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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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RulturbUder ans den Balkanstaaten

ausgelassene Vergnügungen hat. Deshalb gibt es auch in den Städten wenig
volkstümliche Feste, soweit sie nicht kirchlicher Natur sind. Ich erinnere mich
nur der Feier des 1. Mai, die in ganz Griechenland, ähnlich wie in Ober¬
bayern, begangen wird, und die ich in Athen mitmachte. Es ging aber dabei
herzlich witzlos zu; mau schmückte sich mit Blumen, unterhielt sich mit seiner
"Pareja" (seiner Sippe), im übrigen hatte man ein Gefühl, als warte man
auf etwas, das nun kommen sollte, aber nicht kam; es fehlte an der Gesamt¬
stimmung, die wir bei solcher Gelegenheit erwarten. Der Grieche ist zu sehr
Einzelmensch und kann nicht in eine Masse aufgehn. Das ist wohl auch der
Grund, daß es in Athen an eigentlichen volkstümlichen Vergnügungslokalen
fehlt, wie sie Bukarest in Opplers Kolosseum und sogar Belgrad in seinem
"Topschider", einer Art Prater, ausweist. Der Athener begnügt sich noch mit
seinen zwischen "Schmiere" und Tingeltangel die Mitte haltenden kleinen Vor-
stadtvariötes. Volksbelustigungen großen Stils gibt es nicht.

Hierin ist Bukarest wieder "europäischer": dort entwickelt sich auf dem als
"Moses" bezeichneten großen Markt alljährlich in der Woche vor Pfingsten ein
echtes Jahrmarktsfest, wie es das Münchner Oktoberfest nicht schöner sein kann,
dem es auch darin gleicht, daß es sich der Teilnahme der königlichen Familie
erfreut. Nur bietet es noch viel mehr reines Volkstum als jenes; denn hier
entfaltet sich die ganze bunte Völkerkarte des Balkans, hier kann man die
verschiednen bunten Volkstrachten von Rumänen, Bulgaren, Serben, Magyaren,
Zigeunern und Siebenbürgern studieren, ihre Volkstänze beobachten, ihren
Volksweisen lauschen, ihre mannigfachen, uns in Klang und Aussehen so
fremdartigen Musikinstrumente kennen lernen und sich an ihrer harmlosen, nie
in Roheiten ausartenden Heiterkeit erfreuen. Und kehrt man dann in die
Stadt zurück, so wird man es verzeihlich finden, daß manches von diesem
urwüchsigen Volkstum auch hier vielleicht mehr, als sich mit dem Charakter
einer Großstadt verträgt, abfärbt, sich mancher rückständige Zug bemerkbar
macht.

So beobachtete ich einmal, wie in Bukarest in einer Uferstraße an der
Dimbovitza gegenüber dem neuen Justizpalast ein Mann mitten auf dem Damme
damit beschäftigt war, zwei Hühner, die ihm ein Dienstmädchen aus einem
Hause brachte, zu enthaupten, sodaß die kopflosen Körper auf der Straße
umhertanzten, zum großen Gaudium der Straßenjugend. An so etwas muß
man sich hier gewöhnen.

Daß schließlich auch der Sache die Gemütlichkeit nicht fehlt, allerdings
in einem Falle, wo sie eigentlich aufhört, mag das folgende Intermezzo zwischen
dem König von Rumänien und einem vor seinem Palais Wache stehenden
Soldaten, einem Zigeuner, bezeugen, das zu einer Anekdote geworden ist.
Ein Zigeuner stand vor dem Palast Wache, als der König herauskam. Der
Zigeuner knabberte gerade an einem Rettich, und da er den König nicht er¬
kannte, salutierte er nicht. Da fragte ihn der König: "Wer bin ich?" -- "Du


Grenzboten IV 1906 ^
RulturbUder ans den Balkanstaaten

ausgelassene Vergnügungen hat. Deshalb gibt es auch in den Städten wenig
volkstümliche Feste, soweit sie nicht kirchlicher Natur sind. Ich erinnere mich
nur der Feier des 1. Mai, die in ganz Griechenland, ähnlich wie in Ober¬
bayern, begangen wird, und die ich in Athen mitmachte. Es ging aber dabei
herzlich witzlos zu; mau schmückte sich mit Blumen, unterhielt sich mit seiner
„Pareja" (seiner Sippe), im übrigen hatte man ein Gefühl, als warte man
auf etwas, das nun kommen sollte, aber nicht kam; es fehlte an der Gesamt¬
stimmung, die wir bei solcher Gelegenheit erwarten. Der Grieche ist zu sehr
Einzelmensch und kann nicht in eine Masse aufgehn. Das ist wohl auch der
Grund, daß es in Athen an eigentlichen volkstümlichen Vergnügungslokalen
fehlt, wie sie Bukarest in Opplers Kolosseum und sogar Belgrad in seinem
„Topschider", einer Art Prater, ausweist. Der Athener begnügt sich noch mit
seinen zwischen „Schmiere" und Tingeltangel die Mitte haltenden kleinen Vor-
stadtvariötes. Volksbelustigungen großen Stils gibt es nicht.

