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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments

gibt zwei (Z-raunt LwucliiiZ Liommittöss, acht Lössicmal (üoinmittöss und eine
unbestimmte Zahl von Zslsot Loinrnittsss, die zur Vorberatung der einzelnen
Brivats Bills gewählt werden. Eines der 8sssioug,1 Lomniittsss, das Lominittse-
ok Lölövtion, hat diese Spezialansschüsse zu organisieren.

Die Verhandlungsgegenstände gliedern sich in die zwei großen Gruppen
der Budlio und der Brivs-es Bills. Die Bublicz Bills besorgen das Buhuo
Buswsss, schaffen das allgemeine Recht, die Briva-es Bills schaffen Partikular¬
rechte. Budli" Bills können auch von einzelnen Mitgliedern eingebracht werden,
aber seit der Umgestaltung der Geschäftsordnung geschieht das nur noch selten,
sodaß heute Buhlin? Bill beinahe gleichbedeutend ist mit Regierungsvorlage.
Das wichtigste Budlio Business ist natürlich das Budget. In die sehr ver¬
wickelten Einzelheiten der Budgeterledigung können wir nicht eingehn und er¬
wähnen nur zweierlei: daß die Mitglieder zwar die Herabsetzung, aber niemals
eine Erhöhung von Budgetposten beantragen dürfen, und daß nach Redlichs
Darstellung Gneist in keinem Punkte die englische Verfassung gründlicher mi߬
verstanden hat als in Beziehung auf das Budgetrecht des Unterhauses. Gneist
hat herausgefunden, daß ein selbständiges Ausgabenbewilligungsrecht der Volks¬
vertretung nicht bestehe, daß das Budget kein Gesetz, sondern dem Gesetze
untergeordnet sei, und daß die Finanzgebarung der Minister auf königlichem
Auftrage beruhe, nicht auf einer vom Parlament erteilten Vollmacht. Redlich
widerlegt diese drei Behauptungen und schließt seine Polemik mit den Sätzen:
"Seit 1688 hat die englische Krone mit den Staatsfinanzen nichts mehr zu
schaffen. Wenn Gneist immer wieder auf die großen Vollmachten hinweist,
die das Ministerium in Hinsicht auf das Budget besitzt, so ist ja die Erklärung
dafür gegeben worden: sie liegt in der fundamentalen Tatsache der parla¬
mentarischen Regierung. Aus diesem Grunde jweil die Regierung bloß der
Vollzugsausschuß des Hauses W ist ein Budgetkonflikt in England undenkbar;
aus diesem Grunde ist eine Vudgetverweigerung niemals vorgekommen, und
eben deshalb ist auch, wie Gneist unermüdlich und mit Recht betont, die Zahl
der von den Commons am Staatsvoranschlag vorgenommnen Abstriche seit
Jahrzehnten so gering, daß sie geradezu eine Seltenheit geworden sind. Das
ist eine sehr wichtige Tatsache, die auch immer wieder in England scharf
kritisiert wird. Aber nichts ist irriger, als wenn man diese Tatsachen dazu
benützt, die Grundlagen des englischen Staatsrechts zu leugnen, anstatt in
ihnen die Wirkungen der Parlamentssouveränität und deren Bestätigung zu
sehen. Budgetfragen sind in England längst keine Verfassungsfragen mehr."

Die Brivatö Bills, nicht zu verwechseln mit Bnvlio Bills, die von Brivaw
Nsindsrs eingebracht werden, haben Petitionen von natürlichen und juristischen
Personen: Gemeinden, Aktiengesellschaften, Genossenschaften zum Gegenstande.
Früher überwogen die Petitionen von natürlichen Personen. Die moderne
Entwicklung hat diese zurückgedrängt und dem Unterhause eine ungeheure
Arbeitslast aufgebürdet, indem es durch?rivg.es Bills genötigt wird, die immer


Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments

gibt zwei (Z-raunt LwucliiiZ Liommittöss, acht Lössicmal (üoinmittöss und eine
unbestimmte Zahl von Zslsot Loinrnittsss, die zur Vorberatung der einzelnen
Brivats Bills gewählt werden. Eines der 8sssioug,1 Lomniittsss, das Lominittse-
ok Lölövtion, hat diese Spezialansschüsse zu organisieren.

