Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

deshalb unvermeidlich im Wege der Ausdehnung der norddeutschen Verfassung
auf den Süden vollziehen. Baden war dazu bereit, von Hessen waren Bedenken
oder Schwierigkeiten kaum zu gewärtigen. Es konnte sich mithin nur um die
Haltung und die künftige Stellung von Württemberg und Bayern handeln.

Zweifellos mußte dabei der militärische Anteil beider, namentlich Bayerns,
an den kriegerischen Erfolgen in das Gewicht fallen. Je größer und ehren¬
voller er war, desto mehr blieb wohl mit der Neigung Bayerns zu rechnen,
den militärischen und politischen Wert seiner Bundesgenossenschaft bei künftigen
Verhandlungen in militärische und politische Konzessionen umzusetzen, über die
Linie der norddeutschen Verfassung hinaus eine Sonderstellung einzunehmen,
Gebietserweiterungen anzustreben. Für eine vorschauende Staatskunst mußte
es deshalb als ausgemacht gelten, daß die politische Ernte des Krieges noch
während seiner Anbauer einzusammeln war. So lange die deutschen Staaten
in Reih und Glied, Schulter an Schulter, vor dem Feinde standen, mußte es
viel leichter sein, mit ihnen auch zu einem den nationalen Wünschen ent¬
sprechenden politischen Abschluß zu gelangen als nach der Heimkehr, wo ungleich
mehr mit dem Vollgefühl des Siegers, einem dadurch sehr gesteigerten Sou-
veränitütsgefühl und der Einmischung des Auslands zu rechnen sein würde.

Dazu trat als weitere Erwägung die staatsrechtliche Zukunft der im
Siegesfalle wieder mit Deutschland zu vereinenden alten Reichsmarken Elsaß
und Lothringen. Nicht zum zweitenmal sollten sie für Deutschland verloren
gehn. Jeden Anteil an diesem Gewinn lehnte Baden sofort ab, Elsaß und
Lothringen konnten nur mit Preußen vereinigt oder als gemeinsamer Besitz der
neuen deutschen Bundesgemeinschaft zugeführt werden. Aber um sie in eine
künftige deutsche Verfassung einzugliedern, mußte diese Verfassung vorher ge¬
schaffen werden. Auch erschien es als eine völkerrechtliche Notwendigkeit, die
politische Einigung der deutschen Stämme vor dem Friedensschlüsse zu voll-
ziehn, damit Frankreich diesen Frieden, mit allen seinen Folgen, mit einem
einheitlichen deutschen Staatsgebilde, nicht mit einer Anzahl von Verbündeten
zu schließen habe, deren Diplomatie durch ausländische Intrigue und partikulare
Bestrebungen leicht zum Nachteil Gesamtdeutschlands beeinflußt werden konnte.
Schließlich war auch von einem Mitreden oder einem Einspruch fremder Mächte
zugunsten Frankreichs bei den Friedensverhandlungen weit weniger zu besorgen,
sobald sie es mit einem Staats- und völkerrechtlich geeinten Deutschland zu
tun hatten.

Für den Großherzog stand es unerschütterlich fest, daß der Siegespreis
in erster Linie nicht in den Leistungen des besiegten Frankreichs als vielmehr
in der politischen Einigung Deutschlands zu bestehn habe, in der vollen
Ausnutzung einer großen Gelegenheit, wie sie dem deutschen Volke durch die
Gnade der Vorsehung geboten worden und wie sie zum zweitenmal sicherlich
sobald nicht wieder zu erwarten war.

Konnte auch nicht vorausgesetzt werden, daß der Verlauf des Krieges
ein so rapider sein werde wie der von 1866, wo zwischen der Kriegserklärung


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

deshalb unvermeidlich im Wege der Ausdehnung der norddeutschen Verfassung
auf den Süden vollziehen. Baden war dazu bereit, von Hessen waren Bedenken
oder Schwierigkeiten kaum zu gewärtigen. Es konnte sich mithin nur um die
Haltung und die künftige Stellung von Württemberg und Bayern handeln.

Zweifellos mußte dabei der militärische Anteil beider, namentlich Bayerns,
an den kriegerischen Erfolgen in das Gewicht fallen. Je größer und ehren¬
voller er war, desto mehr blieb wohl mit der Neigung Bayerns zu rechnen,
den militärischen und politischen Wert seiner Bundesgenossenschaft bei künftigen
Verhandlungen in militärische und politische Konzessionen umzusetzen, über die
Linie der norddeutschen Verfassung hinaus eine Sonderstellung einzunehmen,
Gebietserweiterungen anzustreben. Für eine vorschauende Staatskunst mußte
es deshalb als ausgemacht gelten, daß die politische Ernte des Krieges noch
während seiner Anbauer einzusammeln war. So lange die deutschen Staaten
in Reih und Glied, Schulter an Schulter, vor dem Feinde standen, mußte es
viel leichter sein, mit ihnen auch zu einem den nationalen Wünschen ent¬
sprechenden politischen Abschluß zu gelangen als nach der Heimkehr, wo ungleich
mehr mit dem Vollgefühl des Siegers, einem dadurch sehr gesteigerten Sou-
veränitütsgefühl und der Einmischung des Auslands zu rechnen sein würde.

