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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Tiflis

Den Prospekt, der übrigens in seiner Verlängerung in die berühmte gru¬
sinische Heerstraße über den Kasbek übergeht, zieren außer einer Reihe von
Geschäftshäusern mit ganz guten Auslagen mehrere öffentliche Gebäude, Zwei
davon erwecken unser besondres Interesse. Das Kaukasische Museum, die Schöpfung
eines Danzigers, des oben genannten Geheimrath Radde, gibt, mit viel Liebe
zusammengestellt, in den in ihm vereinigten Gegenständen aus allen Gebieten
der reichen Natur des kaukasischen Landes, den Erzeugnissen uralter und neuerer
Kultur, den Darstellungen der Wohnungen und der Volkstypen der verschiednen
Stämme ein in seiner gedrängten Fülle doch noch übersichtliches Bild kaukasischen
Lebens. Das neben der Hauptwache liegende kriegshistorische Museum vereinigt
in packenden Gemälden die kriegerischen Ereignisse während der langen Jahre
der Eroberung des Kaukasus. Es ist eine Nuhmeshalle für Sieger und Be¬
siegte, ein Tempel, worin sich beide die Hand reichen sollten zu gegenseitiger
Anerkennung kriegerischer Tüchtigkeit, zu aufrichtiger Versöhnung und darauf
aufgebauter Friedenstätigkeit. Sind es kolonisatorisches Ungeschick, Mißbräuche der
herrschenden Regierungsform oder kriegerische Neigungen, unausgeglichne Rassen-
gegensütze, die das schöne, reiche Land nicht zur Ruhe kommen lassen, oder ver¬
einigt sich alles dieses zu einem so unerwünschten Resultat? Dann freilich sollte
die Nuhmeshalle ihre Pforten schließen. Fast schien es, als ob man eine Ver¬
größerung der Spannung durch den Anblick früherer Taten vermeiden wollte,
denn nur zögernd wurde uns die sonst weit geöffnete Pforte aufgetan.

Mit dem Rückblick in die letzte Vergangenheit nahmen wir Abschied von
Tiflis. Bei feurigem Kachetiner und einem echt russischen Mahle wurde im Hotel
die flüchtige Bekanntschaft mit einem in Tiflis lebenden liebenswürdigen Deutschen
und dem Kustos des Kaukasischen Museums, Herrn Dr. S., vertieft und die Vor¬
züge einer deutschen Wirtschaft mit Behagen bis zum letzten Augenblick aus¬
gekostet. Dann kamen die Trinkgeldempfänger in rotem Arbeitshemd und in
Portiersuniform und die hochgewachsnen Gentlemen in Gesellschaftstoilette, die
Kellner aus grusischem Stamme mit rabenschwarzen Vollbart, denen gegenüber
das übliche "Du" gar nicht am Platz erscheint, sie alle heisesten ihren Obolus --
das Unwesen ist hier noch schlimmer als in Deutschland. Herr Richter ließ es
sich dafür nicht nehmen, uns zur Bahn zu geleiten. Wieder fanden wir tadel¬
loses Unterkommen im Pullmanwagen des Bakuer Abendzuges und rollten in
der hereinbrechenden Dunkelheit an dem grusinischen Stadtteil vorüber nach
Osten weiter.




Tiflis

Den Prospekt, der übrigens in seiner Verlängerung in die berühmte gru¬
sinische Heerstraße über den Kasbek übergeht, zieren außer einer Reihe von
Geschäftshäusern mit ganz guten Auslagen mehrere öffentliche Gebäude, Zwei
davon erwecken unser besondres Interesse. Das Kaukasische Museum, die Schöpfung
eines Danzigers, des oben genannten Geheimrath Radde, gibt, mit viel Liebe
zusammengestellt, in den in ihm vereinigten Gegenständen aus allen Gebieten
der reichen Natur des kaukasischen Landes, den Erzeugnissen uralter und neuerer
Kultur, den Darstellungen der Wohnungen und der Volkstypen der verschiednen
Stämme ein in seiner gedrängten Fülle doch noch übersichtliches Bild kaukasischen
Lebens. Das neben der Hauptwache liegende kriegshistorische Museum vereinigt
in packenden Gemälden die kriegerischen Ereignisse während der langen Jahre
der Eroberung des Kaukasus. Es ist eine Nuhmeshalle für Sieger und Be¬
siegte, ein Tempel, worin sich beide die Hand reichen sollten zu gegenseitiger
Anerkennung kriegerischer Tüchtigkeit, zu aufrichtiger Versöhnung und darauf
aufgebauter Friedenstätigkeit. Sind es kolonisatorisches Ungeschick, Mißbräuche der
herrschenden Regierungsform oder kriegerische Neigungen, unausgeglichne Rassen-
gegensütze, die das schöne, reiche Land nicht zur Ruhe kommen lassen, oder ver¬
einigt sich alles dieses zu einem so unerwünschten Resultat? Dann freilich sollte
die Nuhmeshalle ihre Pforten schließen. Fast schien es, als ob man eine Ver¬
größerung der Spannung durch den Anblick früherer Taten vermeiden wollte,
denn nur zögernd wurde uns die sonst weit geöffnete Pforte aufgetan.

