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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Durch Transkaukasien

fesselte weniger. Soviel war ihm zu entnehmen, daß es überall gärte. Nervo¬
sität war auch das Kennzeichen des Dienstes auf dem Bahnhofe Tiflis, den
wir nach etwa fünfzehnstündiger Fahrt -- sonst dauert sie zwölf Stunden --
bei völliger Dunkelheit erreichten. Der Stationsvorsteher weigerte sich, was er
sonst sicher nicht getan hätte, unsern bis Baku gelösten Fahrkarten die Giltigkeits-
dauer zu verlängern. Die beschränkte, für die 842 Werst von Batna bis Baku
auf vier Tage festgesetzte Giltigkeit ist das Korrelat gegen die große Verbilligung
der Fahrpreise durch den Zonentarif. Das Billett erster Klasse hatte nur
18,50 Rubel (also etwa Pfennige für den Kilometer) gekostet. Die Rück¬
zahlung des Preises für die nicht abgefcihrne Strecke wurde unter Hinweis auf
die Vorschriften ebenso glatt abgelehnt.

Aber wir waren glücklich in Tiflis und rollten schleunigst vom Bahnhof
bei ziemlicher Kälte durch die nächtlich dunkeln, von vielen Gorodowois be¬
wachten Straßen dem in der russischen Stadt liegenden Hotel London zu. Hier
waren wir von Se. sehnlichst erwartet worden und waren durch unser ver¬
spätetes Eintreffen verschiedner Gelegenheiten verlustig gegangen, von Land und
Leuten außerhalb der Stadt einiges kennen zu lernen. Wir erfuhren genaueres
über die Ermordung des Großfürsten Sergius und die Metzeleien in Baku,
während deren Se. die Stadt gerade passiert hatte. Angesichts der Bestimmt¬
heit, mit der dieses Ereignis ganz allgemein vorausgesagt worden war, schien
es geraten, dem mit ebensolcher Bestimmtheit verbreiteten Gerücht von der am
Sonnabend, den 4. März, bevorstehenden Erneuerung der Unordnungen in Baku
Beachtung zu schenken, weil dadurch die Überfahrt nach Transkaspien in Frage
gestellt werden konnte. Wir einigten uns darum in einem sofort abgehaltnen
Kriegsrat zum Verzicht auf weiteres Bleiben in Kaukasien sowie auf Fahrten
nach Eriwcm, Kars und Mzchet und beschlossen, nach zwei Tagen weiterzurcisen.
Zunächst jedoch genossen wir mit unendlichem Behagen die ganz deutsche Ordnung
und Sauberkeit des von Frau Richter regierten Hotels, lernten ihre Küche und
ihren Keller schätzen und sammelten in den vorzüglichen Betten in traumlosen
Schlafe neue Kräfte zur Aufnahme weiterer Eindrücke.




Durch Transkaukasien

fesselte weniger. Soviel war ihm zu entnehmen, daß es überall gärte. Nervo¬
sität war auch das Kennzeichen des Dienstes auf dem Bahnhofe Tiflis, den
wir nach etwa fünfzehnstündiger Fahrt — sonst dauert sie zwölf Stunden —
bei völliger Dunkelheit erreichten. Der Stationsvorsteher weigerte sich, was er
sonst sicher nicht getan hätte, unsern bis Baku gelösten Fahrkarten die Giltigkeits-
dauer zu verlängern. Die beschränkte, für die 842 Werst von Batna bis Baku
auf vier Tage festgesetzte Giltigkeit ist das Korrelat gegen die große Verbilligung
der Fahrpreise durch den Zonentarif. Das Billett erster Klasse hatte nur
18,50 Rubel (also etwa Pfennige für den Kilometer) gekostet. Die Rück¬
zahlung des Preises für die nicht abgefcihrne Strecke wurde unter Hinweis auf
die Vorschriften ebenso glatt abgelehnt.

