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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Das preußische Vffizierkorps von ^806 im Lichte neuer Forschungen

Wozu NUN noch der Cornet Graf Bruh! kam, der als Ordonanz-Offizier der
Gensd'armes gerade im Hauptquartier gegenwärtig war." Es kam zu dem
Gefecht bei Prenzlau, zu einer Unterredung zwischen Hohenlohe und Murat,
und unwahre Angaben des Franzosen über die Stellung der französischen
Korps und ein unrichtiger Rapport eines preußischen Offiziers nahmen auch
den Mutigsten, auch Marwitz, der noch zuletzt zu einem kühnen Angriff geraten
hatte, alle Hoffnung. "Der Verfasser gesteht, daß er von nun an nichts mehr
hoffte, an nichts mehr Theil genommen, und nichts mehr zur Stellung des
Ganzen versucht hat. Die allgemeine Lahmheit und Mattigkeit, die schon so
lange auf alle Geister drückte, steckte auch ihn an. Dazu trug vielleicht mit
bei, daß er auf einem, durch 24 stündiges Herumschicken ganz ermüdeten Pferde
saß, nachdem er die seinigen in Boitzenburg verloren hatte. Hätte es noch
fortgekonnt, so hätte er sich besser umgesehen und wäre inne geworden, daß
alles, was man ihm sagte, Irrthum und Lügen waren." Während der Unter¬
handlungen stieg hinter einer Anhöhe eine mächtige Dampfkugel auf. Später
erfuhr man, daß es der Pulverdampf eines auffliegenden Pulverkastens war.
Den preußischen Offizieren, die sich eingeschlossen wähnten, erschien die Dampf¬
masse wie ein Signal, und ein Franzose hatte die Geistesgegenwart, sie so zu
deuten: ^.d! VoilZ, Is si^im! an Naröodal Loute, ani nous annonos, ^u'it sse
g,rrlv6 8ur Votrs onsraw, se pu'it Vous g, ooux6 rotrsitö! Dieses lähmte
den Preußen die Entschlußkraft vollends: "Nun, dachten wir, wenn der Soult
so nahe steht, können wir ihm auch gar nicht entkommen! Und da man so
hörte, die Offiziere sollten Pässe bekommen, um hingehen zu können wohin sie
wollten, so unterblieb unser Wegreiten und wir nahmen uns vor, sogleich
nachher zum König zu gehen, um uns auswechseln zu lassen. Um die nemliche
Zeit ritt der Capitain Tippelskirch vom Generalstaabe und der General-
Chirurgus Görke in einem kleinen Trab immer hinter uns fort. Sie kamen
glücklich und unaufgehalten nach Stettin."

Marwitz, der später seinen Namen mit einem der frühesten Erfolge der
Befreiungskriege, dem Gefecht bei Hagelsberg, geschmückt hat, hatte sich bei
Jena und auf dem Zuge nach Prenzlau als tapfrer Offizier bewährt. Am
Ende lähmte ihn das Übermaß der Mühen und machte ihn der kontagiösen
"Lahmheit und Mattigkeit", die im Heere herrschte, zugänglich. Die Negiments-
tribunale und die Untersuchungskommission konnten über das Verhalten der
Offiziere in diesem Punkte natürlich nur von Fall zu Fall entscheiden. Wie
die ganze Untersuchung wurden auch die sich auf diesen Punkt beziehenden
Verhöre und Nachforschungen mit der größten Sorgfalt geführt. Es ent¬
spannen sich Korrespondenzen über einzelne Fälle, und es ist bei diesem Ver¬
fahren, das in alle Seelenregungen der zu beurteilenden Offiziere eindrang,
nicht verwunderlich, daß allein das Kriegsarchiv des Großen Generalstabs
606 Aktenbände der Jmmediatuntersuchungskommission aufbewahrt, die bis zu
je 700 Blättern stark sind.