Dazu trat als weitere Erwägung die staatsrechtliche Zukunft der im
Siegesfalle wieder mit Deutschland zu vereinenden alten Reichsmarken Elsaß
und Lothringen. Nicht zum zweitenmal sollten sie für Deutschland verloren
gehn. Jeden Anteil an diesem Gewinn lehnte Baden sofort ab, Elsaß und
Lothringen konnten nur mit Preußen vereinigt oder als gemeinsamer Besitz der
neuen deutschen Bundesgemeinschaft zugeführt werden. Aber um sie in eine
künftige deutsche Verfassung einzugliedern, mußte diese Verfassung vorher ge¬
schaffen werden. Auch erschien es als eine völkerrechtliche Notwendigkeit, die
politische Einigung der deutschen Stämme vor dem Friedensschlüsse zu voll-
ziehn, damit Frankreich diesen Frieden, mit allen seinen Folgen, mit einem
einheitlichen deutschen Staatsgebilde, nicht mit einer Anzahl von Verbündeten
zu schließen habe, deren Diplomatie durch ausländische Intrigue und partikulare
Bestrebungen leicht zum Nachteil Gesamtdeutschlands beeinflußt werden konnte.
Schließlich war auch von einem Mitreden oder einem Einspruch fremder Mächte
zugunsten Frankreichs bei den Friedensverhandlungen weit weniger zu besorgen,
sobald sie es mit einem Staats- und völkerrechtlich geeinten Deutschland zu
tun hatten.

Für den Großherzog stand es unerschütterlich fest, daß der Siegespreis
in erster Linie nicht in den Leistungen des besiegten Frankreichs als vielmehr
in der politischen Einigung Deutschlands zu bestehn habe, in der vollen
Ausnutzung einer großen Gelegenheit, wie sie dem deutschen Volke durch die
Gnade der Vorsehung geboten worden und wie sie zum zweitenmal sicherlich
sobald nicht wieder zu erwarten war.

