Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Karl Schurz

(bedeutend: Häuptling, aus einer der Jndianersprcichcn). Und während für
den Mechanismus des parlamentarischen Staates die Partei ihre alte Bedeutung
behält, sind die "Unabhängigen", besonders seit die Professoren der Universitäten
des Landes zahlreich unter ihnen das Wort ergriffen haben, ein Machtmittel
der öffentlichen Meinung geworden: sie vertreten die Bildung, sind also ein
Bestandteil der werdenden Ungleichheit, so wie der Besitz auf der andern Seite;
ein Neues, dessen das Alte zersprengende Art dem Manne, der nur das Alte zu
vertreten glaubte, nicht bewußt wurde. "Ein Mensch in seinem Widerspruch."

Auch darin, daß er der Vertreter des Begriffs des Beamten wurde.
Sonderbar, er, der den preußischen Staat in seinen Beamten bekämpft hatte,
er preist jetzt dem freien Volke als Heilmittel gegen die Verderbnis seines
Verwaltungssystems den Beamten an! Hatte er als praktischer Politiker, man
darf sagen, den Einfluß verloren, denn er predigte hinter der ungestüm vor¬
dringenden Macht her, so schuf er sich hier eine Stellung, die ebenso sehr, wie
sie ein Ärgernis den Parteigängern der Republikaner und eine Torheit den auf
die Demokratie Eiugeschworuen war, ihn in den Augen der Gebildeten des
Landes hob. Er war Präsident des Vereins für Zivildienstreform, er war
mit allen " Reform"bestrebungen in der städtischen und der staatlichen Ver¬
waltung verdürbe". Die Zivildienstreform verlangt an Stelle der alten Partei¬
zugehörigkeit den Befähigungsnachweis bei Besetzung der Ämter. Es ist nicht
ohne Reiz, ihn dort mit dem Führer der Zivilreformer des Staates Newyork,
Theodor Roosevelt, zusammen zu sehen. Hier trafen sich die beiden im ge¬
meinsamen Ideale. Das aber wird als ein bleibendes Verdienst des Deutschen
Karl Schurz in die Geschichte der Vereinigten Staaten übergehn, daß er, der
sonst den Begriffen der Aufklärung und des Liberalismus huldigte, hier die
Doktrin fallen ließ und in das republikanische System der Wahl, die das
während der voraufgegangnen Wahlperiode Gewordne einfach wieder umstürzt,
den beharrenden Beamtenstand setzen half. Sachkenntnis, Ehrlichkeit und Hin¬
gebung an das Amt werden jetzt die Haupttugenden. So ist er ebensosehr
an der Umgestaltung des sittlichen Urteils beteiligt. Und kein schönerer Nach¬
ruf ist ihm gehalten worden als in den Worten unsers Kriegsministers Taft,
der es, ohne seinen Namen zu nennen, ohne vielleicht auch an ihn zu denken,
aussprach: Wir müssen unsre Nation und besonders unsre Jugend dazu er¬
ziehen, daß sie nicht nur die geschäftlichen Erfolge des kapitalhüufenden Kauf¬
manns, sondern auch die Treue und die Ausdauer des Beamten, der im
Dienste der Regierung seine Pflicht, unbeobachtet von der großen Welt, erfüllt,
als erstrebenswertes Ideal schützen lerne. Ein dem Deutschen Alltägliches,
Selbstverständliches wird hier neu entdeckt und mit Entdeckerfreude dem Volke
gezeigt. Ein später Sieg des preußischen Pflichtbegriffs.

