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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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dem Conseil teilnehmen sollte. Die Verhandlungen zogen sich sehr lange hin,
der König griff endlich auf Hardenberg zurück und ließ sich durch General Rüchel,
den er zum Gouverneur der Provinz Preußen ernannt hatte, bestimmen, Harden¬
berg das Auswärtige zu übertragen. Das Innere sollte an Stein fallen, der
aber mit voller Bestimmtheit erklärte, die gleichzeitige Existenz des Kabinets
und des Conseils sei unzulässig, ein Widerspruch in sich selbst und absurd, "eine
Einrichtung, an der sich ein vernünftiger Mensch nicht beteiligen könne". Am
19. Dezember entschied sich der König endgiltig für die Bildung eines Conseils.
Aber ehe dieser neue Organismus noch in Funktion treten konnte, brach der
Konflikt mit Stein aus, der am 3. Januar 1807 zu dessen Entlassung führte.
Die unmittelbare Ursache war gewesen, daß der König bald nach dem Einzug
der Franzosen in Berlin die Königliche Bank ohne Vorwissen ihres Chefs, des
Ministers vom Stein, angewiesen hatte, dem Hofmarschallamt Zahlungen bis zum
Betrage von hunderttausend Talern für die Aufnahme des französischen Kaisers
zu leisten. An Stein erging aus Berlin die Anfrage, ob diese Ausgaben fort¬
dauern und wie es mit den Zahlungen weiter gehalten werden solle. Stein
ließ das Schriftstück, ohne sich zu äußern, an das Kabinet weiter gehen und
lehnte, als es ihm wiederholt durch den General von Köckritz im Auftrage des
Königs zur Äußerung vorgelegt wurde, ein Eingehen darauf ab, ihm sei darüber
nichts bekannt, die Sache gehöre vor den Minister des Auswärtigen. Es sei
beispiellos, daß man dem Sieger, der alle Hilfsquellen des Landes in seiner
Gewalt habe, auch noch aus geretteten Fonds freiwillige Beiträge leiste. Das
Ende war dann das bekannte Schreiben des Königs an Stein, worin er ihn
als "einen widerspenstigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staats¬
diener" bezeichnete, der "auf sein Genie und seine Talente pochend, weit ent¬
fernt, das Beste des Staates vor Augen zu haben, nur durch Capricen geleitet,
aus Leidenschaft und ans persönlichem Haß und Erbitterung handle". Stein
gab seine Entlassung, die umgehend angenommen wurde.

Eine definitive Ordnung erfuhr die Verfassung der obersten Staatsbehörden
erst in den Jahren 1808 bis 1810. Es ist hier deshalb so ausführlich auf
diese Gegensätze eingegangen worden, weil die Verhältnisse, die ihnen zu¬
grunde lagen, die eigentliche Ursache der großen Katastrophe sind. Die Ver¬
fassung der Armee an sich, soviel an der Ausbildung gegenüber der französischen
Fechtweise sowie in mancher andern Hinsicht auch zu wünschen übrig war,*)
wäre an sich noch kein Grund für eine Niederlage gewesen, am allerwenigsten
hätte dieser eine Schlachttag zur Zertrümmerung des Heeres und der Monarchie
zu führen brauchen, wenn die Vorkehrungen für den seit mehreren Jahren
drohenden Krieg in militärischer wie in politischer Beziehung mit mehr Um-



*) Lettow-Vorbeck bezeichnet zum Beispiel in seinem vorzüglichen Buche über den Krieg
von 1806 und 1807 das Fehlen der Mäntel bei der Infanterie als eine wesentliche Ursache
der Zerstörung (I, 69). In der Tat wurden in den Berliner Zeitungen Geldsammlungen für
Soldatenmäntel veranstaltet, als die Armee schon vor dem Feinde stand.
Jena

dem Conseil teilnehmen sollte. Die Verhandlungen zogen sich sehr lange hin,
der König griff endlich auf Hardenberg zurück und ließ sich durch General Rüchel,
den er zum Gouverneur der Provinz Preußen ernannt hatte, bestimmen, Harden¬
berg das Auswärtige zu übertragen. Das Innere sollte an Stein fallen, der
aber mit voller Bestimmtheit erklärte, die gleichzeitige Existenz des Kabinets
und des Conseils sei unzulässig, ein Widerspruch in sich selbst und absurd, „eine
Einrichtung, an der sich ein vernünftiger Mensch nicht beteiligen könne". Am
19. Dezember entschied sich der König endgiltig für die Bildung eines Conseils.
Aber ehe dieser neue Organismus noch in Funktion treten konnte, brach der
Konflikt mit Stein aus, der am 3. Januar 1807 zu dessen Entlassung führte.
Die unmittelbare Ursache war gewesen, daß der König bald nach dem Einzug
der Franzosen in Berlin die Königliche Bank ohne Vorwissen ihres Chefs, des
Ministers vom Stein, angewiesen hatte, dem Hofmarschallamt Zahlungen bis zum
Betrage von hunderttausend Talern für die Aufnahme des französischen Kaisers
zu leisten. An Stein erging aus Berlin die Anfrage, ob diese Ausgaben fort¬
dauern und wie es mit den Zahlungen weiter gehalten werden solle. Stein
ließ das Schriftstück, ohne sich zu äußern, an das Kabinet weiter gehen und
lehnte, als es ihm wiederholt durch den General von Köckritz im Auftrage des
Königs zur Äußerung vorgelegt wurde, ein Eingehen darauf ab, ihm sei darüber
nichts bekannt, die Sache gehöre vor den Minister des Auswärtigen. Es sei
beispiellos, daß man dem Sieger, der alle Hilfsquellen des Landes in seiner
Gewalt habe, auch noch aus geretteten Fonds freiwillige Beiträge leiste. Das
Ende war dann das bekannte Schreiben des Königs an Stein, worin er ihn
als „einen widerspenstigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staats¬
diener" bezeichnete, der „auf sein Genie und seine Talente pochend, weit ent¬
fernt, das Beste des Staates vor Augen zu haben, nur durch Capricen geleitet,
aus Leidenschaft und ans persönlichem Haß und Erbitterung handle". Stein
gab seine Entlassung, die umgehend angenommen wurde.

Eine definitive Ordnung erfuhr die Verfassung der obersten Staatsbehörden
erst in den Jahren 1808 bis 1810. Es ist hier deshalb so ausführlich auf
diese Gegensätze eingegangen worden, weil die Verhältnisse, die ihnen zu¬
grunde lagen, die eigentliche Ursache der großen Katastrophe sind. Die Ver¬
fassung der Armee an sich, soviel an der Ausbildung gegenüber der französischen
Fechtweise sowie in mancher andern Hinsicht auch zu wünschen übrig war,*)
wäre an sich noch kein Grund für eine Niederlage gewesen, am allerwenigsten
hätte dieser eine Schlachttag zur Zertrümmerung des Heeres und der Monarchie
zu führen brauchen, wenn die Vorkehrungen für den seit mehreren Jahren
drohenden Krieg in militärischer wie in politischer Beziehung mit mehr Um-



*) Lettow-Vorbeck bezeichnet zum Beispiel in seinem vorzüglichen Buche über den Krieg
von 1806 und 1807 das Fehlen der Mäntel bei der Infanterie als eine wesentliche Ursache
der Zerstörung (I, 69). In der Tat wurden in den Berliner Zeitungen Geldsammlungen für
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/151>, abgerufen am 23.07.2024.