vierhaus zur Vermin¬
derung des Apparats von sieben Richtern besonders zurückkommt --, entscheidet
sich erst mit der Abstimmung des letzten Mitglieds. Denn wenn auch nur
selten, so kommt es doch vor, daß durch das Votum des letzten Mitglieds alle
übrigen Mitglieder umgestimmt werden. Die Besetzung mit fünf Mitgliedern
halte ich zur gründlichen kollegialen Beratung für die geeignetste, beim Land¬
gerichte jedoch aus praktischen Rücksichten nicht für durchführbar. Wenn ich
gleichwohl vorhin eine Erweiterung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit befürwortet
habe, so geschah es nur in der Erwägung, daß mit vorhandnen Mitteln und mit
andern schon hervorgehobnen praktischen Rücksichten gerechnet werden muß.

3. Die gegenwärtig als Regel vorgeschriebne Zeugenvernehmung vor dem
Prozeßgericht muß bei der tatsächlichen Durchführung der Vorschrift zu einem
geschäftlichen Bankrott der höhern Gerichte führen. Der hieraus für den Ge¬
schäftsbetrieb entstehende Nachteil steht bei der Unzuverlüssigkeit des Zeugen¬
beweises überhaupt in keinem Verhältnis zum Werte der unmittelbaren Beweis¬
erhebung vor dem Prozeßgericht.

4. Nichts ist für die Autorität der Gerichte nachteiliger als ein Widerspruch
zwischen einem verurteilenden Straferkenntnis und einem gegenteiligen Zivilurteile.
Deshalb ist nach dem Vorbilde des Paragraphen 268 der österreichischen Zivil-
Prozeßordnung eine Vorschrift am Platze, wonach der Richter für die Frage des
Beweises und der Zurechnung einer strafbaren Handlung an den Inhalt eines
rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichts gebunden ist.

5. Um der Gefahr einer frivolen Prozeßführung möglichst entgegenzutreten,
empfiehlt sich eine Bestimmung wie die des Paragraphen 408 der öster¬
reichischen Zivilprozeßordnung, wonach das Gericht die unterliegende Partei, die
offenbar mutwillig den Prozeß geführt oder verschleppt hat, auf Antrag der
siegenden Partei zur Leistung eines entsprechenden Entschüdigungsbetrags nach
freiem Ermessen verurteilen kann.

6. Von dem Standpunkt aus, daß die obsiegende Partei die Vermutung
des Rechts für sich und damit mehr Anspruch auf Rechtsschutz hat als die
unterliegende, dürfte im Interesse einer schleunigen Beendigung des Prozesses


Grenzboten IV 1906 25
Zur Iustizreform

ratung in gewissem Grade Gemeingut aller, die vielseitige Erörterung gewährt
eine größere Sicherheit für die gründliche und erschöpfende Beurteilung sowie
für die Richtigkeit der Entscheidung. Der Wert und die Vorzüge der Kollegial¬
verfassung sind denn auch bei der Beratung des Gerichtsverfassungsgesetzes fast
allgemein anerkannt worden. Deshalb möchte ich die in der bisherigen stärkern
Besetzung der höhern Gerichte liegende größere Gewähr für die Richtigkeit der
Entscheidung nicht vermindert sehen. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß es zum
Erlaß eines Versäumnis- oder Anerkenntnisurteils nicht einer Zahl von drei
oder fünf Richtern bedürfte, aber der für den Erlaß solcher Urteile notwendige
Zeitaufwand ist erfahrungsmäßig zu geringfügig, als daß ihm ein Einfluß auf
die Art der Besetzung der Gerichte eingeräumt werden könnte. Ob aber eine
Revision sichtlich unbegründet ist — ein Fall, auf den Vierhaus zur Vermin¬
derung des Apparats von sieben Richtern besonders zurückkommt —, entscheidet
sich erst mit der Abstimmung des letzten Mitglieds. Denn wenn auch nur
selten, so kommt es doch vor, daß durch das Votum des letzten Mitglieds alle
übrigen Mitglieder umgestimmt werden. Die Besetzung mit fünf Mitgliedern
halte ich zur gründlichen kollegialen Beratung für die geeignetste, beim Land¬
gerichte jedoch aus praktischen Rücksichten nicht für durchführbar. Wenn ich
gleichwohl vorhin eine Erweiterung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit befürwortet
habe, so geschah es nur in der Erwägung, daß mit vorhandnen Mitteln und mit
andern schon hervorgehobnen praktischen Rücksichten gerechnet werden muß.

3. Die gegenwärtig als Regel vorgeschriebne Zeugenvernehmung vor dem
Prozeßgericht muß bei der tatsächlichen Durchführung der Vorschrift zu einem
geschäftlichen Bankrott der höhern Gerichte führen. Der hieraus für den Ge¬
schäftsbetrieb entstehende Nachteil steht bei der Unzuverlüssigkeit des Zeugen¬
beweises überhaupt in keinem Verhältnis zum Werte der unmittelbaren Beweis¬
erhebung vor dem Prozeßgericht.

