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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Durch Transkaukasien

zur Kammhöhe zu bewältigen. Immer kühner wird die Linienführung der
Strecke. Aus Kurven unmittelbar in Gegenkurven übergehend, unzählig oft
das brausende Gebirgswasser überschreitend, bald rechts bald links an den Berg¬
hang angeschmiegt oder wie "ein dunkler Korridor in die Talwände einge¬
schnitten", ist diese Bahn eine der kühnsten und schönsten Verkehrsanlagen und
eröffnet vielfach wechselnde, oft überraschende Einblicke in die Gebirgslandschaft.
Schmelzwasser in graugrünlicher Färbung führend braust der Fluß gegen seine
Ufer, die an der Außenseite seiner scharfen Krümmungen mit Quadermauerwerk
bekleidet sind. An manchen Stellen hat die Eisenbahn das Flußbett verengern
und überbauen müssen. Über den Trachyt-, Schiefer- und Alabasterbrüchen der
Einschnitte werden auf der von der Sonne bestrahlten Talseite Alpenweiden,
hier und da Hütten und Höfe, auch Weinberge sichtbar, und stellenweise be¬
ginnt der Jmerete auf schmalen Flächen den Boden für die Aufnahme der
Saat zu bearbeiten. Hier und da lösen dichter Efeu und tief herabhängender
Baumwuchs die buntfarbigen, weißlich-gelben, blutrot geäderten Flächen ab.
Zunächst noch dunkelgrün erscheinend und eine üppige Frühlingsblumenpracht
versprechend, sind höher hinauf die Hänge und Wände auf ihrer Nordseite
immer mehr mit Schnee bedeckt, den die stark wärmende Frühlingssonne noch
nicht hat bezwingen können. Reiner und klarer wird die Luft, aber auch
empfindlich kühler. Winterlich wird die Landschaft, winterlich die Gewandung
der Bewohner und der Eisenbahnbeamten auf der Strecke. Mancherlei Bau¬
werk zeugt von alter und neuer Kultur: in den Öffnungen enger Seitentäler
die Ruinen alter Festen, dann wieder gutgehaltne Anwesen, Landhäuser und
Bauernhöfe, Straßenbauten und Telegraphenlinien. Außer dem Eisenbahn- und
Staatstelegraphen begleitet der englisch-indische Überlandtelegraph mit zwei sehr
starken Drähten auf eignem Gestänge die Eisenbahn; zu ihrem Schaden und
jetzt wohl großen Bedauern haben ihn die Russen durch ihr Reich über die
Krim und am Schwarzen Meer entlang, weiter über Ssamtredi und Tiflis
nach Persien hinein führen lassen.

Um nichts zu verlieren, haben wir schon längst im Nestaurationswcigen
Platz genommen und durch dessen Glasfenster rechts und links geschaut, dazu
uns zum erstenmal in russischem Stil, d. h. mit Sakußka, Wodka und Schtschi
genährt und nebenbei auf die Unterhaltung der Mitreisenden zu achten versucht.
Es war eine Anzahl Offiziere, ein General, dessen Brigade auf dieser Strecke
verteilt war, Generalstäbler und Kosaken, die natürlich die Ereignisse des Tages
besprachen. Auch die technische Seite der Bahnanlage mußte unser Interesse
fesseln. Eingleisig, wie die allermeisten russischen Eisenbahnen, ist sie auf der
eben durchfahrnen Strecke durch die schon erwähnten kurzen Stationsabstünde
für einen verhältnismüßig hoch zu steigernden Betrieb eingerichtet. Dennoch
kaun sie nnr sehr langsam befahren werden, da sie auf der kurzen Entfernung
von Scharopan bis zum Tunnel von Zipa-Warwarino immerhin mindestens
vierhundert Meter ansteigt und zu einem großen Teil auf Kunstbauten läuft.


Durch Transkaukasien

zur Kammhöhe zu bewältigen. Immer kühner wird die Linienführung der
Strecke. Aus Kurven unmittelbar in Gegenkurven übergehend, unzählig oft
das brausende Gebirgswasser überschreitend, bald rechts bald links an den Berg¬
hang angeschmiegt oder wie „ein dunkler Korridor in die Talwände einge¬
schnitten", ist diese Bahn eine der kühnsten und schönsten Verkehrsanlagen und
eröffnet vielfach wechselnde, oft überraschende Einblicke in die Gebirgslandschaft.
Schmelzwasser in graugrünlicher Färbung führend braust der Fluß gegen seine
Ufer, die an der Außenseite seiner scharfen Krümmungen mit Quadermauerwerk
bekleidet sind. An manchen Stellen hat die Eisenbahn das Flußbett verengern
und überbauen müssen. Über den Trachyt-, Schiefer- und Alabasterbrüchen der
Einschnitte werden auf der von der Sonne bestrahlten Talseite Alpenweiden,
hier und da Hütten und Höfe, auch Weinberge sichtbar, und stellenweise be¬
ginnt der Jmerete auf schmalen Flächen den Boden für die Aufnahme der
Saat zu bearbeiten. Hier und da lösen dichter Efeu und tief herabhängender
Baumwuchs die buntfarbigen, weißlich-gelben, blutrot geäderten Flächen ab.
Zunächst noch dunkelgrün erscheinend und eine üppige Frühlingsblumenpracht
versprechend, sind höher hinauf die Hänge und Wände auf ihrer Nordseite
immer mehr mit Schnee bedeckt, den die stark wärmende Frühlingssonne noch
nicht hat bezwingen können. Reiner und klarer wird die Luft, aber auch
empfindlich kühler. Winterlich wird die Landschaft, winterlich die Gewandung
der Bewohner und der Eisenbahnbeamten auf der Strecke. Mancherlei Bau¬
werk zeugt von alter und neuer Kultur: in den Öffnungen enger Seitentäler
die Ruinen alter Festen, dann wieder gutgehaltne Anwesen, Landhäuser und
Bauernhöfe, Straßenbauten und Telegraphenlinien. Außer dem Eisenbahn- und
Staatstelegraphen begleitet der englisch-indische Überlandtelegraph mit zwei sehr
starken Drähten auf eignem Gestänge die Eisenbahn; zu ihrem Schaden und
jetzt wohl großen Bedauern haben ihn die Russen durch ihr Reich über die
Krim und am Schwarzen Meer entlang, weiter über Ssamtredi und Tiflis
nach Persien hinein führen lassen.

