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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Tiflis

davon nichts wissen. Aber er empfing doch, während wir in seinem Kabinett
saßen, den zur Besprechung wichtiger Maßnahmen erschienenen Kreischef von Gori,
auch einen Offizier -- die höhern Verwaltungsposten sind sämtlich mit solchen
besetzt. Und drei armenische höhere Geistliche waren befohlen, die man für die
Haltung ihrer Volksgenossen verantwortlich machen wollte. Die Beflissenheit
endlich, mit der sich drei bis vier Schutzleute bei unserm Eintreffen vor der
Wohnung des Gouverneurs um uns drängten, vermochten wir auch nicht bloß
als einen Ausfluß slawischer Liebenswürdigkeit aufzufassen, soviel Proben uns
sonst von solcher zuteil geworden waren.

Wieder ein klein wenig Unruhestimmuug verriet sich in dem regen Treiben
auf dem Postamt und auf der Bank, auf die mein Kreditbrief lautete. In den
Sälen des Postamts standen Posten mit Gewehr und wie üblich aufgepflanzten
Bajonett -- die Erfahrungen mit Attentaten frechen Raubgesindels haben diese
Maßregel gezeitigt. Auf der Bank machte ich die Bekanntschaft eines Lands¬
manns, der sich als ehemaliger Danziger entpuppte, und weil ihm der Boden
wohl etwas heiß wurde, den Rückzug nach dem Lande seiner Väter antreten
wollte. Zum Dank bot er mir für meine gern erteilten Auskünfte seine Hilfe
und Vermittlung bei etwa beabsichtigter Erwerbung von abbauwürdigen Gruben
an. Ich hatte leider keine Verwendung.

Das Straßenbild des russischen Tiflis zeigte nichts auffälliges. Vielmehr
äußerte sich in dem ganzen Leben und Treiben auf der Prachtstraße, dem Golo-
winskiprospekt, die ganze Leichtlebigkeit und Gedankenlosigkeit der mit dem Feuer
spielenden russischen Gesellschaft. Hier jagten auf dem breiten Fahrdamm um
Mittag eine Menge eleganter Fuhrwerke mit der üblichen russischen Bespannung,
dem Traber unter der silberbeschlagnen, oft glöckchenbehangnen Dugä, auch Trollen
mit den auswärts ausgebundnen, immer galoppierenden Beipferden durcheinander,
und die Lenker der recht eleganten, Phaethon genannten Droschken bemühten sich,
mit ihnen dasselbe Tempo zu halten. Offiziere aller Waffen fuhren, ritten und
flanierten in ihren gut geschnittenen grauen Paletots, deren Kummerfalte das
vorläufig noch unerreichte Muster unsrer Militürschneiderei ist. Das Nishe-
gorodski-Dragonerregiment Ur. 44, eins der besten Linienregimenter der russischen
Armee, war mit seinen karmoisinroten Abzeichen am meisten und elegantesten
vertreten. Eleganz zeigte auch die auf und ab wogende Frauenwelt in Haltung
und Kleidung, und an Frohsinn und Lebhaftigkeit ließ sie es nicht fehlen. Den
guten Gesamteindruck freilich störten die verschlissen und verschmiert aussehenden
Uniformen der Studenten und der technischen Hochschüler. Nachdem Universität
und Polytechnikum in Charkoff, auf die die Kaukasier mangels eigner Hochschulen
angewiesen sind, ihre Pforten geschlossen hatten, genossen ihre Zöglinge die
unfreiwillige Freiheit in vollen Zügen und wirkten durch ihr anmaßendes Auf¬
treten und geschmackloses Äußere überall gleich lächerlich und unerfreulich. Wie¬
viel frischer, fröhlicher und adretter sah dagegen eine mit eigner Musik vorbeimar¬
schierende Abteilung Kadetten aus, die über den Golowinski nach Hause zog!


Tiflis

davon nichts wissen. Aber er empfing doch, während wir in seinem Kabinett
saßen, den zur Besprechung wichtiger Maßnahmen erschienenen Kreischef von Gori,
auch einen Offizier — die höhern Verwaltungsposten sind sämtlich mit solchen
besetzt. Und drei armenische höhere Geistliche waren befohlen, die man für die
Haltung ihrer Volksgenossen verantwortlich machen wollte. Die Beflissenheit
endlich, mit der sich drei bis vier Schutzleute bei unserm Eintreffen vor der
Wohnung des Gouverneurs um uns drängten, vermochten wir auch nicht bloß
als einen Ausfluß slawischer Liebenswürdigkeit aufzufassen, soviel Proben uns
sonst von solcher zuteil geworden waren.

Wieder ein klein wenig Unruhestimmuug verriet sich in dem regen Treiben
auf dem Postamt und auf der Bank, auf die mein Kreditbrief lautete. In den
Sälen des Postamts standen Posten mit Gewehr und wie üblich aufgepflanzten
Bajonett — die Erfahrungen mit Attentaten frechen Raubgesindels haben diese
Maßregel gezeitigt. Auf der Bank machte ich die Bekanntschaft eines Lands¬
manns, der sich als ehemaliger Danziger entpuppte, und weil ihm der Boden
wohl etwas heiß wurde, den Rückzug nach dem Lande seiner Väter antreten
wollte. Zum Dank bot er mir für meine gern erteilten Auskünfte seine Hilfe
und Vermittlung bei etwa beabsichtigter Erwerbung von abbauwürdigen Gruben
an. Ich hatte leider keine Verwendung.