Und auch auf die Gefahr hin, ins kleinliche zu geraten, sei noch erwähnt:
Karl Schurz war der Anwalt eines in der Union zu schaffenden Forstwesens.
Wieder ein Beamter, ein Förster, ein gebildeter Sachverständiger sollte es sein,


Karl Schurz

(bedeutend: Häuptling, aus einer der Jndianersprcichcn). Und während für
den Mechanismus des parlamentarischen Staates die Partei ihre alte Bedeutung
behält, sind die „Unabhängigen", besonders seit die Professoren der Universitäten
des Landes zahlreich unter ihnen das Wort ergriffen haben, ein Machtmittel
der öffentlichen Meinung geworden: sie vertreten die Bildung, sind also ein
Bestandteil der werdenden Ungleichheit, so wie der Besitz auf der andern Seite;
ein Neues, dessen das Alte zersprengende Art dem Manne, der nur das Alte zu
vertreten glaubte, nicht bewußt wurde. „Ein Mensch in seinem Widerspruch."

Auch darin, daß er der Vertreter des Begriffs des Beamten wurde.
Sonderbar, er, der den preußischen Staat in seinen Beamten bekämpft hatte,
er preist jetzt dem freien Volke als Heilmittel gegen die Verderbnis seines
Verwaltungssystems den Beamten an! Hatte er als praktischer Politiker, man
darf sagen, den Einfluß verloren, denn er predigte hinter der ungestüm vor¬
dringenden Macht her, so schuf er sich hier eine Stellung, die ebenso sehr, wie
sie ein Ärgernis den Parteigängern der Republikaner und eine Torheit den auf
die Demokratie Eiugeschworuen war, ihn in den Augen der Gebildeten des
Landes hob. Er war Präsident des Vereins für Zivildienstreform, er war
mit allen „ Reform"bestrebungen in der städtischen und der staatlichen Ver¬
waltung verdürbe». Die Zivildienstreform verlangt an Stelle der alten Partei¬
zugehörigkeit den Befähigungsnachweis bei Besetzung der Ämter. Es ist nicht
ohne Reiz, ihn dort mit dem Führer der Zivilreformer des Staates Newyork,
Theodor Roosevelt, zusammen zu sehen. Hier trafen sich die beiden im ge¬
meinsamen Ideale. Das aber wird als ein bleibendes Verdienst des Deutschen
Karl Schurz in die Geschichte der Vereinigten Staaten übergehn, daß er, der
sonst den Begriffen der Aufklärung und des Liberalismus huldigte, hier die
Doktrin fallen ließ und in das republikanische System der Wahl, die das
während der voraufgegangnen Wahlperiode Gewordne einfach wieder umstürzt,
den beharrenden Beamtenstand setzen half. Sachkenntnis, Ehrlichkeit und Hin¬
gebung an das Amt werden jetzt die Haupttugenden. So ist er ebensosehr
an der Umgestaltung des sittlichen Urteils beteiligt. Und kein schönerer Nach¬
ruf ist ihm gehalten worden als in den Worten unsers Kriegsministers Taft,
der es, ohne seinen Namen zu nennen, ohne vielleicht auch an ihn zu denken,
aussprach: Wir müssen unsre Nation und besonders unsre Jugend dazu er¬
ziehen, daß sie nicht nur die geschäftlichen Erfolge des kapitalhüufenden Kauf¬
manns, sondern auch die Treue und die Ausdauer des Beamten, der im
Dienste der Regierung seine Pflicht, unbeobachtet von der großen Welt, erfüllt,
als erstrebenswertes Ideal schützen lerne. Ein dem Deutschen Alltägliches,
Selbstverständliches wird hier neu entdeckt und mit Entdeckerfreude dem Volke
gezeigt. Ein später Sieg des preußischen Pflichtbegriffs.