Hierin ist Bukarest wieder „europäischer": dort entwickelt sich auf dem als
„Moses" bezeichneten großen Markt alljährlich in der Woche vor Pfingsten ein
echtes Jahrmarktsfest, wie es das Münchner Oktoberfest nicht schöner sein kann,
dem es auch darin gleicht, daß es sich der Teilnahme der königlichen Familie
erfreut. Nur bietet es noch viel mehr reines Volkstum als jenes; denn hier
entfaltet sich die ganze bunte Völkerkarte des Balkans, hier kann man die
verschiednen bunten Volkstrachten von Rumänen, Bulgaren, Serben, Magyaren,
Zigeunern und Siebenbürgern studieren, ihre Volkstänze beobachten, ihren
Volksweisen lauschen, ihre mannigfachen, uns in Klang und Aussehen so
fremdartigen Musikinstrumente kennen lernen und sich an ihrer harmlosen, nie
in Roheiten ausartenden Heiterkeit erfreuen. Und kehrt man dann in die
Stadt zurück, so wird man es verzeihlich finden, daß manches von diesem
urwüchsigen Volkstum auch hier vielleicht mehr, als sich mit dem Charakter
einer Großstadt verträgt, abfärbt, sich mancher rückständige Zug bemerkbar
macht.

So beobachtete ich einmal, wie in Bukarest in einer Uferstraße an der
Dimbovitza gegenüber dem neuen Justizpalast ein Mann mitten auf dem Damme
damit beschäftigt war, zwei Hühner, die ihm ein Dienstmädchen aus einem
Hause brachte, zu enthaupten, sodaß die kopflosen Körper auf der Straße
umhertanzten, zum großen Gaudium der Straßenjugend. An so etwas muß
man sich hier gewöhnen.

Daß schließlich auch der Sache die Gemütlichkeit nicht fehlt, allerdings
in einem Falle, wo sie eigentlich aufhört, mag das folgende Intermezzo zwischen
dem König von Rumänien und einem vor seinem Palais Wache stehenden
Soldaten, einem Zigeuner, bezeugen, das zu einer Anekdote geworden ist.
Ein Zigeuner stand vor dem Palast Wache, als der König herauskam. Der
Zigeuner knabberte gerade an einem Rettich, und da er den König nicht er¬
kannte, salutierte er nicht. Da fragte ihn der König: „Wer bin ich?" — „Du


Grenzboten IV 1906 ^
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[0105] RulturbUder ans den Balkanstaaten ausgelassene Vergnügungen hat. Deshalb gibt es auch in den Städten wenig volkstümliche Feste, soweit sie nicht kirchlicher Natur sind. Ich erinnere mich nur der Feier des 1. Mai, die in ganz Griechenland, ähnlich wie in Ober¬ bayern, begangen wird, und die ich in Athen mitmachte. Es ging aber dabei herzlich witzlos zu; mau schmückte sich mit Blumen, unterhielt sich mit seiner „Pareja" (seiner Sippe), im übrigen hatte man ein Gefühl, als warte man auf etwas, das nun kommen sollte, aber nicht kam; es fehlte an der Gesamt¬ stimmung, die wir bei solcher Gelegenheit erwarten. Der Grieche ist zu sehr Einzelmensch und kann nicht in eine Masse aufgehn. Das ist wohl auch der Grund, daß es in Athen an eigentlichen volkstümlichen Vergnügungslokalen fehlt, wie sie Bukarest in Opplers Kolosseum und sogar Belgrad in seinem „Topschider", einer Art Prater, ausweist. Der Athener begnügt sich noch mit seinen zwischen „Schmiere" und Tingeltangel die Mitte haltenden kleinen Vor- stadtvariötes. Volksbelustigungen großen Stils gibt es nicht. Hierin ist Bukarest wieder „europäischer": dort entwickelt sich auf dem als „Moses" bezeichneten großen Markt alljährlich in der Woche vor Pfingsten ein echtes Jahrmarktsfest, wie es das Münchner Oktoberfest nicht schöner sein kann, dem es auch darin gleicht, daß es sich der Teilnahme der königlichen Familie erfreut. Nur bietet es noch viel mehr reines Volkstum als jenes; denn hier entfaltet sich die ganze bunte Völkerkarte des Balkans, hier kann man die verschiednen bunten Volkstrachten von Rumänen, Bulgaren, Serben, Magyaren, Zigeunern und Siebenbürgern studieren, ihre Volkstänze beobachten, ihren Volksweisen lauschen, ihre mannigfachen, uns in Klang und Aussehen so fremdartigen Musikinstrumente kennen lernen und sich an ihrer harmlosen, nie in Roheiten ausartenden Heiterkeit erfreuen. Und kehrt man dann in die Stadt zurück, so wird man es verzeihlich finden, daß manches von diesem urwüchsigen Volkstum auch hier vielleicht mehr, als sich mit dem Charakter einer Großstadt verträgt, abfärbt, sich mancher rückständige Zug bemerkbar macht. So beobachtete ich einmal, wie in Bukarest in einer Uferstraße an der Dimbovitza gegenüber dem neuen Justizpalast ein Mann mitten auf dem Damme damit beschäftigt war, zwei Hühner, die ihm ein Dienstmädchen aus einem Hause brachte, zu enthaupten, sodaß die kopflosen Körper auf der Straße umhertanzten, zum großen Gaudium der Straßenjugend. An so etwas muß man sich hier gewöhnen. Daß schließlich auch der Sache die Gemütlichkeit nicht fehlt, allerdings in einem Falle, wo sie eigentlich aufhört, mag das folgende Intermezzo zwischen dem König von Rumänien und einem vor seinem Palais Wache stehenden Soldaten, einem Zigeuner, bezeugen, das zu einer Anekdote geworden ist. Ein Zigeuner stand vor dem Palast Wache, als der König herauskam. Der Zigeuner knabberte gerade an einem Rettich, und da er den König nicht er¬ kannte, salutierte er nicht. Da fragte ihn der König: „Wer bin ich?" — „Du Grenzboten IV 1906 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/105>, abgerufen am 23.07.2024.