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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Brief des Bayernkönigs sei sehr zur Unzeit gekommen. Der Kronprinz hatte
seinen königlichen Vater mißverstanden, wenn er annahm, daß sich diese Äuße¬
rung gegen den Antrag selbst richtete. Nur hatte der König in jenen Tagen
dringendere Sorgen, er sah die Kaiserfrage als ourg, xostsrior an. Dazu kamen
die Differenzen um die Belagerung von Paris, derentwegen bekanntlich im
Hauptquartier sehr scharfe Gegensätze bestanden. Bismarck hatte sich wiederholt
über das unwirksame militärische Vorgehen beklagt und auf die ernsten
politischen Folgen dieser Verzögerung hingewiesen. Moltke sah darin eine un¬
befugte Einmischung der Politik in die Kriegführung und war besonders er¬
bittert über den Bismarckschen Vorwurf, daß es unrichtig gewesen sei, die Armee
vor Paris festzulegen, anstatt den Krieg in das Innere Frankreichs zu tragen
und so die Bevölkerung dem Friedensschluß geneigter zu machen. Der Kanzler
hatte schon vorher, am 27. November, die Vermittlung des Großherzogs in An¬
spruch genommen, der aber über diesen Streit nicht hinreichend informiert war, um
sofort seine Hilfe in Aussicht stellen zu können.*) Darauf hatte Bismarck eine
Jmmediateingabe an den König gerichtet, einige Tage später machte er nochmals
den Großherzog auf die bedenkliche militärische Lage aufmerksam. Der persönliche
Konflikt zwischen Bismarck und Moltke dauerte dann trotz der vom Kronprinzen
unternommnen Versöhnungsversuche und trotz des befehlenden Eingreifens des
Königs fast bis unmittelbar vor der Kapitulation von Paris fort. Zwischen Roon
und Moltke hatte der Gegensatz in der Belagerungsfrage fast noch schärfere Formen
angenommen als zwischen dem Bundeskanzler und dem Chef des Generalstabes.
Differenzen über die notwendige Verstärkung der Feldarmee traten hinzu: Moltke
rechnete Roon in einem Schreiben vor, daß Frankreich während des Krieges
neue Truppenkörper in Stärke von anderthalb Millionen Köpfen aufgestellt
habe, eine Anstrengung, an die die deutsche bei weitem nicht heranreiche. Er
forderte ausgiebigern Ersatz für die Feldarmee, Aufgebot sämtlicher Landwehren,
Heranziehung aller in der Heimat entbehrlichen Landwehrbataillone sowie eines
Teiles der Ersatzbataillone für den Etappendienst und den Garnisondienst in
Metz und in Straßburg. Dazu traten die Meinungsverschiedenheiten wegen der
Munitionsbeschaffung für die Belagerungsartillerie, der Bildung eines Fuhr¬
parks usw. Alle diese Dinge mußten selbstverständlich auch dem Könige vor¬
getragen werden und nahmen die Arbeitskraft und die Leistungsfähigkeit des
dreiundsiebzigjährigen Monarchen mehr als ausreichend in Anspruch. Man be¬
greift leicht, daß da der besorgten und wohlwollenden Vermittlung ein weites Feld
der Tätigkeit blieb. Hier kam das große Vertrauen des Königs zum Gro߬
herzog zusteckten, mit dem er alle diese Fragen in voller Offenheit besprach.
Zu den militärischen gesellten sich dann noch allerlei Sorgen auf dem Gebiete



Der Großherzog scheint jedoch an diesem oder am nächsten Tage ein Gespräch mit dem
König gehabt zu haben, wenigstens datiert vom 28. November ein sehr scharf gehaltener könig¬
licher Erlaß an Moltke und Roon in der Belagerungsfrage.
Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Brief des Bayernkönigs sei sehr zur Unzeit gekommen. Der Kronprinz hatte
seinen königlichen Vater mißverstanden, wenn er annahm, daß sich diese Äuße¬
rung gegen den Antrag selbst richtete. Nur hatte der König in jenen Tagen
dringendere Sorgen, er sah die Kaiserfrage als ourg, xostsrior an. Dazu kamen
die Differenzen um die Belagerung von Paris, derentwegen bekanntlich im
Hauptquartier sehr scharfe Gegensätze bestanden. Bismarck hatte sich wiederholt
über das unwirksame militärische Vorgehen beklagt und auf die ernsten
politischen Folgen dieser Verzögerung hingewiesen. Moltke sah darin eine un¬
befugte Einmischung der Politik in die Kriegführung und war besonders er¬
bittert über den Bismarckschen Vorwurf, daß es unrichtig gewesen sei, die Armee
vor Paris festzulegen, anstatt den Krieg in das Innere Frankreichs zu tragen
und so die Bevölkerung dem Friedensschluß geneigter zu machen. Der Kanzler
hatte schon vorher, am 27. November, die Vermittlung des Großherzogs in An¬
spruch genommen, der aber über diesen Streit nicht hinreichend informiert war, um
sofort seine Hilfe in Aussicht stellen zu können.*) Darauf hatte Bismarck eine
Jmmediateingabe an den König gerichtet, einige Tage später machte er nochmals
den Großherzog auf die bedenkliche militärische Lage aufmerksam. Der persönliche
Konflikt zwischen Bismarck und Moltke dauerte dann trotz der vom Kronprinzen
unternommnen Versöhnungsversuche und trotz des befehlenden Eingreifens des
Königs fast bis unmittelbar vor der Kapitulation von Paris fort. Zwischen Roon
und Moltke hatte der Gegensatz in der Belagerungsfrage fast noch schärfere Formen
angenommen als zwischen dem Bundeskanzler und dem Chef des Generalstabes.
