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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

machung nur den Sinn haben, im gegebnen Falle, das heißt nach einer
preußischen Niederlage, in Waffengemeinschaft mit Frankreich den Frieden zu
diktieren. Zwar hatte, wie das Werk des preußischen Kriegsministeriums
über die Mobilmachung von 1870 wörtlich mitteilt, "Preußen eine verläßliche
Rückendeckung durch die Zusage Kaiser Alexanders, im Fall des Heraustretens
Österreichs aus der Neutralität eine Armee von 300000 Mann an der Grenze
aufstellen und erforderlichenfalls zur Besetzung von Galizien schreiten zu
wollen, um die österreichischen Streitkräfte zu paralysieren". Aber es war
immerhin zweifelhaft, ob Rußland diesen Vorsprung der österreichischen Mobil¬
machung noch rechtzeitig würde einholen können, und es ist darum nur zu
begreiflich, daß Bismarck jede politische Maßnahme ablehnte, die Österreich auch
nur die geringste Handhabe bieten konnte, zugunsten des Prager Friedens das
Wort zu nehmen, oder die geeignet gewesen wäre, Rußland die zugesagte Hilfe,
weil lediglich "der Vergrößerung Preußens" gewidmet, zu verleiden. Es war
deshalb selbstverständlich, daß der Staatssekretär von Thile noch am 6. August
einem bayrische" Gesandten gegenüber, dessen Gesinnungen gegen Preußen zu
mißtrauen man begründete Ursache zu haben glaubte, sich in bezug auf die
deutsche Frage nicht nur zurückhaltend, sondern direkt ablehnend verhielt.
Nach dem Fall von Paris telegraphierte Kaiser Wilhelm an Kaiser Alexander:
"Preußen wird niemals vergessen, daß es Ihnen zu verdanken ist, wenn der Krieg
nicht die äußersten Dimensionen angenommen hat" -- es bedarf hiernach keiner
weitern Darlegung der Gründe, die die preußische Staatsleitung damals be¬
wogen, der deutschen Frage äußerlich und amtlich nicht eher näher zu treten, als
bis dies ohne Sorge um den weitern Verlauf des Krieges geschehen konnte- Wie
weit die damaligen Sorgen außerhalb eines sehr engen Kreises im einzelnen
bekannt waren, würde heute nur an der Hand von Akten festzustellen sei", aber
es ist immerhin erklärlich, daß das Zögern Bismarcks, die scheinbar schon reife
Frucht der deutschen Einheit zu pflücken, selbst von deutschen Fürsten und ihren
Regierungen nicht verstanden wurde, denen die schweigende zurückhaltende Sicher¬
heit, mit der der Bundeskanzler seine Schritte abmaß, unbegreiflich erschien.

Inzwischen war in der Woche nach der Schlacht bei Wörth das Be¬
lagerungskorps für Straßburg formiert worden. Der improvisierte Charakter
der Schlacht hatte dazu geführt, daß sie von deutscher Seite nicht mit vollem
Einsatz aller Kräfte geschlagen worden war, daß zum Beispiel die badische
Division daran nicht hatte teilnehmen können, und daß die Möglichkeit nicht
hatte in Betracht gezogen werden können, Straßburg im unmittelbaren Anschluß
an die Schlacht durch entschlossenes Zugreifen wegzunehmen. Man hatte sich
auf deutscher Seite allerdings nicht vorstellen können, daß bis zum Morgen
des 7. August ernste Verteidigungsmaßnahmen in Straßburg nicht bestanden. Der
Befehl zur Einschließung der Festung war dann unter dem 10. August ergangen.
Am 14. erhielt General von Werber den Befehl, sich möglichst bald des Platzes
zu bemächtigen. Der Großherzog beschloß nun, sich in die Mitte seiner Truppen
zu begeben, nachdem er zuvor noch einen Vorgeschmack von der geringen Neigung


