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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Monarchenbegcgnung

zur Welt nicht nur als Beherrscher ihrer Länder sprechen, sondern als die
wahren Repräsentanten ihrer Völker,

Es scheint mir, daß der repräsentative Charakter der beiden Monarchen
von Politikern und Kritikern in England sowohl als in Deutschland häufig
übersehen wird. Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß wenn König Eduard
der Siebente eine Meinung in auswärtigen Angelegenheiten ausspricht, dies
nicht nur seine persönliche Meinung ist, sondern die Meinung Englands. In
ähnlicher Weise sind die von Kaiser Wilhelm dem Zweiten ausgesprochnen
Ansichten über öffentliche Angelegenheiten auch die Ansichten Deutschlands.
Nach meiner Ansicht neigen unsre britischen Publizisten dazu, den Umfang, bis
zu dem die Äußerungen des Kaisers durch seine persönlichen Empfindungen und
Ideen beeinflußt werden, zu übertreiben. Als Engländer könnte ich vielleicht
wünschen, daß diese Theorie richtig wäre, und daß mit Bezug auf gewisse
Fragen, die unser eignes Land betreffen, die Äußerungen Seiner Majestät
einfache persönliche Ansichten wären, die von seinen Landsleuten nicht geteilt
werden. Ein Blick auf die wirklichen Verhältnisse zwingt mich jedoch, diese
Theorie als unhaltbar aufzugeben. Ich habe vou allen meinen Freunden
und Bekannten, die den Vorzug persönlicher Vertrautheit mit Seiner Majestät
gehabt haben, uuterschiedlos gelernt, daß er auf sie den Eindruck eines
Mannes von ungewöhnlicher Befähigung, eines Staatsmannes von außer¬
ordentlicher Kenntnis der deutschen und der fremden politischen Angelegen¬
heiten, eines Mannes von einer einzigen Macht des Ausdrucks und eines
bemerkenswerten Reizes seiner Umgangsformen ist. Ich entnehme aus allen
Berichten, daß er fähig ist, schnell entschiedne Ansichten zu formen, sie
wirksam zum Ausdruck zu bringen und sie dann und wann unerwartet zu
modifizieren.

Aber wenn das so ist, so bestätigt es nur meine Ansicht, daß er ein
Deutscher ist nach dem Herzen der Deutschen. Das Schicksal hat mir be-
schieden, manche deutsche Bekannten zu haben und verschiedne deutsche Freunde,
und ich habe immer bemerkt, daß sie kopfüber zu endgiltigen Schlüssen über
Fragen kamen, für die ihre Kenntnis und Erfahrung, wenngleich reichliche,
so doch unvollständige waren, und daß sie bestimmte Behauptungen auf un¬
zureichender Grundlage aussprachen. Zugleich entdeckte ich, daß sie sehr bereit
waren, ans Einwendungen zu hören, die Stärke der Argumente ihrer Oppo¬
nenten anzuerkennen und ihre Ansichten nach erhaltner Information ohne über¬
müßige Rücksicht auf logische Folgerichtigkeit zu ändern. Es mag wohl sein,
daß diese Neigung auch vom Kaiser geteilt wird. Ist das so, so kann von ihm
auch vorausgesetzt werden, daß er gemeinsam mit seinen Landsleuten denselben
klugen gesunden Menschenverstand hat, der sie veranlaßt, Tatsachen vor
Theorien zu bevorzugen und Ansichten zu modifizieren, sobald ihnen die Un¬
richtigkeit dargetan ist."

Dicey geht nun auf die Lage der europäischen Angelegenheiten ein, soweit
sie durch die Unterhaltungen in Friedrichshof berührt sein möchten: Rußland,


Die Monarchenbegcgnung

zur Welt nicht nur als Beherrscher ihrer Länder sprechen, sondern als die
wahren Repräsentanten ihrer Völker,

Es scheint mir, daß der repräsentative Charakter der beiden Monarchen
von Politikern und Kritikern in England sowohl als in Deutschland häufig
übersehen wird. Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß wenn König Eduard
der Siebente eine Meinung in auswärtigen Angelegenheiten ausspricht, dies
nicht nur seine persönliche Meinung ist, sondern die Meinung Englands. In
ähnlicher Weise sind die von Kaiser Wilhelm dem Zweiten ausgesprochnen
Ansichten über öffentliche Angelegenheiten auch die Ansichten Deutschlands.
Nach meiner Ansicht neigen unsre britischen Publizisten dazu, den Umfang, bis
zu dem die Äußerungen des Kaisers durch seine persönlichen Empfindungen und
Ideen beeinflußt werden, zu übertreiben. Als Engländer könnte ich vielleicht
wünschen, daß diese Theorie richtig wäre, und daß mit Bezug auf gewisse
Fragen, die unser eignes Land betreffen, die Äußerungen Seiner Majestät
einfache persönliche Ansichten wären, die von seinen Landsleuten nicht geteilt
werden. Ein Blick auf die wirklichen Verhältnisse zwingt mich jedoch, diese
Theorie als unhaltbar aufzugeben. Ich habe vou allen meinen Freunden
und Bekannten, die den Vorzug persönlicher Vertrautheit mit Seiner Majestät
gehabt haben, uuterschiedlos gelernt, daß er auf sie den Eindruck eines
Mannes von ungewöhnlicher Befähigung, eines Staatsmannes von außer¬
ordentlicher Kenntnis der deutschen und der fremden politischen Angelegen¬
heiten, eines Mannes von einer einzigen Macht des Ausdrucks und eines
bemerkenswerten Reizes seiner Umgangsformen ist. Ich entnehme aus allen
Berichten, daß er fähig ist, schnell entschiedne Ansichten zu formen, sie
wirksam zum Ausdruck zu bringen und sie dann und wann unerwartet zu
modifizieren.

