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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Physiognomie der russischen Sprache

Reichsfürsten mit ^Väseluz LviMostj -- Votrs ^Itssss Lörsnissims ange¬
redet werden.

Immerhin darf dieses Kapitel nicht zu tragisch genommen werden. Fran¬
zosen und Engländer pflegen zwar über unsre Schwäche die Nase zu rümpfen,
aber ihre Eitelkeit richtet sich nur auf andre Ziele, während sie in Wirklich¬
keit die unsrige übertrumpft. Und gar der "freie" Amerikaner macht sich durch
Prahlen mit Ordensbündchen und durch das Haschen nach europäischen Adels¬
titeln für seine Töchter unfehlbar lächerlich.

Andrerseits ist beachtenswert, daß auch die mit geschichtlicher Weihe um¬
kleideten und gesellschaftlich bedeutsamen Ehrennamen aus dem Deutschen
stammen oder wenigstens ihren Durchgang durch das Deutschtum genommen
haben. Außer Icujäöj und ImMAnjÄ gehört dazu vor allem der als Titel des
russischen Herrschers bis heute volkstümlich gebliebne Aarj mit seinem Femi¬
ninum Aarlt,?a (nicht ^Ärövvna, s. unten). Im gehobnen Stil und in der feier¬
lichen Amtssprache durch den fremdklingenden Imperator ersetzt -- während
Assarj nur den altrömischen Kaiser bezeichnet -- ist er doch nichts andres
als der durch die germanischen Nachbarn vermittelte Oassg-r. Denn während
man in Byzanz immer "Kaisar" sagte, gemäß der ältern lateinischen Laut¬
form, der auch das deutsche "Kaiser" seine Entstehung verdankt, ersetzten die
Römer seit dem siebenten Jahrhundert das K der Aussprache durch Z. L^rotj
aber, der in Rußland selbst ungebräuchliche Königstitel, ist aus dem zum
Gattungsnamen verallgemeinerten urdeutschen Karol, das heißt Oarows Ng^riuZ,
entstanden.

Im übrigen darf nicht jedes deutschklingende Wort ohne weiteres als
deutsch angesprochen werden. Als am 21. September 1900 der tapfre russische
General Zerpitzki, der kürzlich an seinen im japanischen Kriege empfangner
Wunden gestorben ist, das zum Sturm auf die Peitangforts ausrückende zweite
Bataillon unsers ersten Ostasiatischen Infanterieregiments mit den Worten be¬
grüßte: "Guten Morgen, draoi Deitschi!" glaubten unsre Krieger ein freund¬
liches, aber halb verunglücktes "brave Deutsche" herauszuhören. Doch nur
ihr Volksname war so gemeint, da von den beiden urrussischen Bezeichnungen
weder das halbverüchtliche Njgrrit?^ noch das dem gehobnen Stil angehörende
AöruuZ.iitÄZ-' zu der Situation gepaßt hätte. Lrav?^ dagegen ist von beiden
Sprachen dem Französischen entlehnt worden und somit ebensogut russisch
als deutsch.

Aber das Recht des Russischen auf indogermanische Herkunft stützt sich
auch darauf, daß die ganze Art der die Sprache Redenden mit ihm auf dem¬
selben Grunde erwachsen ist. Während die in Europa einheimisch gewordnen
uralisch-altaischen, das heißt mongolischen Stämme: Finnen und Madjaren,
das eingeborne Volkstum aufgegeben und sich die arische Geistes- und Gesell-
schaftsbildung als ein fremdes Gewand auf den Leib gepaßt haben, sind die
Russen ihrem Ursprung treu geblieben: ihre Kultur und ihre Sprache sind


Die Physiognomie der russischen Sprache

Reichsfürsten mit ^Väseluz LviMostj — Votrs ^Itssss Lörsnissims ange¬
redet werden.

Immerhin darf dieses Kapitel nicht zu tragisch genommen werden. Fran¬
zosen und Engländer pflegen zwar über unsre Schwäche die Nase zu rümpfen,
aber ihre Eitelkeit richtet sich nur auf andre Ziele, während sie in Wirklich¬
keit die unsrige übertrumpft. Und gar der „freie" Amerikaner macht sich durch
Prahlen mit Ordensbündchen und durch das Haschen nach europäischen Adels¬
titeln für seine Töchter unfehlbar lächerlich.

Andrerseits ist beachtenswert, daß auch die mit geschichtlicher Weihe um¬
kleideten und gesellschaftlich bedeutsamen Ehrennamen aus dem Deutschen
stammen oder wenigstens ihren Durchgang durch das Deutschtum genommen
haben. Außer Icujäöj und ImMAnjÄ gehört dazu vor allem der als Titel des
russischen Herrschers bis heute volkstümlich gebliebne Aarj mit seinem Femi¬
ninum Aarlt,?a (nicht ^Ärövvna, s. unten). Im gehobnen Stil und in der feier¬
lichen Amtssprache durch den fremdklingenden Imperator ersetzt — während
Assarj nur den altrömischen Kaiser bezeichnet — ist er doch nichts andres
als der durch die germanischen Nachbarn vermittelte Oassg-r. Denn während
man in Byzanz immer „Kaisar" sagte, gemäß der ältern lateinischen Laut¬
form, der auch das deutsche „Kaiser" seine Entstehung verdankt, ersetzten die
Römer seit dem siebenten Jahrhundert das K der Aussprache durch Z. L^rotj
aber, der in Rußland selbst ungebräuchliche Königstitel, ist aus dem zum
Gattungsnamen verallgemeinerten urdeutschen Karol, das heißt Oarows Ng^riuZ,
entstanden.

