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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur Iustizreform

will mir nach dem Vorgange der Gesetze betreffend die Gewerbe- und die Kauf¬
mannsgerichte eine -- nach dem Werte des Beschwerdegegenstandes zu be¬
rechnende -- Berufungssnmme von 200 bis 300 Mark, gegen die der Landgerichte
eine solche von 500 Mark angemessen erscheinen.

Gegen Zwischenentscheidungen im Laufe des Verfahrens, wie zum Beispiel
gegen die Ernennung von Sachverständigen, dürfte den Parteien, abgesehen von
der Ablehnung des Richters und etwa von der Aussetzung des Verfahrens auf
lange Zeit, ein Rechtsmittel nicht einzuräumen sein. Denn in den Sachen, in denen
die Berufung gegen das wichtigere Endurteil unzulässig wäre, müßte es wider¬
sinnig erscheinen, gegen eine minder wichtige Zwischenentscheidung ein Rechtsmittel
zuzulassen. In den der Berufung zugänglichen Sachen aber kann eine Beschwerde
über eine Zwischenentscheidung, sofern es nach dem Endurteil hierauf überhaupt noch
ankommt, noch in der Berufungsinstanz geltend gemacht werden (vgl. 0. ä. or. vio.
Art. 451). Die Anfechtung eines Urteils wegen örtlicher Unzuständigkeit des
Gerichts dürfte dem Beklagten überhaupt zu versagen, und im Falle der Un-
zustündigkeitserklärung wegen örtlicher Unzuständigkeit dürfte auf Antrag des
Klägers der Rechtsstreit vor das zuständige deutsche Gericht durch Beschluß in
bindender Weise zu verweisen sein. Bei der Gleichheit der Gerichte und des
Verfahrens hat diese Zuständigkeitsfrage nicht mehr so große Bedeutung, daß
ihretwegen ein langer Instanzenzug eröffnet und das materielle Recht dem
formellen hintangesetzt werden müßte.

Die beiden Vorschläge bieten den Gerichtseingesessenen den Vorteil prompter
und billiger Justiz ; sie erhöhen die Bedeutung und das Ansehen der Amtsgerichte
und entlasten in bedeutendem Maße die höhern Gerichte von der Menge kleiner
Sachen, die des großen Richtcranfwandes nicht wert sind. Würde mit der Er¬
höhung der Zuständigkeit auch noch der kleine Gehaltsunterschied zwischen dem
Oberlandesgerichtsrat und dem Amtsgerichtsrat ausgeglichen, so würde der Drang
der Amtsrichter nach den höhern Gerichten immer mehr aufhören. Der Amtsrichter
würde wieder seßhafter, mit der Bevölkerung verwachsen und immer mehr Ver¬
trauensmann seines Bezirks werden. Wenn infolge der Erweiterung der amtsgericht¬
lichen Zuständigkeit einzelne kleinere Landgerichte nicht mehr existenzfähig bleiben
sollten, so würde dieser doch nur vereinzelt eintretenden Folge gegenüber dem
Vorteile des großen Ganzen und im Hinblick auf das hochentwickelte Verkehrs¬
wesen der Gegenwart keine große Bedeutung beizumessen sein. Dem Mangel
ließe sich übrigens da, wo hierzu ein besondres Bedürfnis vorhanden wäre,
durch eine detachierte Zivil- und Strafkammer abhelfen.

Im übrigen möchte ich an der Organisation und der Art der Besetzung
der Gerichte keine wesentliche Änderung vorgenommen wissen. Unsre Gerichts¬
organisation ist nun einmal historisch gegeben. Das Volk hat sich daran ge¬
wöhnt und damit vertraut gemacht. Sie stimmt im wesentlichen mit der der
Nachbarstaaten, namentlich Österreichs, überein. Sachliche Grüude zu einer
Änderung scheinen mir auch nicht vorzuliegen. Wenn Adickes in seiner Schrift


Zur Iustizreform

will mir nach dem Vorgange der Gesetze betreffend die Gewerbe- und die Kauf¬
mannsgerichte eine — nach dem Werte des Beschwerdegegenstandes zu be¬
rechnende — Berufungssnmme von 200 bis 300 Mark, gegen die der Landgerichte
eine solche von 500 Mark angemessen erscheinen.