Und auch auf die Gefahr hin, ins kleinliche zu geraten, sei noch erwähnt:
Karl Schurz war der Anwalt eines in der Union zu schaffenden Forstwesens.
Wieder ein Beamter, ein Förster, ein gebildeter Sachverständiger sollte es sein,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0676" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300463"/>
          <fw type="header" place="top"> Karl Schurz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2665" prev="#ID_2664"> (bedeutend: Häuptling, aus einer der Jndianersprcichcn). Und während für<lb/>
den Mechanismus des parlamentarischen Staates die Partei ihre alte Bedeutung<lb/>
behält, sind die &#x201E;Unabhängigen", besonders seit die Professoren der Universitäten<lb/>
des Landes zahlreich unter ihnen das Wort ergriffen haben, ein Machtmittel<lb/>
der öffentlichen Meinung geworden: sie vertreten die Bildung, sind also ein<lb/>
Bestandteil der werdenden Ungleichheit, so wie der Besitz auf der andern Seite;<lb/>
ein Neues, dessen das Alte zersprengende Art dem Manne, der nur das Alte zu<lb/>
vertreten glaubte, nicht bewußt wurde. &#x201E;Ein Mensch in seinem Widerspruch."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2666"> Auch darin, daß er der Vertreter des Begriffs des Beamten wurde.<lb/>
Sonderbar, er, der den preußischen Staat in seinen Beamten bekämpft hatte,<lb/>
er preist jetzt dem freien Volke als Heilmittel gegen die Verderbnis seines<lb/>
Verwaltungssystems den Beamten an! Hatte er als praktischer Politiker, man<lb/>
darf sagen, den Einfluß verloren, denn er predigte hinter der ungestüm vor¬<lb/>
dringenden Macht her, so schuf er sich hier eine Stellung, die ebenso sehr, wie<lb/>
sie ein Ärgernis den Parteigängern der Republikaner und eine Torheit den auf<lb/>
die Demokratie Eiugeschworuen war, ihn in den Augen der Gebildeten des<lb/>
Landes hob. Er war Präsident des Vereins für Zivildienstreform, er war<lb/>
mit allen &#x201E; Reform"bestrebungen in der städtischen und der staatlichen Ver¬<lb/>
waltung verdürbe». Die Zivildienstreform verlangt an Stelle der alten Partei¬<lb/>
zugehörigkeit den Befähigungsnachweis bei Besetzung der Ämter. Es ist nicht<lb/>
ohne Reiz, ihn dort mit dem Führer der Zivilreformer des Staates Newyork,<lb/>
Theodor Roosevelt, zusammen zu sehen. Hier trafen sich die beiden im ge¬<lb/>
meinsamen Ideale. Das aber wird als ein bleibendes Verdienst des Deutschen<lb/>
Karl Schurz in die Geschichte der Vereinigten Staaten übergehn, daß er, der<lb/>
sonst den Begriffen der Aufklärung und des Liberalismus huldigte, hier die<lb/>
Doktrin fallen ließ und in das republikanische System der Wahl, die das<lb/>
während der voraufgegangnen Wahlperiode Gewordne einfach wieder umstürzt,<lb/>
den beharrenden Beamtenstand setzen half. Sachkenntnis, Ehrlichkeit und Hin¬<lb/>
gebung an das Amt werden jetzt die Haupttugenden. So ist er ebensosehr<lb/>
an der Umgestaltung des sittlichen Urteils beteiligt. Und kein schönerer Nach¬<lb/>
ruf ist ihm gehalten worden als in den Worten unsers Kriegsministers Taft,<lb/>
der es, ohne seinen Namen zu nennen, ohne vielleicht auch an ihn zu denken,<lb/>
aussprach: Wir müssen unsre Nation und besonders unsre Jugend dazu er¬<lb/>
ziehen, daß sie nicht nur die geschäftlichen Erfolge des kapitalhüufenden Kauf¬<lb/>
manns, sondern auch die Treue und die Ausdauer des Beamten, der im<lb/>
Dienste der Regierung seine Pflicht, unbeobachtet von der großen Welt, erfüllt,<lb/>
als erstrebenswertes Ideal schützen lerne. Ein dem Deutschen Alltägliches,<lb/>
Selbstverständliches wird hier neu entdeckt und mit Entdeckerfreude dem Volke<lb/>