Differenzen über die notwendige Verstärkung der Feldarmee traten hinzu: Moltke
rechnete Roon in einem Schreiben vor, daß Frankreich während des Krieges
neue Truppenkörper in Stärke von anderthalb Millionen Köpfen aufgestellt
habe, eine Anstrengung, an die die deutsche bei weitem nicht heranreiche. Er
forderte ausgiebigern Ersatz für die Feldarmee, Aufgebot sämtlicher Landwehren,
Heranziehung aller in der Heimat entbehrlichen Landwehrbataillone sowie eines
Teiles der Ersatzbataillone für den Etappendienst und den Garnisondienst in
Metz und in Straßburg. Dazu traten die Meinungsverschiedenheiten wegen der
Munitionsbeschaffung für die Belagerungsartillerie, der Bildung eines Fuhr¬
parks usw. Alle diese Dinge mußten selbstverständlich auch dem Könige vor¬
getragen werden und nahmen die Arbeitskraft und die Leistungsfähigkeit des
dreiundsiebzigjährigen Monarchen mehr als ausreichend in Anspruch. Man be¬
greift leicht, daß da der besorgten und wohlwollenden Vermittlung ein weites Feld
der Tätigkeit blieb. Hier kam das große Vertrauen des Königs zum Gro߬
herzog zusteckten, mit dem er alle diese Fragen in voller Offenheit besprach.
Zu den militärischen gesellten sich dann noch allerlei Sorgen auf dem Gebiete



Der Großherzog scheint jedoch an diesem oder am nächsten Tage ein Gespräch mit dem
König gehabt zu haben, wenigstens datiert vom 28. November ein sehr scharf gehaltener könig¬
licher Erlaß an Moltke und Roon in der Belagerungsfrage.
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[0154] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Brief des Bayernkönigs sei sehr zur Unzeit gekommen. Der Kronprinz hatte seinen königlichen Vater mißverstanden, wenn er annahm, daß sich diese Äuße¬ rung gegen den Antrag selbst richtete. Nur hatte der König in jenen Tagen dringendere Sorgen, er sah die Kaiserfrage als ourg, xostsrior an. Dazu kamen die Differenzen um die Belagerung von Paris, derentwegen bekanntlich im Hauptquartier sehr scharfe Gegensätze bestanden. Bismarck hatte sich wiederholt über das unwirksame militärische Vorgehen beklagt und auf die ernsten politischen Folgen dieser Verzögerung hingewiesen. Moltke sah darin eine un¬ befugte Einmischung der Politik in die Kriegführung und war besonders er¬ bittert über den Bismarckschen Vorwurf, daß es unrichtig gewesen sei, die Armee vor Paris festzulegen, anstatt den Krieg in das Innere Frankreichs zu tragen und so die Bevölkerung dem Friedensschluß geneigter zu machen. Der Kanzler hatte schon vorher, am 27. November, die Vermittlung des Großherzogs in An¬ spruch genommen, der aber über diesen Streit nicht hinreichend informiert war, um sofort seine Hilfe in Aussicht stellen zu können.*) Darauf hatte Bismarck eine Jmmediateingabe an den König gerichtet, einige Tage später machte er nochmals den Großherzog auf die bedenkliche militärische Lage aufmerksam. Der persönliche Konflikt zwischen Bismarck und Moltke dauerte dann trotz der vom Kronprinzen unternommnen Versöhnungsversuche und trotz des befehlenden Eingreifens des Königs fast bis unmittelbar vor der Kapitulation von Paris fort. Zwischen Roon und Moltke hatte der Gegensatz in der Belagerungsfrage fast noch schärfere Formen angenommen als zwischen dem Bundeskanzler und dem Chef des Generalstabes. Differenzen über die notwendige Verstärkung der Feldarmee traten hinzu: Moltke rechnete Roon in einem Schreiben vor, daß Frankreich während des Krieges neue Truppenkörper in Stärke von anderthalb Millionen Köpfen aufgestellt habe, eine Anstrengung, an die die deutsche bei weitem nicht heranreiche. Er forderte ausgiebigern Ersatz für die Feldarmee, Aufgebot sämtlicher Landwehren, Heranziehung aller in der Heimat entbehrlichen Landwehrbataillone sowie eines Teiles der Ersatzbataillone für den Etappendienst und den Garnisondienst in Metz und in Straßburg. Dazu traten die Meinungsverschiedenheiten wegen der Munitionsbeschaffung für die Belagerungsartillerie, der Bildung eines Fuhr¬ parks usw. Alle diese Dinge mußten selbstverständlich auch dem Könige vor¬ getragen werden und nahmen die Arbeitskraft und die Leistungsfähigkeit des dreiundsiebzigjährigen Monarchen mehr als ausreichend in Anspruch. Man be¬ greift leicht, daß da der besorgten und wohlwollenden Vermittlung ein weites Feld der Tätigkeit blieb. Hier kam das große Vertrauen des Königs zum Gro߬ herzog zusteckten, mit dem er alle diese Fragen in voller Offenheit besprach. Zu den militärischen gesellten sich dann noch allerlei Sorgen auf dem Gebiete Der Großherzog scheint jedoch an diesem oder am nächsten Tage ein Gespräch mit dem König gehabt zu haben, wenigstens datiert vom 28. November ein sehr scharf gehaltener könig¬ licher Erlaß an Moltke und Roon in der Belagerungsfrage.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/154>, abgerufen am 23.07.2024.