Die Verhandlungsgegenstände gliedern sich in die zwei großen Gruppen
der Budlio und der Brivs-es Bills. Die Bublicz Bills besorgen das Buhuo
Buswsss, schaffen das allgemeine Recht, die Briva-es Bills schaffen Partikular¬
rechte. Budli« Bills können auch von einzelnen Mitgliedern eingebracht werden,
aber seit der Umgestaltung der Geschäftsordnung geschieht das nur noch selten,
sodaß heute Buhlin? Bill beinahe gleichbedeutend ist mit Regierungsvorlage.
Das wichtigste Budlio Business ist natürlich das Budget. In die sehr ver¬
wickelten Einzelheiten der Budgeterledigung können wir nicht eingehn und er¬
wähnen nur zweierlei: daß die Mitglieder zwar die Herabsetzung, aber niemals
eine Erhöhung von Budgetposten beantragen dürfen, und daß nach Redlichs
Darstellung Gneist in keinem Punkte die englische Verfassung gründlicher mi߬
verstanden hat als in Beziehung auf das Budgetrecht des Unterhauses. Gneist
hat herausgefunden, daß ein selbständiges Ausgabenbewilligungsrecht der Volks¬
vertretung nicht bestehe, daß das Budget kein Gesetz, sondern dem Gesetze
untergeordnet sei, und daß die Finanzgebarung der Minister auf königlichem
Auftrage beruhe, nicht auf einer vom Parlament erteilten Vollmacht. Redlich
widerlegt diese drei Behauptungen und schließt seine Polemik mit den Sätzen:
„Seit 1688 hat die englische Krone mit den Staatsfinanzen nichts mehr zu
schaffen. Wenn Gneist immer wieder auf die großen Vollmachten hinweist,
die das Ministerium in Hinsicht auf das Budget besitzt, so ist ja die Erklärung
dafür gegeben worden: sie liegt in der fundamentalen Tatsache der parla¬
mentarischen Regierung. Aus diesem Grunde jweil die Regierung bloß der
Vollzugsausschuß des Hauses W ist ein Budgetkonflikt in England undenkbar;
aus diesem Grunde ist eine Vudgetverweigerung niemals vorgekommen, und
eben deshalb ist auch, wie Gneist unermüdlich und mit Recht betont, die Zahl
der von den Commons am Staatsvoranschlag vorgenommnen Abstriche seit
Jahrzehnten so gering, daß sie geradezu eine Seltenheit geworden sind. Das
ist eine sehr wichtige Tatsache, die auch immer wieder in England scharf
kritisiert wird. Aber nichts ist irriger, als wenn man diese Tatsachen dazu
benützt, die Grundlagen des englischen Staatsrechts zu leugnen, anstatt in
ihnen die Wirkungen der Parlamentssouveränität und deren Bestätigung zu
sehen. Budgetfragen sind in England längst keine Verfassungsfragen mehr."

Die Brivatö Bills, nicht zu verwechseln mit Bnvlio Bills, die von Brivaw
Nsindsrs eingebracht werden, haben Petitionen von natürlichen und juristischen
Personen: Gemeinden, Aktiengesellschaften, Genossenschaften zum Gegenstande.
Früher überwogen die Petitionen von natürlichen Personen. Die moderne
Entwicklung hat diese zurückgedrängt und dem Unterhause eine ungeheure
Arbeitslast aufgebürdet, indem es durch?rivg.es Bills genötigt wird, die immer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/570>, abgerufen am 25.08.2024.