Das preußische Vffizierkorps von ^806 im Lichte neuer Forschungen

Wozu NUN noch der Cornet Graf Bruh! kam, der als Ordonanz-Offizier der
Gensd'armes gerade im Hauptquartier gegenwärtig war." Es kam zu dem
Gefecht bei Prenzlau, zu einer Unterredung zwischen Hohenlohe und Murat,
und unwahre Angaben des Franzosen über die Stellung der französischen
Korps und ein unrichtiger Rapport eines preußischen Offiziers nahmen auch
den Mutigsten, auch Marwitz, der noch zuletzt zu einem kühnen Angriff geraten
hatte, alle Hoffnung. „Der Verfasser gesteht, daß er von nun an nichts mehr
hoffte, an nichts mehr Theil genommen, und nichts mehr zur Stellung des
Ganzen versucht hat. Die allgemeine Lahmheit und Mattigkeit, die schon so
lange auf alle Geister drückte, steckte auch ihn an. Dazu trug vielleicht mit
bei, daß er auf einem, durch 24 stündiges Herumschicken ganz ermüdeten Pferde
saß, nachdem er die seinigen in Boitzenburg verloren hatte. Hätte es noch
fortgekonnt, so hätte er sich besser umgesehen und wäre inne geworden, daß
alles, was man ihm sagte, Irrthum und Lügen waren." Während der Unter¬
handlungen stieg hinter einer Anhöhe eine mächtige Dampfkugel auf. Später
erfuhr man, daß es der Pulverdampf eines auffliegenden Pulverkastens war.
Den preußischen Offizieren, die sich eingeschlossen wähnten, erschien die Dampf¬
masse wie ein Signal, und ein Franzose hatte die Geistesgegenwart, sie so zu
deuten: ^.d! VoilZ, Is si^im! an Naröodal Loute, ani nous annonos, ^u'it sse
g,rrlv6 8ur Votrs onsraw, se pu'it Vous g, ooux6 rotrsitö! Dieses lähmte
den Preußen die Entschlußkraft vollends: „Nun, dachten wir, wenn der Soult
so nahe steht, können wir ihm auch gar nicht entkommen! Und da man so
hörte, die Offiziere sollten Pässe bekommen, um hingehen zu können wohin sie
wollten, so unterblieb unser Wegreiten und wir nahmen uns vor, sogleich
nachher zum König zu gehen, um uns auswechseln zu lassen. Um die nemliche
Zeit ritt der Capitain Tippelskirch vom Generalstaabe und der General-
Chirurgus Görke in einem kleinen Trab immer hinter uns fort. Sie kamen
glücklich und unaufgehalten nach Stettin."

Marwitz, der später seinen Namen mit einem der frühesten Erfolge der
Befreiungskriege, dem Gefecht bei Hagelsberg, geschmückt hat, hatte sich bei
Jena und auf dem Zuge nach Prenzlau als tapfrer Offizier bewährt. Am
Ende lähmte ihn das Übermaß der Mühen und machte ihn der kontagiösen
„Lahmheit und Mattigkeit", die im Heere herrschte, zugänglich. Die Negiments-
tribunale und die Untersuchungskommission konnten über das Verhalten der
Offiziere in diesem Punkte natürlich nur von Fall zu Fall entscheiden. Wie
die ganze Untersuchung wurden auch die sich auf diesen Punkt beziehenden
Verhöre und Nachforschungen mit der größten Sorgfalt geführt. Es ent¬
spannen sich Korrespondenzen über einzelne Fälle, und es ist bei diesem Ver¬
fahren, das in alle Seelenregungen der zu beurteilenden Offiziere eindrang,
nicht verwunderlich, daß allein das Kriegsarchiv des Großen Generalstabs
606 Aktenbände der Jmmediatuntersuchungskommission aufbewahrt, die bis zu
je 700 Blättern stark sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/195>, abgerufen am 23.07.2024.