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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung

1800 in Italien, so glänzend sie waren, doch nur an der Spitze von ver¬
hältnismäßig kleinen Armeen gegen ebensolche auf einem entsprechend be¬
schränkten Kriegsschauplatz errungen hatte. Der Charakter der neuern Krieg¬
führung offenbarte sich recht eigentlich erst im Jahre 1805. Hier finden wir
zuerst unsre modernen großen Schlachtenkörper in den aus mehreren Divisionen
bestehenden Armeekorps und den Kavalleriedivisionen, deren Masse Napoleon,
bei voller Wahrung der Flüssigkeit der Organisation, in das große Korps der
Kavalleriereserve zusammenfaßte. Damit war unter Beibehalt der vollen Be¬
weglichkeit, die die Armeen der Republik ausgezeichnet hatte, bei geschickter
Führung der Zusammenhalt der Massen und deren Einsatz an der ent¬
scheidenden Stelle ermöglicht.

Schon diese Organisation verlieh Napoleon ein großes Übergewicht wie
1805 den Österreichern, so 1806 den Preußen gegenüber, da diese noch an
der alten starren linearen Kampfform festhielten. Wohl bestand sie nicht mehr
unbedingt, vielmehr hatte die Fechtweise der Franzosen auch ihre Gegner ge¬
zwungen, sich mehrfach zu teilen. Diese suchten dem aber durch Entsendungen
zu entsprechen, gaben damit ihre Kräfte zum Teil aus der Hand und büßten
das Schlagartige ein, das die alte Taktik der eng geschlossen gehaltnen Armee
an sich gehabt hatte, ohne den Vorteil organisch gegliederter Schlachtenkörper
dafür einzutauschen. Allerdings war auch bei der preußischen Armee eine Ein¬
teilung in gemischte Divisionen getroffen, sie konnte sich jedoch, da sie erst
während des Aufmarsches in Thüringen vorgenommen wurde, nicht mehr ein¬
leben. Die Generale waren in der Führung dieser großen Schlachtenkörper
nicht geübt, und solche hatten nebenbei den Nachteil, daß die zahlreiche und
tüchtige Kavallerie auf die einzelnen Divisionen zersplittert wurde.

Nicht nur auf diesem Gebiete waren jedoch die Preußen ihren Gegnern
unterlegen. Ihre Führer waren -- und das ist durchaus natürlich -- noch
völlig befangen in den Vorstellungen der gelehrten Strategie, wie sie nach
dem siebenjährigen Kriege aufgekommen war, die sich in selbstgefälligen
Theorien voll mathematischer Abstraktionen sowie gekünstelter Überschätzung
des Geländes erging und darüber den Blick für das Einfache und Natürliche,
das allein im Kriege Wert hat, verlor. Bei den Franzosen aber hatte die
langjährige Kriegspraxis in hohem Maße die Fähigkeit entwickelt, sich mit
Schwierigkeiten aller Art abzufinden. Sie verstanden es, sich geschickt dem
Gelände anzupassen, sie waren an rasche Entwicklungen, wie sie der Bewegungs¬
krieg fordert, gewöhnt. Abgesehen von der Anwendung der Kolonnen auch
im Gefecht, war aber die niedere Taktik bei den Franzosen der preußischen
keineswegs so sehr überlegen, wie es meist dargestellt worden ist. Gewiß,
ihre Tirailleurs waren den schwerfälligen geschlossenen Linien der Preußen
sehr lästig, das Schützengefecht wurde bei der Masse der preußischen Truppen
zu wenig angewandt, aber entscheidend war das auf dem Schlachtfelde nicht.
Man muß sich immer vorhalten, daß das Plüntlerfeuer zur Zeit des glatten


Bleibendes und vergängliches in der Kriegführung

1800 in Italien, so glänzend sie waren, doch nur an der Spitze von ver¬
hältnismäßig kleinen Armeen gegen ebensolche auf einem entsprechend be¬
schränkten Kriegsschauplatz errungen hatte. Der Charakter der neuern Krieg¬
führung offenbarte sich recht eigentlich erst im Jahre 1805. Hier finden wir
zuerst unsre modernen großen Schlachtenkörper in den aus mehreren Divisionen
bestehenden Armeekorps und den Kavalleriedivisionen, deren Masse Napoleon,
bei voller Wahrung der Flüssigkeit der Organisation, in das große Korps der
Kavalleriereserve zusammenfaßte. Damit war unter Beibehalt der vollen Be¬
weglichkeit, die die Armeen der Republik ausgezeichnet hatte, bei geschickter
Führung der Zusammenhalt der Massen und deren Einsatz an der ent¬
scheidenden Stelle ermöglicht.

Schon diese Organisation verlieh Napoleon ein großes Übergewicht wie
1805 den Österreichern, so 1806 den Preußen gegenüber, da diese noch an
der alten starren linearen Kampfform festhielten. Wohl bestand sie nicht mehr
unbedingt, vielmehr hatte die Fechtweise der Franzosen auch ihre Gegner ge¬
zwungen, sich mehrfach zu teilen. Diese suchten dem aber durch Entsendungen
zu entsprechen, gaben damit ihre Kräfte zum Teil aus der Hand und büßten
das Schlagartige ein, das die alte Taktik der eng geschlossen gehaltnen Armee
an sich gehabt hatte, ohne den Vorteil organisch gegliederter Schlachtenkörper
dafür einzutauschen. Allerdings war auch bei der preußischen Armee eine Ein¬
teilung in gemischte Divisionen getroffen, sie konnte sich jedoch, da sie erst
während des Aufmarsches in Thüringen vorgenommen wurde, nicht mehr ein¬
leben. Die Generale waren in der Führung dieser großen Schlachtenkörper
nicht geübt, und solche hatten nebenbei den Nachteil, daß die zahlreiche und
tüchtige Kavallerie auf die einzelnen Divisionen zersplittert wurde.

Nicht nur auf diesem Gebiete waren jedoch die Preußen ihren Gegnern
unterlegen. Ihre Führer waren — und das ist durchaus natürlich — noch
völlig befangen in den Vorstellungen der gelehrten Strategie, wie sie nach
dem siebenjährigen Kriege aufgekommen war, die sich in selbstgefälligen
Theorien voll mathematischer Abstraktionen sowie gekünstelter Überschätzung
des Geländes erging und darüber den Blick für das Einfache und Natürliche,
das allein im Kriege Wert hat, verlor. Bei den Franzosen aber hatte die
langjährige Kriegspraxis in hohem Maße die Fähigkeit entwickelt, sich mit
Schwierigkeiten aller Art abzufinden. Sie verstanden es, sich geschickt dem
Gelände anzupassen, sie waren an rasche Entwicklungen, wie sie der Bewegungs¬
krieg fordert, gewöhnt. Abgesehen von der Anwendung der Kolonnen auch
im Gefecht, war aber die niedere Taktik bei den Franzosen der preußischen
keineswegs so sehr überlegen, wie es meist dargestellt worden ist. Gewiß,
ihre Tirailleurs waren den schwerfälligen geschlossenen Linien der Preußen
sehr lästig, das Schützengefecht wurde bei der Masse der preußischen Truppen
zu wenig angewandt, aber entscheidend war das auf dem Schlachtfelde nicht.
Man muß sich immer vorhalten, daß das Plüntlerfeuer zur Zeit des glatten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/558>, abgerufen am 23.07.2024.