Aber wir waren glücklich in Tiflis und rollten schleunigst vom Bahnhof
bei ziemlicher Kälte durch die nächtlich dunkeln, von vielen Gorodowois be¬
wachten Straßen dem in der russischen Stadt liegenden Hotel London zu. Hier
waren wir von Se. sehnlichst erwartet worden und waren durch unser ver¬
spätetes Eintreffen verschiedner Gelegenheiten verlustig gegangen, von Land und
Leuten außerhalb der Stadt einiges kennen zu lernen. Wir erfuhren genaueres
über die Ermordung des Großfürsten Sergius und die Metzeleien in Baku,
während deren Se. die Stadt gerade passiert hatte. Angesichts der Bestimmt¬
heit, mit der dieses Ereignis ganz allgemein vorausgesagt worden war, schien
es geraten, dem mit ebensolcher Bestimmtheit verbreiteten Gerücht von der am
Sonnabend, den 4. März, bevorstehenden Erneuerung der Unordnungen in Baku
Beachtung zu schenken, weil dadurch die Überfahrt nach Transkaspien in Frage
gestellt werden konnte. Wir einigten uns darum in einem sofort abgehaltnen
Kriegsrat zum Verzicht auf weiteres Bleiben in Kaukasien sowie auf Fahrten
nach Eriwcm, Kars und Mzchet und beschlossen, nach zwei Tagen weiterzurcisen.
Zunächst jedoch genossen wir mit unendlichem Behagen die ganz deutsche Ordnung
und Sauberkeit des von Frau Richter regierten Hotels, lernten ihre Küche und
ihren Keller schätzen und sammelten in den vorzüglichen Betten in traumlosen
Schlafe neue Kräfte zur Aufnahme weiterer Eindrücke.




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[0626] Durch Transkaukasien fesselte weniger. Soviel war ihm zu entnehmen, daß es überall gärte. Nervo¬ sität war auch das Kennzeichen des Dienstes auf dem Bahnhofe Tiflis, den wir nach etwa fünfzehnstündiger Fahrt — sonst dauert sie zwölf Stunden — bei völliger Dunkelheit erreichten. Der Stationsvorsteher weigerte sich, was er sonst sicher nicht getan hätte, unsern bis Baku gelösten Fahrkarten die Giltigkeits- dauer zu verlängern. Die beschränkte, für die 842 Werst von Batna bis Baku auf vier Tage festgesetzte Giltigkeit ist das Korrelat gegen die große Verbilligung der Fahrpreise durch den Zonentarif. Das Billett erster Klasse hatte nur 18,50 Rubel (also etwa Pfennige für den Kilometer) gekostet. Die Rück¬ zahlung des Preises für die nicht abgefcihrne Strecke wurde unter Hinweis auf die Vorschriften ebenso glatt abgelehnt. Aber wir waren glücklich in Tiflis und rollten schleunigst vom Bahnhof bei ziemlicher Kälte durch die nächtlich dunkeln, von vielen Gorodowois be¬ wachten Straßen dem in der russischen Stadt liegenden Hotel London zu. Hier waren wir von Se. sehnlichst erwartet worden und waren durch unser ver¬ spätetes Eintreffen verschiedner Gelegenheiten verlustig gegangen, von Land und Leuten außerhalb der Stadt einiges kennen zu lernen. Wir erfuhren genaueres über die Ermordung des Großfürsten Sergius und die Metzeleien in Baku, während deren Se. die Stadt gerade passiert hatte. Angesichts der Bestimmt¬ heit, mit der dieses Ereignis ganz allgemein vorausgesagt worden war, schien es geraten, dem mit ebensolcher Bestimmtheit verbreiteten Gerücht von der am Sonnabend, den 4. März, bevorstehenden Erneuerung der Unordnungen in Baku Beachtung zu schenken, weil dadurch die Überfahrt nach Transkaspien in Frage gestellt werden konnte. Wir einigten uns darum in einem sofort abgehaltnen Kriegsrat zum Verzicht auf weiteres Bleiben in Kaukasien sowie auf Fahrten nach Eriwcm, Kars und Mzchet und beschlossen, nach zwei Tagen weiterzurcisen. Zunächst jedoch genossen wir mit unendlichem Behagen die ganz deutsche Ordnung und Sauberkeit des von Frau Richter regierten Hotels, lernten ihre Küche und ihren Keller schätzen und sammelten in den vorzüglichen Betten in traumlosen Schlafe neue Kräfte zur Aufnahme weiterer Eindrücke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/626>, abgerufen am 23.07.2024.