Konnte auch nicht vorausgesetzt werden, daß der Verlauf des Krieges
ein so rapider sein werde wie der von 1866, wo zwischen der Kriegserklärung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0663" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300450"/>
          <fw type="header" place="top"> Großherzog Friedrich von Baden in Versailles</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2632" prev="#ID_2631"> deshalb unvermeidlich im Wege der Ausdehnung der norddeutschen Verfassung<lb/>
auf den Süden vollziehen. Baden war dazu bereit, von Hessen waren Bedenken<lb/>
oder Schwierigkeiten kaum zu gewärtigen. Es konnte sich mithin nur um die<lb/>
Haltung und die künftige Stellung von Württemberg und Bayern handeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2633"> Zweifellos mußte dabei der militärische Anteil beider, namentlich Bayerns,<lb/>
an den kriegerischen Erfolgen in das Gewicht fallen. Je größer und ehren¬<lb/>
voller er war, desto mehr blieb wohl mit der Neigung Bayerns zu rechnen,<lb/>
den militärischen und politischen Wert seiner Bundesgenossenschaft bei künftigen<lb/>
Verhandlungen in militärische und politische Konzessionen umzusetzen, über die<lb/>
Linie der norddeutschen Verfassung hinaus eine Sonderstellung einzunehmen,<lb/>
Gebietserweiterungen anzustreben. Für eine vorschauende Staatskunst mußte<lb/>
es deshalb als ausgemacht gelten, daß die politische Ernte des Krieges noch<lb/>
während seiner Anbauer einzusammeln war. So lange die deutschen Staaten<lb/>
in Reih und Glied, Schulter an Schulter, vor dem Feinde standen, mußte es<lb/>
viel leichter sein, mit ihnen auch zu einem den nationalen Wünschen ent¬<lb/>
sprechenden politischen Abschluß zu gelangen als nach der Heimkehr, wo ungleich<lb/>
mehr mit dem Vollgefühl des Siegers, einem dadurch sehr gesteigerten Sou-<lb/>
veränitütsgefühl und der Einmischung des Auslands zu rechnen sein würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2634"> Dazu trat als weitere Erwägung die staatsrechtliche Zukunft der im<lb/>
Siegesfalle wieder mit Deutschland zu vereinenden alten Reichsmarken Elsaß<lb/>
und Lothringen. Nicht zum zweitenmal sollten sie für Deutschland verloren<lb/>
gehn. Jeden Anteil an diesem Gewinn lehnte Baden sofort ab, Elsaß und<lb/>
Lothringen konnten nur mit Preußen vereinigt oder als gemeinsamer Besitz der<lb/>
neuen deutschen Bundesgemeinschaft zugeführt werden. Aber um sie in eine<lb/>
künftige deutsche Verfassung einzugliedern, mußte diese Verfassung vorher ge¬<lb/>
schaffen werden. Auch erschien es als eine völkerrechtliche Notwendigkeit, die<lb/>
politische Einigung der deutschen Stämme vor dem Friedensschlüsse zu voll-<lb/>
ziehn, damit Frankreich diesen Frieden, mit allen seinen Folgen, mit einem<lb/>
einheitlichen deutschen Staatsgebilde, nicht mit einer Anzahl von Verbündeten<lb/>
zu schließen habe, deren Diplomatie durch ausländische Intrigue und partikulare<lb/>
Bestrebungen leicht zum Nachteil Gesamtdeutschlands beeinflußt werden konnte.<lb/>
Schließlich war auch von einem Mitreden oder einem Einspruch fremder Mächte<lb/>
zugunsten Frankreichs bei den Friedensverhandlungen weit weniger zu besorgen,<lb/>
sobald sie es mit einem Staats- und völkerrechtlich geeinten Deutschland zu<lb/>
tun hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2635"> Für den Großherzog stand es unerschütterlich fest, daß der Siegespreis<lb/>
in erster Linie nicht in den Leistungen des besiegten Frankreichs als vielmehr<lb/>
in der politischen Einigung Deutschlands zu bestehn habe, in der vollen<lb/>
Ausnutzung einer großen Gelegenheit, wie sie dem deutschen Volke durch die<lb/>
Gnade der Vorsehung geboten worden und wie sie zum zweitenmal sicherlich<lb/>
sobald nicht wieder zu erwarten war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2636" next="#ID_2637"> Konnte auch nicht vorausgesetzt werden, daß der Verlauf des Krieges<lb/>
ein so rapider sein werde wie der von 1866, wo zwischen der Kriegserklärung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0663] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles deshalb unvermeidlich im Wege der Ausdehnung der norddeutschen Verfassung auf den Süden vollziehen. Baden war dazu bereit, von Hessen waren Bedenken oder Schwierigkeiten kaum zu gewärtigen. Es konnte sich mithin nur um die Haltung und die künftige Stellung von Württemberg und Bayern handeln. Zweifellos mußte dabei der militärische Anteil beider, namentlich Bayerns, an den kriegerischen Erfolgen in das Gewicht fallen. Je größer und ehren¬ voller er war, desto mehr blieb wohl mit der Neigung Bayerns zu rechnen, den militärischen und politischen Wert seiner Bundesgenossenschaft bei künftigen Verhandlungen in militärische und politische Konzessionen umzusetzen, über die Linie der norddeutschen Verfassung hinaus eine Sonderstellung einzunehmen, Gebietserweiterungen anzustreben. Für eine vorschauende Staatskunst mußte es deshalb als ausgemacht gelten, daß die politische Ernte des Krieges noch während seiner Anbauer einzusammeln war. So lange die deutschen Staaten in Reih und Glied, Schulter an Schulter, vor dem Feinde standen, mußte es viel leichter sein, mit ihnen auch zu einem den nationalen Wünschen ent¬ sprechenden politischen Abschluß zu gelangen als nach der Heimkehr, wo ungleich mehr mit dem Vollgefühl des Siegers, einem dadurch sehr gesteigerten Sou- veränitütsgefühl und der Einmischung des Auslands zu rechnen sein würde. Dazu trat als weitere Erwägung die staatsrechtliche Zukunft der im Siegesfalle wieder mit Deutschland zu vereinenden alten Reichsmarken Elsaß und Lothringen. Nicht zum zweitenmal sollten sie für Deutschland verloren gehn. Jeden Anteil an diesem Gewinn lehnte Baden sofort ab, Elsaß und Lothringen konnten nur mit Preußen vereinigt oder als gemeinsamer Besitz der neuen deutschen Bundesgemeinschaft zugeführt werden. Aber um sie in eine künftige deutsche Verfassung einzugliedern, mußte diese Verfassung vorher ge¬ schaffen werden. Auch erschien es als eine völkerrechtliche Notwendigkeit, die politische Einigung der deutschen Stämme vor dem Friedensschlüsse zu voll- ziehn, damit Frankreich diesen Frieden, mit allen seinen Folgen, mit einem einheitlichen deutschen Staatsgebilde, nicht mit einer Anzahl von Verbündeten zu schließen habe, deren Diplomatie durch ausländische Intrigue und partikulare Bestrebungen leicht zum Nachteil Gesamtdeutschlands beeinflußt werden konnte. Schließlich war auch von einem Mitreden oder einem Einspruch fremder Mächte zugunsten Frankreichs bei den Friedensverhandlungen weit weniger zu besorgen, sobald sie es mit einem Staats- und völkerrechtlich geeinten Deutschland zu tun hatten. Für den Großherzog stand es unerschütterlich fest, daß der Siegespreis in erster Linie nicht in den Leistungen des besiegten Frankreichs als vielmehr in der politischen Einigung Deutschlands zu bestehn habe, in der vollen Ausnutzung einer großen Gelegenheit, wie sie dem deutschen Volke durch die Gnade der Vorsehung geboten worden und wie sie zum zweitenmal sicherlich sobald nicht wieder zu erwarten war. Konnte auch nicht vorausgesetzt werden, daß der Verlauf des Krieges ein so rapider sein werde wie der von 1866, wo zwischen der Kriegserklärung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/663
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/663>, abgerufen am 23.07.2024.