Um nichts zu verlieren, haben wir schon längst im Nestaurationswcigen
Platz genommen und durch dessen Glasfenster rechts und links geschaut, dazu
uns zum erstenmal in russischem Stil, d. h. mit Sakußka, Wodka und Schtschi
genährt und nebenbei auf die Unterhaltung der Mitreisenden zu achten versucht.
Es war eine Anzahl Offiziere, ein General, dessen Brigade auf dieser Strecke
verteilt war, Generalstäbler und Kosaken, die natürlich die Ereignisse des Tages
besprachen. Auch die technische Seite der Bahnanlage mußte unser Interesse
fesseln. Eingleisig, wie die allermeisten russischen Eisenbahnen, ist sie auf der
eben durchfahrnen Strecke durch die schon erwähnten kurzen Stationsabstünde
für einen verhältnismüßig hoch zu steigernden Betrieb eingerichtet. Dennoch
kaun sie nnr sehr langsam befahren werden, da sie auf der kurzen Entfernung
von Scharopan bis zum Tunnel von Zipa-Warwarino immerhin mindestens
vierhundert Meter ansteigt und zu einem großen Teil auf Kunstbauten läuft.


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[0623] Durch Transkaukasien zur Kammhöhe zu bewältigen. Immer kühner wird die Linienführung der Strecke. Aus Kurven unmittelbar in Gegenkurven übergehend, unzählig oft das brausende Gebirgswasser überschreitend, bald rechts bald links an den Berg¬ hang angeschmiegt oder wie „ein dunkler Korridor in die Talwände einge¬ schnitten", ist diese Bahn eine der kühnsten und schönsten Verkehrsanlagen und eröffnet vielfach wechselnde, oft überraschende Einblicke in die Gebirgslandschaft. Schmelzwasser in graugrünlicher Färbung führend braust der Fluß gegen seine Ufer, die an der Außenseite seiner scharfen Krümmungen mit Quadermauerwerk bekleidet sind. An manchen Stellen hat die Eisenbahn das Flußbett verengern und überbauen müssen. Über den Trachyt-, Schiefer- und Alabasterbrüchen der Einschnitte werden auf der von der Sonne bestrahlten Talseite Alpenweiden, hier und da Hütten und Höfe, auch Weinberge sichtbar, und stellenweise be¬ ginnt der Jmerete auf schmalen Flächen den Boden für die Aufnahme der Saat zu bearbeiten. Hier und da lösen dichter Efeu und tief herabhängender Baumwuchs die buntfarbigen, weißlich-gelben, blutrot geäderten Flächen ab. Zunächst noch dunkelgrün erscheinend und eine üppige Frühlingsblumenpracht versprechend, sind höher hinauf die Hänge und Wände auf ihrer Nordseite immer mehr mit Schnee bedeckt, den die stark wärmende Frühlingssonne noch nicht hat bezwingen können. Reiner und klarer wird die Luft, aber auch empfindlich kühler. Winterlich wird die Landschaft, winterlich die Gewandung der Bewohner und der Eisenbahnbeamten auf der Strecke. Mancherlei Bau¬ werk zeugt von alter und neuer Kultur: in den Öffnungen enger Seitentäler die Ruinen alter Festen, dann wieder gutgehaltne Anwesen, Landhäuser und Bauernhöfe, Straßenbauten und Telegraphenlinien. Außer dem Eisenbahn- und Staatstelegraphen begleitet der englisch-indische Überlandtelegraph mit zwei sehr starken Drähten auf eignem Gestänge die Eisenbahn; zu ihrem Schaden und jetzt wohl großen Bedauern haben ihn die Russen durch ihr Reich über die Krim und am Schwarzen Meer entlang, weiter über Ssamtredi und Tiflis nach Persien hinein führen lassen. Um nichts zu verlieren, haben wir schon längst im Nestaurationswcigen Platz genommen und durch dessen Glasfenster rechts und links geschaut, dazu uns zum erstenmal in russischem Stil, d. h. mit Sakußka, Wodka und Schtschi genährt und nebenbei auf die Unterhaltung der Mitreisenden zu achten versucht. Es war eine Anzahl Offiziere, ein General, dessen Brigade auf dieser Strecke verteilt war, Generalstäbler und Kosaken, die natürlich die Ereignisse des Tages besprachen. Auch die technische Seite der Bahnanlage mußte unser Interesse fesseln. Eingleisig, wie die allermeisten russischen Eisenbahnen, ist sie auf der eben durchfahrnen Strecke durch die schon erwähnten kurzen Stationsabstünde für einen verhältnismüßig hoch zu steigernden Betrieb eingerichtet. Dennoch kaun sie nnr sehr langsam befahren werden, da sie auf der kurzen Entfernung von Scharopan bis zum Tunnel von Zipa-Warwarino immerhin mindestens vierhundert Meter ansteigt und zu einem großen Teil auf Kunstbauten läuft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/623>, abgerufen am 25.08.2024.