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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Karl Schurz

bahnen zum Lächerlichen auf den Armen ewig lauert. Das Herrschervolk der
Anglosachsen will den Fremdling nur ungern zu seiner Sprache zulassen.
Der ehemalige Studiosus der Rechte aber, der sich übrigens in der Heimat
schon mit Germanistik befaßt hatte, beherrschte schnell die schwere Sprache,
und am Ende seines Lebens zählte man ihn zu den Klassikern, der politischen
Rede nicht nur, sondern im besondern auch des biographischen Stils.

Ein Deutscher also war er, der, anders als die Mehrheit seiner Stammes-
genossen, am politischen Leben teilnahm, erfolgreich teilnahm. Washington
ist das Ziel des Ehrgeizes jedes Politikers. Er erreichte es, und er errang
dort für einen Ausländer unerhörte Ehren. War er es doch hauptsächlich
gewesen, der durch seine kräftige Unterstützung Lincolns die Frage entscheiden
half, an deren Beantwortung zu jener Zeit das Schicksal der Union hing,
die Frage: Wohin wird sich das Zünglein der Wage im Westen neigen? Die
Deutschen haben den Westen für die Union gerettet. Der deutsche Name
begann damals durch die Begeisterung, mit der Turner, Sänger und Schützen
zur Fahne eilten, einen guten Klang zu erhalten. Man wußte nun, daß es
noch andre Deutsche gab als die verschacherten Hessen.

Und als ob er dem Worte die Tat hinzufügen wollte, wurde Karl Schurz
ein Kämpfer im Bürgerkriege. Er hatte den Gesandtschaftsposten in Madrid
verlassen und erhielt nun ein Kommando im nördlichen Heere. Auch hier
erfolgreich. Sein Name ging in die Geschichte über. Daß er keiner von den
Großen war, die dem Kriege das Gepräge gaben, verschlägt dem Deutsch¬
amerikaner nichts. Das Große ist uns verschlossen und scheint uns vorerst
verschlossen zu bleiben. Wir müssen uns an der Kleinarbeit genügen lassen.
Wir haben es nachgerade gelernt, die Durchschnittstaten der Unsern zu be¬
wundern, und sind froh, wenn sich unter den Blinden der Einäugige findet,
den wir als König den unsern nennen dürfen. Vielleicht auch, daß die
deutsch-amerikanische Geschichtschreibung durch die ins einzelne und ins einzelste
gehende Darstellung der Kleinarbeit der Masse einen neuen Maßstab oder
doch einen eignen geschichtlicher Beurteilung schaffen will. Darin liegt eben
so sehr ein politischer Gedanke wie ein Stück Philosophie: das Volk ist der
Träger des geschichtlichen Geschehens. Haben wir, so etwa geht das Räsonne-
ment, auch nicht die Spitze gebildet, so setzt doch die Spitze logischerweise
die breite Grundlage voraus. Und wenn es sich während zweier Jahrhunderte
darum gehandelt hat, ein Volk zu schaffen, dann sind die, die eben das Volk
gebildet haben, nicht wegzudenken. So hat man zwischen den Führer, der
man nicht sein konnte, und zwischen den Geführten, den es natürlich im freien
Lande nicht gibt, den Helfer, Mithelfer, Gehilfen eingeschoben. Stender organi¬
sierte Washingtons Heer: das Urbild des Deutschen, der die Arbeit verrichtet
und den Siegern die Armeen schafft, damit sie Sieg und Ruhm erfechten.
Washingtons Leibgarde bestand aus Deutschen. Und so durch die Geschichte
der Vereinigten Staaten hin: ging es auch nicht durch den Deutschen, so


Karl Schurz

bahnen zum Lächerlichen auf den Armen ewig lauert. Das Herrschervolk der
Anglosachsen will den Fremdling nur ungern zu seiner Sprache zulassen.
Der ehemalige Studiosus der Rechte aber, der sich übrigens in der Heimat
schon mit Germanistik befaßt hatte, beherrschte schnell die schwere Sprache,
und am Ende seines Lebens zählte man ihn zu den Klassikern, der politischen
Rede nicht nur, sondern im besondern auch des biographischen Stils.

Ein Deutscher also war er, der, anders als die Mehrheit seiner Stammes-
genossen, am politischen Leben teilnahm, erfolgreich teilnahm. Washington
ist das Ziel des Ehrgeizes jedes Politikers. Er erreichte es, und er errang
dort für einen Ausländer unerhörte Ehren. War er es doch hauptsächlich
gewesen, der durch seine kräftige Unterstützung Lincolns die Frage entscheiden
half, an deren Beantwortung zu jener Zeit das Schicksal der Union hing,
die Frage: Wohin wird sich das Zünglein der Wage im Westen neigen? Die
Deutschen haben den Westen für die Union gerettet. Der deutsche Name
begann damals durch die Begeisterung, mit der Turner, Sänger und Schützen
zur Fahne eilten, einen guten Klang zu erhalten. Man wußte nun, daß es
noch andre Deutsche gab als die verschacherten Hessen.

