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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Gin deutsches Käiserschlosz in Apulien

konnte sein Blick von der ragenden Höhe aus noch ungehemmt weithin über
das sonnige Land zu seinen Füßen schweifen. Da vermochte er noch den
Schiffen am funkelnden Meeresstrande zu folgen, wie sie kamen und gingen,
um auf sein Geheiß Waffen, Kriegswerkzeuge und kostbare Stoffe aus dem
fernen Morgenlande heimzuholen; da überschaute er die Stätten, die unter seiner
weisen Fürsorge so rasch und so glänzend emporgeblüht waren, vor allem sein
getreues Andria, in dessen Dom neben Jolcmthe von Jerusalem die heißgeliebte
dritte Gemahlin Jsabella von England seit 1240 ruhte. Heute kann man
von diesen Grabmälern keine sichere Spur mehr nachweisen. Wohl hat man
dort im Dome, angeregt durch das lebhafte Interesse, das unser Kaiser den
Denkmälern des staufischen Hauses entgegenbringt, in der neusten Zeit Nach¬
forschungen darüber angestellt, doch haben sie zu keinem befriedigenden Resultat
geführt. Arthur Haseloff hat in seinen "Kaiserinnengräbern in Andria" (ein
Beitrag zur Apulischen Kunstgeschichte unter Friedrich H., Rom, 1905) das
Ergebnis dieser Forschungen dargelegt, nach denen nur das eine festzustehn
scheint, daß die Grüber nicht, wie früher angenommen wurde, am Hauptportal,
sondern in der Unterkirche des Domes gewesen sind.

Wie über diesen Grabstätten, so waltet auch ein undurchdringliches Dunkel
über dem Ausgang der letzten Träger des staufischen Namens, der drei Söhne
König Manfreds, der 1266 in der Schlacht bei Benevent gegen Karl von Anjou
fiel. In der Vorhalle der Kathedrale zu Canosa werden zwar noch zwei
Steine gezeigt, die nach einer bis in den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
hinaufreichenden Sage die Überreste von zweien jener Unglücklichen bergen.
Fest steht jedoch nur, daß sie durch das grausame Gebot des Anjous im
zarten Kindesalter schon aus dem liebenden Arm der Mutter gerissen, jahr¬
zehntelang auf Castel del Monte in enger Kerkerhaft gehalten worden sind,
und daß sie niemals ihre Freiheit erlangt haben. Wie ein riesiges Grabmal
erschien uns plötzlich der Bau mit seinen verödeten Gemächern, worin der letzte
Akt der Tragödie von dem Untergang eines der gewaltigsten Herrschergeschlechter
Deutschlands wahrscheinlich seinen traurigen Abschluß gefunden hat.

Von den Anjous mit Wällen und Gruben versehen, von denen heute jede
Spur verschwunden ist, mag das Schloß selbst bis tief in das siebzehnte Jahr¬
hundert hinein in bewohnbarem Zustande gewesen sein. Aus dem Besitz der
französischen Herrscherfamilie ging es in den der jeweiligen Herren von Andria,
der Balzi und dann der Caraffa, über, die sich nach ihm sogar Prinzen von
Castel del Monte nannten. Auch Ferdinand der Erste, der zweite König
Neapels aus dem Hause Aragon, dessen despotischer, aber streng geordneter
Negierung Unteritalien noch einmal ein kurzes Aufblühen verdankte, hielt sich,
ehe er sich zu Barletta krönen ließ, in dem Schlosse, von der prachtvollen
Lage begeistert, einige Zeit auf. Und in der Tat läßt sich kaum eine weitere,
freiere Aussicht denken in die Lande ringsum, als man sie von dem platten
Dache des hügelabschließenden Baues genießt. Mit einem Blick überschaut


Gin deutsches Käiserschlosz in Apulien

konnte sein Blick von der ragenden Höhe aus noch ungehemmt weithin über
das sonnige Land zu seinen Füßen schweifen. Da vermochte er noch den
Schiffen am funkelnden Meeresstrande zu folgen, wie sie kamen und gingen,
um auf sein Geheiß Waffen, Kriegswerkzeuge und kostbare Stoffe aus dem
fernen Morgenlande heimzuholen; da überschaute er die Stätten, die unter seiner
weisen Fürsorge so rasch und so glänzend emporgeblüht waren, vor allem sein
getreues Andria, in dessen Dom neben Jolcmthe von Jerusalem die heißgeliebte
dritte Gemahlin Jsabella von England seit 1240 ruhte. Heute kann man
von diesen Grabmälern keine sichere Spur mehr nachweisen. Wohl hat man
dort im Dome, angeregt durch das lebhafte Interesse, das unser Kaiser den
Denkmälern des staufischen Hauses entgegenbringt, in der neusten Zeit Nach¬
forschungen darüber angestellt, doch haben sie zu keinem befriedigenden Resultat
geführt. Arthur Haseloff hat in seinen „Kaiserinnengräbern in Andria" (ein
Beitrag zur Apulischen Kunstgeschichte unter Friedrich H., Rom, 1905) das
Ergebnis dieser Forschungen dargelegt, nach denen nur das eine festzustehn
scheint, daß die Grüber nicht, wie früher angenommen wurde, am Hauptportal,
sondern in der Unterkirche des Domes gewesen sind.

Wie über diesen Grabstätten, so waltet auch ein undurchdringliches Dunkel
über dem Ausgang der letzten Träger des staufischen Namens, der drei Söhne
König Manfreds, der 1266 in der Schlacht bei Benevent gegen Karl von Anjou
fiel. In der Vorhalle der Kathedrale zu Canosa werden zwar noch zwei
Steine gezeigt, die nach einer bis in den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
hinaufreichenden Sage die Überreste von zweien jener Unglücklichen bergen.
Fest steht jedoch nur, daß sie durch das grausame Gebot des Anjous im
zarten Kindesalter schon aus dem liebenden Arm der Mutter gerissen, jahr¬
zehntelang auf Castel del Monte in enger Kerkerhaft gehalten worden sind,
und daß sie niemals ihre Freiheit erlangt haben. Wie ein riesiges Grabmal
erschien uns plötzlich der Bau mit seinen verödeten Gemächern, worin der letzte
Akt der Tragödie von dem Untergang eines der gewaltigsten Herrschergeschlechter
Deutschlands wahrscheinlich seinen traurigen Abschluß gefunden hat.

Von den Anjous mit Wällen und Gruben versehen, von denen heute jede
Spur verschwunden ist, mag das Schloß selbst bis tief in das siebzehnte Jahr¬
hundert hinein in bewohnbarem Zustande gewesen sein. Aus dem Besitz der
französischen Herrscherfamilie ging es in den der jeweiligen Herren von Andria,
der Balzi und dann der Caraffa, über, die sich nach ihm sogar Prinzen von
Castel del Monte nannten. Auch Ferdinand der Erste, der zweite König
Neapels aus dem Hause Aragon, dessen despotischer, aber streng geordneter
Negierung Unteritalien noch einmal ein kurzes Aufblühen verdankte, hielt sich,
ehe er sich zu Barletta krönen ließ, in dem Schlosse, von der prachtvollen
Lage begeistert, einige Zeit auf. Und in der Tat läßt sich kaum eine weitere,
freiere Aussicht denken in die Lande ringsum, als man sie von dem platten
Dache des hügelabschließenden Baues genießt. Mit einem Blick überschaut


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/584>, abgerufen am 25.08.2024.