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

machung nur den Sinn haben, im gegebnen Falle, das heißt nach einer
preußischen Niederlage, in Waffengemeinschaft mit Frankreich den Frieden zu
diktieren. Zwar hatte, wie das Werk des preußischen Kriegsministeriums
über die Mobilmachung von 1870 wörtlich mitteilt, „Preußen eine verläßliche
Rückendeckung durch die Zusage Kaiser Alexanders, im Fall des Heraustretens
Österreichs aus der Neutralität eine Armee von 300000 Mann an der Grenze
aufstellen und erforderlichenfalls zur Besetzung von Galizien schreiten zu
wollen, um die österreichischen Streitkräfte zu paralysieren". Aber es war
immerhin zweifelhaft, ob Rußland diesen Vorsprung der österreichischen Mobil¬
machung noch rechtzeitig würde einholen können, und es ist darum nur zu
begreiflich, daß Bismarck jede politische Maßnahme ablehnte, die Österreich auch
nur die geringste Handhabe bieten konnte, zugunsten des Prager Friedens das
Wort zu nehmen, oder die geeignet gewesen wäre, Rußland die zugesagte Hilfe,
weil lediglich „der Vergrößerung Preußens" gewidmet, zu verleiden. Es war
deshalb selbstverständlich, daß der Staatssekretär von Thile noch am 6. August
einem bayrische« Gesandten gegenüber, dessen Gesinnungen gegen Preußen zu
mißtrauen man begründete Ursache zu haben glaubte, sich in bezug auf die
deutsche Frage nicht nur zurückhaltend, sondern direkt ablehnend verhielt.
Nach dem Fall von Paris telegraphierte Kaiser Wilhelm an Kaiser Alexander:
„Preußen wird niemals vergessen, daß es Ihnen zu verdanken ist, wenn der Krieg
nicht die äußersten Dimensionen angenommen hat" — es bedarf hiernach keiner
weitern Darlegung der Gründe, die die preußische Staatsleitung damals be¬
wogen, der deutschen Frage äußerlich und amtlich nicht eher näher zu treten, als
bis dies ohne Sorge um den weitern Verlauf des Krieges geschehen konnte- Wie
weit die damaligen Sorgen außerhalb eines sehr engen Kreises im einzelnen
bekannt waren, würde heute nur an der Hand von Akten festzustellen sei», aber
es ist immerhin erklärlich, daß das Zögern Bismarcks, die scheinbar schon reife
Frucht der deutschen Einheit zu pflücken, selbst von deutschen Fürsten und ihren
Regierungen nicht verstanden wurde, denen die schweigende zurückhaltende Sicher¬
heit, mit der der Bundeskanzler seine Schritte abmaß, unbegreiflich erschien.

Inzwischen war in der Woche nach der Schlacht bei Wörth das Be¬
lagerungskorps für Straßburg formiert worden. Der improvisierte Charakter
der Schlacht hatte dazu geführt, daß sie von deutscher Seite nicht mit vollem
Einsatz aller Kräfte geschlagen worden war, daß zum Beispiel die badische
Division daran nicht hatte teilnehmen können, und daß die Möglichkeit nicht
hatte in Betracht gezogen werden können, Straßburg im unmittelbaren Anschluß
an die Schlacht durch entschlossenes Zugreifen wegzunehmen. Man hatte sich
auf deutscher Seite allerdings nicht vorstellen können, daß bis zum Morgen
des 7. August ernste Verteidigungsmaßnahmen in Straßburg nicht bestanden. Der
Befehl zur Einschließung der Festung war dann unter dem 10. August ergangen.
Am 14. erhielt General von Werber den Befehl, sich möglichst bald des Platzes
zu bemächtigen. Der Großherzog beschloß nun, sich in die Mitte seiner Truppen
zu begeben, nachdem er zuvor noch einen Vorgeschmack von der geringen Neigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/666>, abgerufen am 23.07.2024.