Im übrigen darf nicht jedes deutschklingende Wort ohne weiteres als
deutsch angesprochen werden. Als am 21. September 1900 der tapfre russische
General Zerpitzki, der kürzlich an seinen im japanischen Kriege empfangner
Wunden gestorben ist, das zum Sturm auf die Peitangforts ausrückende zweite
Bataillon unsers ersten Ostasiatischen Infanterieregiments mit den Worten be¬
grüßte: „Guten Morgen, draoi Deitschi!" glaubten unsre Krieger ein freund¬
liches, aber halb verunglücktes „brave Deutsche" herauszuhören. Doch nur
ihr Volksname war so gemeint, da von den beiden urrussischen Bezeichnungen
weder das halbverüchtliche Njgrrit?^ noch das dem gehobnen Stil angehörende
AöruuZ.iitÄZ-' zu der Situation gepaßt hätte. Lrav?^ dagegen ist von beiden
Sprachen dem Französischen entlehnt worden und somit ebensogut russisch
als deutsch.

Aber das Recht des Russischen auf indogermanische Herkunft stützt sich
auch darauf, daß die ganze Art der die Sprache Redenden mit ihm auf dem¬
selben Grunde erwachsen ist. Während die in Europa einheimisch gewordnen
uralisch-altaischen, das heißt mongolischen Stämme: Finnen und Madjaren,
das eingeborne Volkstum aufgegeben und sich die arische Geistes- und Gesell-
schaftsbildung als ein fremdes Gewand auf den Leib gepaßt haben, sind die
Russen ihrem Ursprung treu geblieben: ihre Kultur und ihre Sprache sind


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[0095] Die Physiognomie der russischen Sprache Reichsfürsten mit ^Väseluz LviMostj — Votrs ^Itssss Lörsnissims ange¬ redet werden. Immerhin darf dieses Kapitel nicht zu tragisch genommen werden. Fran¬ zosen und Engländer pflegen zwar über unsre Schwäche die Nase zu rümpfen, aber ihre Eitelkeit richtet sich nur auf andre Ziele, während sie in Wirklich¬ keit die unsrige übertrumpft. Und gar der „freie" Amerikaner macht sich durch Prahlen mit Ordensbündchen und durch das Haschen nach europäischen Adels¬ titeln für seine Töchter unfehlbar lächerlich. Andrerseits ist beachtenswert, daß auch die mit geschichtlicher Weihe um¬ kleideten und gesellschaftlich bedeutsamen Ehrennamen aus dem Deutschen stammen oder wenigstens ihren Durchgang durch das Deutschtum genommen haben. Außer Icujäöj und ImMAnjÄ gehört dazu vor allem der als Titel des russischen Herrschers bis heute volkstümlich gebliebne Aarj mit seinem Femi¬ ninum Aarlt,?a (nicht ^Ärövvna, s. unten). Im gehobnen Stil und in der feier¬ lichen Amtssprache durch den fremdklingenden Imperator ersetzt — während Assarj nur den altrömischen Kaiser bezeichnet — ist er doch nichts andres als der durch die germanischen Nachbarn vermittelte Oassg-r. Denn während man in Byzanz immer „Kaisar" sagte, gemäß der ältern lateinischen Laut¬ form, der auch das deutsche „Kaiser" seine Entstehung verdankt, ersetzten die Römer seit dem siebenten Jahrhundert das K der Aussprache durch Z. L^rotj aber, der in Rußland selbst ungebräuchliche Königstitel, ist aus dem zum Gattungsnamen verallgemeinerten urdeutschen Karol, das heißt Oarows Ng^riuZ, entstanden. Im übrigen darf nicht jedes deutschklingende Wort ohne weiteres als deutsch angesprochen werden. Als am 21. September 1900 der tapfre russische General Zerpitzki, der kürzlich an seinen im japanischen Kriege empfangner Wunden gestorben ist, das zum Sturm auf die Peitangforts ausrückende zweite Bataillon unsers ersten Ostasiatischen Infanterieregiments mit den Worten be¬ grüßte: „Guten Morgen, draoi Deitschi!" glaubten unsre Krieger ein freund¬ liches, aber halb verunglücktes „brave Deutsche" herauszuhören. Doch nur ihr Volksname war so gemeint, da von den beiden urrussischen Bezeichnungen weder das halbverüchtliche Njgrrit?^ noch das dem gehobnen Stil angehörende AöruuZ.iitÄZ-' zu der Situation gepaßt hätte. Lrav?^ dagegen ist von beiden Sprachen dem Französischen entlehnt worden und somit ebensogut russisch als deutsch. Aber das Recht des Russischen auf indogermanische Herkunft stützt sich auch darauf, daß die ganze Art der die Sprache Redenden mit ihm auf dem¬ selben Grunde erwachsen ist. Während die in Europa einheimisch gewordnen uralisch-altaischen, das heißt mongolischen Stämme: Finnen und Madjaren, das eingeborne Volkstum aufgegeben und sich die arische Geistes- und Gesell- schaftsbildung als ein fremdes Gewand auf den Leib gepaßt haben, sind die Russen ihrem Ursprung treu geblieben: ihre Kultur und ihre Sprache sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/95>, abgerufen am 23.07.2024.