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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

unter der Leitung des "Stadtrichters", sodaß jetzt die Bürgerschaft auch über
Abgaben und Steuern selbst zu beschließen hatte. Bald darauf wurde es durch
eine "Neustadt" auf dem Grunde von Wilten vergrößert, doch verzichtete das
Stift 1281 auf seine Gerichtsbarkeit über diese. So wurde ganz Innsbruck
eine landesfürstliche Stadt. Von den Habsburgern, den Landesherren Tirols
seit 1363, vielfach begünstigt, erwuchs es im fünfzehnten Jahrhundert allmählich
zur Landeshauptstadt, vor allem seitdem Maximilian der Erste es zum Sitze
der Zentralverwaltung dieses seines Lieblingslandes machte. Hier wollte er
auch begraben sein; ein italienischer Baumeister erbaute in seinem Auftrage die
schöne Hofkirche als eine dreischiffige hohe Hallenkirche in italienischer Renaissance,
und eine ganze Reihe deutscher, niederländischer und italienischer Künstler
arbeitete für ihn das großartige Grabmal, das auf deutschem Boden nicht seines¬
gleichen hat, ein lebendiges Zeugnis für den Kunstsinn des Kaisers. Freilich
ist es ein Kenotaph geblieben, denn Maximilian wurde in Wiener-Neustadt
beigesetzt.

Kein Geringerer als Albrecht Dürer hat auf seiner ersten Wanderung nach
Italien 1505 Innsbruck gezeichnet, wie es damals war: ein kleines Städtchen
hinter festen Mauern und Türmen, beschränkt auf ein paar enge, meist von
"Lauben" eingefaßte Gassen mit hohen Häusern, dessen Umfang noch heute der
Ring des Burggrabens, des Marktgrabens und des Marktes erkennen läßt.
Erst allmählich hat es sich in der weiten Talebene landeinwärts ausgebreitet
und jetzt auch Wilten verschlungen, von dem es ausgegangen war. Für die
Pracht der landschaftlichen Lage hat auch Dürer schon einen offnen Blick ge¬
habt; auf seiner Zeichnung fehlt weder der breitströmende rasche Jnn noch die
Waldraster Spitze im Hintergrunde. Sie tritt am schönsten im Frühjahr und
im Herbst hervor, wenn die mächtige, gezackte Gebirgsmauer, die im Norden
wie drohend in die Straßen der Stadt hereinschaut, bis tief herab, bis zum
Rande des reichbebauten Mittelgebirges mit schimmerndem Schnee bedeckt ist
und sich vom tiefblauen Himmel in scharfgeschnittnen Umrissen abhebt.

An dem rotbedachten Viereck des Prämonstratenserstifts Wilten ziehn auf
dem linken Ufer der Sill Brennerstraße und Brennerbahn vorüber nach Süden,
dem schlachtberühmten Berge Isel entgegen, der die Stadt beherrscht und auf
seinem Plateau jetzt die Schießstätte der Kaiserjäger sowie ein Museum dieses
alten, tapfern tirolischen Regiments trügt. Ihn durchbricht die Eisenbahn in
einem langen Tunnel, die Straße erklimmt die Höhe in langen Kehren. Dann
steigt sie hoch hinauf auf dem linken Ufer, während die Eisenbahn auf der
andern Seite bleibt und langsamer durch zahlreiche Tunnel emporklimmt. Tief
unten in schmaler, fichtenbewachsner Felsenschlucht schäumt die grüne Sill;
jenseits hoch oben bezeichnen kleine Häusergruppen und Einzelhöfe den Zug
der Straße; darüber ragt die schneebedeckte Serlesspitze, und oft schauen auch
noch die weißen Kämme der Innsbrucker Kalkalpen von Norden herein. "Von
Innsbruck herauf wird es immer schöner -- da hilft kein Beschreiben", sagt