gezeigt.  Ein später Sieg des preußischen Pflichtbegriffs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2667" next="#ID_2668"> Und auch auf die Gefahr hin, ins kleinliche zu geraten, sei noch erwähnt:<lb/>
Karl Schurz war der Anwalt eines in der Union zu schaffenden Forstwesens.<lb/>
Wieder ein Beamter, ein Förster, ein gebildeter Sachverständiger sollte es sein,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0676] Karl Schurz (bedeutend: Häuptling, aus einer der Jndianersprcichcn). Und während für den Mechanismus des parlamentarischen Staates die Partei ihre alte Bedeutung behält, sind die „Unabhängigen", besonders seit die Professoren der Universitäten des Landes zahlreich unter ihnen das Wort ergriffen haben, ein Machtmittel der öffentlichen Meinung geworden: sie vertreten die Bildung, sind also ein Bestandteil der werdenden Ungleichheit, so wie der Besitz auf der andern Seite; ein Neues, dessen das Alte zersprengende Art dem Manne, der nur das Alte zu vertreten glaubte, nicht bewußt wurde. „Ein Mensch in seinem Widerspruch." Auch darin, daß er der Vertreter des Begriffs des Beamten wurde. Sonderbar, er, der den preußischen Staat in seinen Beamten bekämpft hatte, er preist jetzt dem freien Volke als Heilmittel gegen die Verderbnis seines Verwaltungssystems den Beamten an! Hatte er als praktischer Politiker, man darf sagen, den Einfluß verloren, denn er predigte hinter der ungestüm vor¬ dringenden Macht her, so schuf er sich hier eine Stellung, die ebenso sehr, wie sie ein Ärgernis den Parteigängern der Republikaner und eine Torheit den auf die Demokratie Eiugeschworuen war, ihn in den Augen der Gebildeten des Landes hob. Er war Präsident des Vereins für Zivildienstreform, er war mit allen „ Reform"bestrebungen in der städtischen und der staatlichen Ver¬ waltung verdürbe». Die Zivildienstreform verlangt an Stelle der alten Partei¬ zugehörigkeit den Befähigungsnachweis bei Besetzung der Ämter. Es ist nicht ohne Reiz, ihn dort mit dem Führer der Zivilreformer des Staates Newyork, Theodor Roosevelt, zusammen zu sehen. Hier trafen sich die beiden im ge¬ meinsamen Ideale. Das aber wird als ein bleibendes Verdienst des Deutschen Karl Schurz in die Geschichte der Vereinigten Staaten übergehn, daß er, der sonst den Begriffen der Aufklärung und des Liberalismus huldigte, hier die Doktrin fallen ließ und in das republikanische System der Wahl, die das während der voraufgegangnen Wahlperiode Gewordne einfach wieder umstürzt, den beharrenden Beamtenstand setzen half. Sachkenntnis, Ehrlichkeit und Hin¬ gebung an das Amt werden jetzt die Haupttugenden. So ist er ebensosehr an der Umgestaltung des sittlichen Urteils beteiligt. Und kein schönerer Nach¬ ruf ist ihm gehalten worden als in den Worten unsers Kriegsministers Taft, der es, ohne seinen Namen zu nennen, ohne vielleicht auch an ihn zu denken, aussprach: Wir müssen unsre Nation und besonders unsre Jugend dazu er¬ ziehen, daß sie nicht nur die geschäftlichen Erfolge des kapitalhüufenden Kauf¬ manns, sondern auch die Treue und die Ausdauer des Beamten, der im Dienste der Regierung seine Pflicht, unbeobachtet von der großen Welt, erfüllt, als erstrebenswertes Ideal schützen lerne. Ein dem Deutschen Alltägliches, Selbstverständliches wird hier neu entdeckt und mit Entdeckerfreude dem Volke gezeigt. Ein später Sieg des preußischen Pflichtbegriffs. Und auch auf die Gefahr hin, ins kleinliche zu geraten, sei noch erwähnt: Karl Schurz war der Anwalt eines in der Union zu schaffenden Forstwesens. Wieder ein Beamter, ein Förster, ein gebildeter Sachverständiger sollte es sein,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/676
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/676>, abgerufen am 28.12.2024.