Gegen Zwischenentscheidungen im Laufe des Verfahrens, wie zum Beispiel
gegen die Ernennung von Sachverständigen, dürfte den Parteien, abgesehen von
der Ablehnung des Richters und etwa von der Aussetzung des Verfahrens auf
lange Zeit, ein Rechtsmittel nicht einzuräumen sein. Denn in den Sachen, in denen
die Berufung gegen das wichtigere Endurteil unzulässig wäre, müßte es wider¬
sinnig erscheinen, gegen eine minder wichtige Zwischenentscheidung ein Rechtsmittel
zuzulassen. In den der Berufung zugänglichen Sachen aber kann eine Beschwerde
über eine Zwischenentscheidung, sofern es nach dem Endurteil hierauf überhaupt noch
ankommt, noch in der Berufungsinstanz geltend gemacht werden (vgl. 0. ä. or. vio.
Art. 451). Die Anfechtung eines Urteils wegen örtlicher Unzuständigkeit des
Gerichts dürfte dem Beklagten überhaupt zu versagen, und im Falle der Un-
zustündigkeitserklärung wegen örtlicher Unzuständigkeit dürfte auf Antrag des
Klägers der Rechtsstreit vor das zuständige deutsche Gericht durch Beschluß in
bindender Weise zu verweisen sein. Bei der Gleichheit der Gerichte und des
Verfahrens hat diese Zuständigkeitsfrage nicht mehr so große Bedeutung, daß
ihretwegen ein langer Instanzenzug eröffnet und das materielle Recht dem
formellen hintangesetzt werden müßte.

Die beiden Vorschläge bieten den Gerichtseingesessenen den Vorteil prompter
und billiger Justiz ; sie erhöhen die Bedeutung und das Ansehen der Amtsgerichte
und entlasten in bedeutendem Maße die höhern Gerichte von der Menge kleiner
Sachen, die des großen Richtcranfwandes nicht wert sind. Würde mit der Er¬
höhung der Zuständigkeit auch noch der kleine Gehaltsunterschied zwischen dem
Oberlandesgerichtsrat und dem Amtsgerichtsrat ausgeglichen, so würde der Drang
der Amtsrichter nach den höhern Gerichten immer mehr aufhören. Der Amtsrichter
würde wieder seßhafter, mit der Bevölkerung verwachsen und immer mehr Ver¬
trauensmann seines Bezirks werden. Wenn infolge der Erweiterung der amtsgericht¬
lichen Zuständigkeit einzelne kleinere Landgerichte nicht mehr existenzfähig bleiben
sollten, so würde dieser doch nur vereinzelt eintretenden Folge gegenüber dem
Vorteile des großen Ganzen und im Hinblick auf das hochentwickelte Verkehrs¬
wesen der Gegenwart keine große Bedeutung beizumessen sein. Dem Mangel
ließe sich übrigens da, wo hierzu ein besondres Bedürfnis vorhanden wäre,
durch eine detachierte Zivil- und Strafkammer abhelfen.