Und als ob er dem Worte die Tat hinzufügen wollte, wurde Karl Schurz
ein Kämpfer im Bürgerkriege. Er hatte den Gesandtschaftsposten in Madrid
verlassen und erhielt nun ein Kommando im nördlichen Heere. Auch hier
erfolgreich. Sein Name ging in die Geschichte über. Daß er keiner von den
Großen war, die dem Kriege das Gepräge gaben, verschlägt dem Deutsch¬
amerikaner nichts. Das Große ist uns verschlossen und scheint uns vorerst
verschlossen zu bleiben. Wir müssen uns an der Kleinarbeit genügen lassen.
Wir haben es nachgerade gelernt, die Durchschnittstaten der Unsern zu be¬
wundern, und sind froh, wenn sich unter den Blinden der Einäugige findet,
den wir als König den unsern nennen dürfen. Vielleicht auch, daß die
deutsch-amerikanische Geschichtschreibung durch die ins einzelne und ins einzelste
gehende Darstellung der Kleinarbeit der Masse einen neuen Maßstab oder
doch einen eignen geschichtlicher Beurteilung schaffen will. Darin liegt eben
so sehr ein politischer Gedanke wie ein Stück Philosophie: das Volk ist der
Träger des geschichtlichen Geschehens. Haben wir, so etwa geht das Räsonne-
ment, auch nicht die Spitze gebildet, so setzt doch die Spitze logischerweise
die breite Grundlage voraus. Und wenn es sich während zweier Jahrhunderte
darum gehandelt hat, ein Volk zu schaffen, dann sind die, die eben das Volk
gebildet haben, nicht wegzudenken. So hat man zwischen den Führer, der
man nicht sein konnte, und zwischen den Geführten, den es natürlich im freien
Lande nicht gibt, den Helfer, Mithelfer, Gehilfen eingeschoben. Stender organi¬
sierte Washingtons Heer: das Urbild des Deutschen, der die Arbeit verrichtet
und den Siegern die Armeen schafft, damit sie Sieg und Ruhm erfechten.
Washingtons Leibgarde bestand aus Deutschen. Und so durch die Geschichte
der Vereinigten Staaten hin: ging es auch nicht durch den Deutschen, so


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[0673] Karl Schurz bahnen zum Lächerlichen auf den Armen ewig lauert. Das Herrschervolk der Anglosachsen will den Fremdling nur ungern zu seiner Sprache zulassen. Der ehemalige Studiosus der Rechte aber, der sich übrigens in der Heimat schon mit Germanistik befaßt hatte, beherrschte schnell die schwere Sprache, und am Ende seines Lebens zählte man ihn zu den Klassikern, der politischen Rede nicht nur, sondern im besondern auch des biographischen Stils. Ein Deutscher also war er, der, anders als die Mehrheit seiner Stammes- genossen, am politischen Leben teilnahm, erfolgreich teilnahm. Washington ist das Ziel des Ehrgeizes jedes Politikers. Er erreichte es, und er errang dort für einen Ausländer unerhörte Ehren. War er es doch hauptsächlich gewesen, der durch seine kräftige Unterstützung Lincolns die Frage entscheiden half, an deren Beantwortung zu jener Zeit das Schicksal der Union hing, die Frage: Wohin wird sich das Zünglein der Wage im Westen neigen? Die Deutschen haben den Westen für die Union gerettet. Der deutsche Name begann damals durch die Begeisterung, mit der Turner, Sänger und Schützen zur Fahne eilten, einen guten Klang zu erhalten. Man wußte nun, daß es noch andre Deutsche gab als die verschacherten Hessen. Und als ob er dem Worte die Tat hinzufügen wollte, wurde Karl Schurz ein Kämpfer im Bürgerkriege. Er hatte den Gesandtschaftsposten in Madrid verlassen und erhielt nun ein Kommando im nördlichen Heere. Auch hier erfolgreich. Sein Name ging in die Geschichte über. Daß er keiner von den Großen war, die dem Kriege das Gepräge gaben, verschlägt dem Deutsch¬ amerikaner nichts. Das Große ist uns verschlossen und scheint uns vorerst verschlossen zu bleiben. Wir müssen uns an der Kleinarbeit genügen lassen. Wir haben es nachgerade gelernt, die Durchschnittstaten der Unsern zu be¬ wundern, und sind froh, wenn sich unter den Blinden der Einäugige findet, den wir als König den unsern nennen dürfen. Vielleicht auch, daß die deutsch-amerikanische Geschichtschreibung durch die ins einzelne und ins einzelste gehende Darstellung der Kleinarbeit der Masse einen neuen Maßstab oder doch einen eignen geschichtlicher Beurteilung schaffen will. Darin liegt eben so sehr ein politischer Gedanke wie ein Stück Philosophie: das Volk ist der Träger des geschichtlichen Geschehens. Haben wir, so etwa geht das Räsonne- ment, auch nicht die Spitze gebildet, so setzt doch die Spitze logischerweise die breite Grundlage voraus. Und wenn es sich während zweier Jahrhunderte darum gehandelt hat, ein Volk zu schaffen, dann sind die, die eben das Volk gebildet haben, nicht wegzudenken. So hat man zwischen den Führer, der man nicht sein konnte, und zwischen den Geführten, den es natürlich im freien Lande nicht gibt, den Helfer, Mithelfer, Gehilfen eingeschoben. Stender organi¬ sierte Washingtons Heer: das Urbild des Deutschen, der die Arbeit verrichtet und den Siegern die Armeen schafft, damit sie Sieg und Ruhm erfechten. Washingtons Leibgarde bestand aus Deutschen. Und so durch die Geschichte der Vereinigten Staaten hin: ging es auch nicht durch den Deutschen, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/673>, abgerufen am 23.07.2024.