Aber wenn das so ist, so bestätigt es nur meine Ansicht, daß er ein
Deutscher ist nach dem Herzen der Deutschen. Das Schicksal hat mir be-
schieden, manche deutsche Bekannten zu haben und verschiedne deutsche Freunde,
und ich habe immer bemerkt, daß sie kopfüber zu endgiltigen Schlüssen über
Fragen kamen, für die ihre Kenntnis und Erfahrung, wenngleich reichliche,
so doch unvollständige waren, und daß sie bestimmte Behauptungen auf un¬
zureichender Grundlage aussprachen. Zugleich entdeckte ich, daß sie sehr bereit
waren, ans Einwendungen zu hören, die Stärke der Argumente ihrer Oppo¬
nenten anzuerkennen und ihre Ansichten nach erhaltner Information ohne über¬
müßige Rücksicht auf logische Folgerichtigkeit zu ändern. Es mag wohl sein,
daß diese Neigung auch vom Kaiser geteilt wird. Ist das so, so kann von ihm
auch vorausgesetzt werden, daß er gemeinsam mit seinen Landsleuten denselben
klugen gesunden Menschenverstand hat, der sie veranlaßt, Tatsachen vor
Theorien zu bevorzugen und Ansichten zu modifizieren, sobald ihnen die Un¬
richtigkeit dargetan ist."

Dicey geht nun auf die Lage der europäischen Angelegenheiten ein, soweit
sie durch die Unterhaltungen in Friedrichshof berührt sein möchten: Rußland,


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[0657] Die Monarchenbegcgnung zur Welt nicht nur als Beherrscher ihrer Länder sprechen, sondern als die wahren Repräsentanten ihrer Völker, Es scheint mir, daß der repräsentative Charakter der beiden Monarchen von Politikern und Kritikern in England sowohl als in Deutschland häufig übersehen wird. Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß wenn König Eduard der Siebente eine Meinung in auswärtigen Angelegenheiten ausspricht, dies nicht nur seine persönliche Meinung ist, sondern die Meinung Englands. In ähnlicher Weise sind die von Kaiser Wilhelm dem Zweiten ausgesprochnen Ansichten über öffentliche Angelegenheiten auch die Ansichten Deutschlands. Nach meiner Ansicht neigen unsre britischen Publizisten dazu, den Umfang, bis zu dem die Äußerungen des Kaisers durch seine persönlichen Empfindungen und Ideen beeinflußt werden, zu übertreiben. Als Engländer könnte ich vielleicht wünschen, daß diese Theorie richtig wäre, und daß mit Bezug auf gewisse Fragen, die unser eignes Land betreffen, die Äußerungen Seiner Majestät einfache persönliche Ansichten wären, die von seinen Landsleuten nicht geteilt werden. Ein Blick auf die wirklichen Verhältnisse zwingt mich jedoch, diese Theorie als unhaltbar aufzugeben. Ich habe vou allen meinen Freunden und Bekannten, die den Vorzug persönlicher Vertrautheit mit Seiner Majestät gehabt haben, uuterschiedlos gelernt, daß er auf sie den Eindruck eines Mannes von ungewöhnlicher Befähigung, eines Staatsmannes von außer¬ ordentlicher Kenntnis der deutschen und der fremden politischen Angelegen¬ heiten, eines Mannes von einer einzigen Macht des Ausdrucks und eines bemerkenswerten Reizes seiner Umgangsformen ist. Ich entnehme aus allen Berichten, daß er fähig ist, schnell entschiedne Ansichten zu formen, sie wirksam zum Ausdruck zu bringen und sie dann und wann unerwartet zu modifizieren. Aber wenn das so ist, so bestätigt es nur meine Ansicht, daß er ein Deutscher ist nach dem Herzen der Deutschen. Das Schicksal hat mir be- schieden, manche deutsche Bekannten zu haben und verschiedne deutsche Freunde, und ich habe immer bemerkt, daß sie kopfüber zu endgiltigen Schlüssen über Fragen kamen, für die ihre Kenntnis und Erfahrung, wenngleich reichliche, so doch unvollständige waren, und daß sie bestimmte Behauptungen auf un¬ zureichender Grundlage aussprachen. Zugleich entdeckte ich, daß sie sehr bereit waren, ans Einwendungen zu hören, die Stärke der Argumente ihrer Oppo¬ nenten anzuerkennen und ihre Ansichten nach erhaltner Information ohne über¬ müßige Rücksicht auf logische Folgerichtigkeit zu ändern. Es mag wohl sein, daß diese Neigung auch vom Kaiser geteilt wird. Ist das so, so kann von ihm auch vorausgesetzt werden, daß er gemeinsam mit seinen Landsleuten denselben klugen gesunden Menschenverstand hat, der sie veranlaßt, Tatsachen vor Theorien zu bevorzugen und Ansichten zu modifizieren, sobald ihnen die Un¬ richtigkeit dargetan ist." Dicey geht nun auf die Lage der europäischen Angelegenheiten ein, soweit sie durch die Unterhaltungen in Friedrichshof berührt sein möchten: Rußland,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/657>, abgerufen am 23.07.2024.