Mit dem Rückblick in die letzte Vergangenheit nahmen wir Abschied von
Tiflis. Bei feurigem Kachetiner und einem echt russischen Mahle wurde im Hotel
die flüchtige Bekanntschaft mit einem in Tiflis lebenden liebenswürdigen Deutschen
und dem Kustos des Kaukasischen Museums, Herrn Dr. S., vertieft und die Vor¬
züge einer deutschen Wirtschaft mit Behagen bis zum letzten Augenblick aus¬
gekostet. Dann kamen die Trinkgeldempfänger in rotem Arbeitshemd und in
Portiersuniform und die hochgewachsnen Gentlemen in Gesellschaftstoilette, die
Kellner aus grusischem Stamme mit rabenschwarzen Vollbart, denen gegenüber
das übliche „Du" gar nicht am Platz erscheint, sie alle heisesten ihren Obolus —
das Unwesen ist hier noch schlimmer als in Deutschland. Herr Richter ließ es
sich dafür nicht nehmen, uns zur Bahn zu geleiten. Wieder fanden wir tadel¬
loses Unterkommen im Pullmanwagen des Bakuer Abendzuges und rollten in
der hereinbrechenden Dunkelheit an dem grusinischen Stadtteil vorüber nach
Osten weiter.




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[0168] Tiflis Den Prospekt, der übrigens in seiner Verlängerung in die berühmte gru¬ sinische Heerstraße über den Kasbek übergeht, zieren außer einer Reihe von Geschäftshäusern mit ganz guten Auslagen mehrere öffentliche Gebäude, Zwei davon erwecken unser besondres Interesse. Das Kaukasische Museum, die Schöpfung eines Danzigers, des oben genannten Geheimrath Radde, gibt, mit viel Liebe zusammengestellt, in den in ihm vereinigten Gegenständen aus allen Gebieten der reichen Natur des kaukasischen Landes, den Erzeugnissen uralter und neuerer Kultur, den Darstellungen der Wohnungen und der Volkstypen der verschiednen Stämme ein in seiner gedrängten Fülle doch noch übersichtliches Bild kaukasischen Lebens. Das neben der Hauptwache liegende kriegshistorische Museum vereinigt in packenden Gemälden die kriegerischen Ereignisse während der langen Jahre der Eroberung des Kaukasus. Es ist eine Nuhmeshalle für Sieger und Be¬ siegte, ein Tempel, worin sich beide die Hand reichen sollten zu gegenseitiger Anerkennung kriegerischer Tüchtigkeit, zu aufrichtiger Versöhnung und darauf aufgebauter Friedenstätigkeit. Sind es kolonisatorisches Ungeschick, Mißbräuche der herrschenden Regierungsform oder kriegerische Neigungen, unausgeglichne Rassen- gegensütze, die das schöne, reiche Land nicht zur Ruhe kommen lassen, oder ver¬ einigt sich alles dieses zu einem so unerwünschten Resultat? Dann freilich sollte die Nuhmeshalle ihre Pforten schließen. Fast schien es, als ob man eine Ver¬ größerung der Spannung durch den Anblick früherer Taten vermeiden wollte, denn nur zögernd wurde uns die sonst weit geöffnete Pforte aufgetan. Mit dem Rückblick in die letzte Vergangenheit nahmen wir Abschied von Tiflis. Bei feurigem Kachetiner und einem echt russischen Mahle wurde im Hotel die flüchtige Bekanntschaft mit einem in Tiflis lebenden liebenswürdigen Deutschen und dem Kustos des Kaukasischen Museums, Herrn Dr. S., vertieft und die Vor¬ züge einer deutschen Wirtschaft mit Behagen bis zum letzten Augenblick aus¬ gekostet. Dann kamen die Trinkgeldempfänger in rotem Arbeitshemd und in Portiersuniform und die hochgewachsnen Gentlemen in Gesellschaftstoilette, die Kellner aus grusischem Stamme mit rabenschwarzen Vollbart, denen gegenüber das übliche „Du" gar nicht am Platz erscheint, sie alle heisesten ihren Obolus — das Unwesen ist hier noch schlimmer als in Deutschland. Herr Richter ließ es sich dafür nicht nehmen, uns zur Bahn zu geleiten. Wieder fanden wir tadel¬ loses Unterkommen im Pullmanwagen des Bakuer Abendzuges und rollten in der hereinbrechenden Dunkelheit an dem grusinischen Stadtteil vorüber nach Osten weiter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/168>, abgerufen am 23.07.2024.