4. Nichts ist für die Autorität der Gerichte nachteiliger als ein Widerspruch
zwischen einem verurteilenden Straferkenntnis und einem gegenteiligen Zivilurteile.
Deshalb ist nach dem Vorbilde des Paragraphen 268 der österreichischen Zivil-
Prozeßordnung eine Vorschrift am Platze, wonach der Richter für die Frage des
Beweises und der Zurechnung einer strafbaren Handlung an den Inhalt eines
rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichts gebunden ist.

5. Um der Gefahr einer frivolen Prozeßführung möglichst entgegenzutreten,
empfiehlt sich eine Bestimmung wie die des Paragraphen 408 der öster¬
reichischen Zivilprozeßordnung, wonach das Gericht die unterliegende Partei, die
offenbar mutwillig den Prozeß geführt oder verschleppt hat, auf Antrag der
siegenden Partei zur Leistung eines entsprechenden Entschüdigungsbetrags nach
freiem Ermessen verurteilen kann.

6. Von dem Standpunkt aus, daß die obsiegende Partei die Vermutung
des Rechts für sich und damit mehr Anspruch auf Rechtsschutz hat als die
unterliegende, dürfte im Interesse einer schleunigen Beendigung des Prozesses


Grenzboten IV 1906 25
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[0201] Zur Iustizreform ratung in gewissem Grade Gemeingut aller, die vielseitige Erörterung gewährt eine größere Sicherheit für die gründliche und erschöpfende Beurteilung sowie für die Richtigkeit der Entscheidung. Der Wert und die Vorzüge der Kollegial¬ verfassung sind denn auch bei der Beratung des Gerichtsverfassungsgesetzes fast allgemein anerkannt worden. Deshalb möchte ich die in der bisherigen stärkern Besetzung der höhern Gerichte liegende größere Gewähr für die Richtigkeit der Entscheidung nicht vermindert sehen. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß es zum Erlaß eines Versäumnis- oder Anerkenntnisurteils nicht einer Zahl von drei oder fünf Richtern bedürfte, aber der für den Erlaß solcher Urteile notwendige Zeitaufwand ist erfahrungsmäßig zu geringfügig, als daß ihm ein Einfluß auf die Art der Besetzung der Gerichte eingeräumt werden könnte. Ob aber eine Revision sichtlich unbegründet ist — ein Fall, auf den Vierhaus zur Vermin¬ derung des Apparats von sieben Richtern besonders zurückkommt —, entscheidet sich erst mit der Abstimmung des letzten Mitglieds. Denn wenn auch nur selten, so kommt es doch vor, daß durch das Votum des letzten Mitglieds alle übrigen Mitglieder umgestimmt werden. Die Besetzung mit fünf Mitgliedern halte ich zur gründlichen kollegialen Beratung für die geeignetste, beim Land¬ gerichte jedoch aus praktischen Rücksichten nicht für durchführbar. Wenn ich gleichwohl vorhin eine Erweiterung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit befürwortet habe, so geschah es nur in der Erwägung, daß mit vorhandnen Mitteln und mit andern schon hervorgehobnen praktischen Rücksichten gerechnet werden muß. 3. Die gegenwärtig als Regel vorgeschriebne Zeugenvernehmung vor dem Prozeßgericht muß bei der tatsächlichen Durchführung der Vorschrift zu einem geschäftlichen Bankrott der höhern Gerichte führen. Der hieraus für den Ge¬ schäftsbetrieb entstehende Nachteil steht bei der Unzuverlüssigkeit des Zeugen¬ beweises überhaupt in keinem Verhältnis zum Werte der unmittelbaren Beweis¬ erhebung vor dem Prozeßgericht. 4. Nichts ist für die Autorität der Gerichte nachteiliger als ein Widerspruch zwischen einem verurteilenden Straferkenntnis und einem gegenteiligen Zivilurteile. Deshalb ist nach dem Vorbilde des Paragraphen 268 der österreichischen Zivil- Prozeßordnung eine Vorschrift am Platze, wonach der Richter für die Frage des Beweises und der Zurechnung einer strafbaren Handlung an den Inhalt eines rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichts gebunden ist. 5. Um der Gefahr einer frivolen Prozeßführung möglichst entgegenzutreten, empfiehlt sich eine Bestimmung wie die des Paragraphen 408 der öster¬ reichischen Zivilprozeßordnung, wonach das Gericht die unterliegende Partei, die offenbar mutwillig den Prozeß geführt oder verschleppt hat, auf Antrag der siegenden Partei zur Leistung eines entsprechenden Entschüdigungsbetrags nach freiem Ermessen verurteilen kann. 6. Von dem Standpunkt aus, daß die obsiegende Partei die Vermutung des Rechts für sich und damit mehr Anspruch auf Rechtsschutz hat als die unterliegende, dürfte im Interesse einer schleunigen Beendigung des Prozesses Grenzboten IV 1906 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/201>, abgerufen am 23.07.2024.