Im übrigen möchte ich an der Organisation und der Art der Besetzung
der Gerichte keine wesentliche Änderung vorgenommen wissen. Unsre Gerichts¬
organisation ist nun einmal historisch gegeben. Das Volk hat sich daran ge¬
wöhnt und damit vertraut gemacht. Sie stimmt im wesentlichen mit der der
Nachbarstaaten, namentlich Österreichs, überein. Sachliche Grüude zu einer
Änderung scheinen mir auch nicht vorzuliegen. Wenn Adickes in seiner Schrift


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[0199] Zur Iustizreform will mir nach dem Vorgange der Gesetze betreffend die Gewerbe- und die Kauf¬ mannsgerichte eine — nach dem Werte des Beschwerdegegenstandes zu be¬ rechnende — Berufungssnmme von 200 bis 300 Mark, gegen die der Landgerichte eine solche von 500 Mark angemessen erscheinen. Gegen Zwischenentscheidungen im Laufe des Verfahrens, wie zum Beispiel gegen die Ernennung von Sachverständigen, dürfte den Parteien, abgesehen von der Ablehnung des Richters und etwa von der Aussetzung des Verfahrens auf lange Zeit, ein Rechtsmittel nicht einzuräumen sein. Denn in den Sachen, in denen die Berufung gegen das wichtigere Endurteil unzulässig wäre, müßte es wider¬ sinnig erscheinen, gegen eine minder wichtige Zwischenentscheidung ein Rechtsmittel zuzulassen. In den der Berufung zugänglichen Sachen aber kann eine Beschwerde über eine Zwischenentscheidung, sofern es nach dem Endurteil hierauf überhaupt noch ankommt, noch in der Berufungsinstanz geltend gemacht werden (vgl. 0. ä. or. vio. Art. 451). Die Anfechtung eines Urteils wegen örtlicher Unzuständigkeit des Gerichts dürfte dem Beklagten überhaupt zu versagen, und im Falle der Un- zustündigkeitserklärung wegen örtlicher Unzuständigkeit dürfte auf Antrag des Klägers der Rechtsstreit vor das zuständige deutsche Gericht durch Beschluß in bindender Weise zu verweisen sein. Bei der Gleichheit der Gerichte und des Verfahrens hat diese Zuständigkeitsfrage nicht mehr so große Bedeutung, daß ihretwegen ein langer Instanzenzug eröffnet und das materielle Recht dem formellen hintangesetzt werden müßte. Die beiden Vorschläge bieten den Gerichtseingesessenen den Vorteil prompter und billiger Justiz ; sie erhöhen die Bedeutung und das Ansehen der Amtsgerichte und entlasten in bedeutendem Maße die höhern Gerichte von der Menge kleiner Sachen, die des großen Richtcranfwandes nicht wert sind. Würde mit der Er¬ höhung der Zuständigkeit auch noch der kleine Gehaltsunterschied zwischen dem Oberlandesgerichtsrat und dem Amtsgerichtsrat ausgeglichen, so würde der Drang der Amtsrichter nach den höhern Gerichten immer mehr aufhören. Der Amtsrichter würde wieder seßhafter, mit der Bevölkerung verwachsen und immer mehr Ver¬ trauensmann seines Bezirks werden. Wenn infolge der Erweiterung der amtsgericht¬ lichen Zuständigkeit einzelne kleinere Landgerichte nicht mehr existenzfähig bleiben sollten, so würde dieser doch nur vereinzelt eintretenden Folge gegenüber dem Vorteile des großen Ganzen und im Hinblick auf das hochentwickelte Verkehrs¬ wesen der Gegenwart keine große Bedeutung beizumessen sein. Dem Mangel ließe sich übrigens da, wo hierzu ein besondres Bedürfnis vorhanden wäre, durch eine detachierte Zivil- und Strafkammer abhelfen. Im übrigen möchte ich an der Organisation und der Art der Besetzung der Gerichte keine wesentliche Änderung vorgenommen wissen. Unsre Gerichts¬ organisation ist nun einmal historisch gegeben. Das Volk hat sich daran ge¬ wöhnt und damit vertraut gemacht. Sie stimmt im wesentlichen mit der der Nachbarstaaten, namentlich Österreichs, überein. Sachliche Grüude zu einer Änderung scheinen mir auch nicht vorzuliegen. Wenn Adickes in seiner Schrift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/199>, abgerufen am 23.07.2024.