Grenzboten III 1906 10
Über den Brenner

unter der Leitung des „Stadtrichters", sodaß jetzt die Bürgerschaft auch über
Abgaben und Steuern selbst zu beschließen hatte. Bald darauf wurde es durch
eine „Neustadt" auf dem Grunde von Wilten vergrößert, doch verzichtete das
Stift 1281 auf seine Gerichtsbarkeit über diese. So wurde ganz Innsbruck
eine landesfürstliche Stadt. Von den Habsburgern, den Landesherren Tirols
seit 1363, vielfach begünstigt, erwuchs es im fünfzehnten Jahrhundert allmählich
zur Landeshauptstadt, vor allem seitdem Maximilian der Erste es zum Sitze
der Zentralverwaltung dieses seines Lieblingslandes machte. Hier wollte er
auch begraben sein; ein italienischer Baumeister erbaute in seinem Auftrage die
schöne Hofkirche als eine dreischiffige hohe Hallenkirche in italienischer Renaissance,
und eine ganze Reihe deutscher, niederländischer und italienischer Künstler
arbeitete für ihn das großartige Grabmal, das auf deutschem Boden nicht seines¬
gleichen hat, ein lebendiges Zeugnis für den Kunstsinn des Kaisers. Freilich
ist es ein Kenotaph geblieben, denn Maximilian wurde in Wiener-Neustadt
beigesetzt.

Kein Geringerer als Albrecht Dürer hat auf seiner ersten Wanderung nach
Italien 1505 Innsbruck gezeichnet, wie es damals war: ein kleines Städtchen
hinter festen Mauern und Türmen, beschränkt auf ein paar enge, meist von
„Lauben" eingefaßte Gassen mit hohen Häusern, dessen Umfang noch heute der
Ring des Burggrabens, des Marktgrabens und des Marktes erkennen läßt.
Erst allmählich hat es sich in der weiten Talebene landeinwärts ausgebreitet
und jetzt auch Wilten verschlungen, von dem es ausgegangen war. Für die
Pracht der landschaftlichen Lage hat auch Dürer schon einen offnen Blick ge¬
habt; auf seiner Zeichnung fehlt weder der breitströmende rasche Jnn noch die
Waldraster Spitze im Hintergrunde. Sie tritt am schönsten im Frühjahr und
im Herbst hervor, wenn die mächtige, gezackte Gebirgsmauer, die im Norden
wie drohend in die Straßen der Stadt hereinschaut, bis tief herab, bis zum
Rande des reichbebauten Mittelgebirges mit schimmerndem Schnee bedeckt ist
und sich vom tiefblauen Himmel in scharfgeschnittnen Umrissen abhebt.

An dem rotbedachten Viereck des Prämonstratenserstifts Wilten ziehn auf
dem linken Ufer der Sill Brennerstraße und Brennerbahn vorüber nach Süden,
dem schlachtberühmten Berge Isel entgegen, der die Stadt beherrscht und auf
seinem Plateau jetzt die Schießstätte der Kaiserjäger sowie ein Museum dieses
alten, tapfern tirolischen Regiments trügt. Ihn durchbricht die Eisenbahn in
einem langen Tunnel, die Straße erklimmt die Höhe in langen Kehren. Dann
steigt sie hoch hinauf auf dem linken Ufer, während die Eisenbahn auf der
andern Seite bleibt und langsamer durch zahlreiche Tunnel emporklimmt. Tief
unten in schmaler, fichtenbewachsner Felsenschlucht schäumt die grüne Sill;
jenseits hoch oben bezeichnen kleine Häusergruppen und Einzelhöfe den Zug
der Straße; darüber ragt die schneebedeckte Serlesspitze, und oft schauen auch
noch die weißen Kämme der Innsbrucker Kalkalpen von Norden herein. „Von
Innsbruck herauf wird es immer schöner — da hilft kein Beschreiben", sagt


Grenzboten III 1906 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/81>, abgerufen am 23.07.2024.