Das Straßenbild des russischen Tiflis zeigte nichts auffälliges. Vielmehr
äußerte sich in dem ganzen Leben und Treiben auf der Prachtstraße, dem Golo-
winskiprospekt, die ganze Leichtlebigkeit und Gedankenlosigkeit der mit dem Feuer
spielenden russischen Gesellschaft. Hier jagten auf dem breiten Fahrdamm um
Mittag eine Menge eleganter Fuhrwerke mit der üblichen russischen Bespannung,
dem Traber unter der silberbeschlagnen, oft glöckchenbehangnen Dugä, auch Trollen
mit den auswärts ausgebundnen, immer galoppierenden Beipferden durcheinander,
und die Lenker der recht eleganten, Phaethon genannten Droschken bemühten sich,
mit ihnen dasselbe Tempo zu halten. Offiziere aller Waffen fuhren, ritten und
flanierten in ihren gut geschnittenen grauen Paletots, deren Kummerfalte das
vorläufig noch unerreichte Muster unsrer Militürschneiderei ist. Das Nishe-
gorodski-Dragonerregiment Ur. 44, eins der besten Linienregimenter der russischen
Armee, war mit seinen karmoisinroten Abzeichen am meisten und elegantesten
vertreten. Eleganz zeigte auch die auf und ab wogende Frauenwelt in Haltung
und Kleidung, und an Frohsinn und Lebhaftigkeit ließ sie es nicht fehlen. Den
guten Gesamteindruck freilich störten die verschlissen und verschmiert aussehenden
Uniformen der Studenten und der technischen Hochschüler. Nachdem Universität
und Polytechnikum in Charkoff, auf die die Kaukasier mangels eigner Hochschulen
angewiesen sind, ihre Pforten geschlossen hatten, genossen ihre Zöglinge die
unfreiwillige Freiheit in vollen Zügen und wirkten durch ihr anmaßendes Auf¬
treten und geschmackloses Äußere überall gleich lächerlich und unerfreulich. Wie¬
viel frischer, fröhlicher und adretter sah dagegen eine mit eigner Musik vorbeimar¬
schierende Abteilung Kadetten aus, die über den Golowinski nach Hause zog!


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[0167] Tiflis davon nichts wissen. Aber er empfing doch, während wir in seinem Kabinett saßen, den zur Besprechung wichtiger Maßnahmen erschienenen Kreischef von Gori, auch einen Offizier — die höhern Verwaltungsposten sind sämtlich mit solchen besetzt. Und drei armenische höhere Geistliche waren befohlen, die man für die Haltung ihrer Volksgenossen verantwortlich machen wollte. Die Beflissenheit endlich, mit der sich drei bis vier Schutzleute bei unserm Eintreffen vor der Wohnung des Gouverneurs um uns drängten, vermochten wir auch nicht bloß als einen Ausfluß slawischer Liebenswürdigkeit aufzufassen, soviel Proben uns sonst von solcher zuteil geworden waren. Wieder ein klein wenig Unruhestimmuug verriet sich in dem regen Treiben auf dem Postamt und auf der Bank, auf die mein Kreditbrief lautete. In den Sälen des Postamts standen Posten mit Gewehr und wie üblich aufgepflanzten Bajonett — die Erfahrungen mit Attentaten frechen Raubgesindels haben diese Maßregel gezeitigt. Auf der Bank machte ich die Bekanntschaft eines Lands¬ manns, der sich als ehemaliger Danziger entpuppte, und weil ihm der Boden wohl etwas heiß wurde, den Rückzug nach dem Lande seiner Väter antreten wollte. Zum Dank bot er mir für meine gern erteilten Auskünfte seine Hilfe und Vermittlung bei etwa beabsichtigter Erwerbung von abbauwürdigen Gruben an. Ich hatte leider keine Verwendung. Das Straßenbild des russischen Tiflis zeigte nichts auffälliges. Vielmehr äußerte sich in dem ganzen Leben und Treiben auf der Prachtstraße, dem Golo- winskiprospekt, die ganze Leichtlebigkeit und Gedankenlosigkeit der mit dem Feuer spielenden russischen Gesellschaft. Hier jagten auf dem breiten Fahrdamm um Mittag eine Menge eleganter Fuhrwerke mit der üblichen russischen Bespannung, dem Traber unter der silberbeschlagnen, oft glöckchenbehangnen Dugä, auch Trollen mit den auswärts ausgebundnen, immer galoppierenden Beipferden durcheinander, und die Lenker der recht eleganten, Phaethon genannten Droschken bemühten sich, mit ihnen dasselbe Tempo zu halten. Offiziere aller Waffen fuhren, ritten und flanierten in ihren gut geschnittenen grauen Paletots, deren Kummerfalte das vorläufig noch unerreichte Muster unsrer Militürschneiderei ist. Das Nishe- gorodski-Dragonerregiment Ur. 44, eins der besten Linienregimenter der russischen Armee, war mit seinen karmoisinroten Abzeichen am meisten und elegantesten vertreten. Eleganz zeigte auch die auf und ab wogende Frauenwelt in Haltung und Kleidung, und an Frohsinn und Lebhaftigkeit ließ sie es nicht fehlen. Den guten Gesamteindruck freilich störten die verschlissen und verschmiert aussehenden Uniformen der Studenten und der technischen Hochschüler. Nachdem Universität und Polytechnikum in Charkoff, auf die die Kaukasier mangels eigner Hochschulen angewiesen sind, ihre Pforten geschlossen hatten, genossen ihre Zöglinge die unfreiwillige Freiheit in vollen Zügen und wirkten durch ihr anmaßendes Auf¬ treten und geschmackloses Äußere überall gleich lächerlich und unerfreulich. Wie¬ viel frischer, fröhlicher und adretter sah dagegen eine mit eigner Musik vorbeimar¬ schierende Abteilung Kadetten aus, die über den Golowinski nach Hause zog!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/167>, abgerufen am 23.07.2024.