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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Durch Transkaukasien

Landschaftlich hervorragend schön, in gartenähnlicher Gegend, umrahmt von
den Ende Februar noch schneebedeckten Lasistcmbergen, die Stadt schmuck und
sauber, wäre Batna ein "Edelstein in der Krone des Zaren", wenn es nicht
zugleich ein Tummelplatz wilder Leidenschaften, ein Herd ewiger Unruhe und
Aufregung wäre. Ein Wunder ist das ja freilich nicht. Man muß sich nur
vergegenwärtigen, welches Gemisch in Kaukasien durch Ablösung immer neuer
Völkerscharen in vorgeschichtlicher und in geschichtlicher Zeit entstanden und an
der Küste durch Kreuzung mit griechischen und italienischen Schiffern und Ein¬
wandrern und türkischen Eroberern verdorben ist. Südlich heißblütig, durch ein
warmes Klima und die Fruchtbarkeit des Bodens begünstigt, leicht zu ernähren und
nicht übermäßig arbeitslustig, ist es das geeignetste Menschenmaterial für Putsche
und unüberlegte Streiche geworden, auf das der Zuzug lasischer Elemente und
verarmter, von Haus und Hof Vertriebner, durch Güterschlächter zur Verzweiflung
gebrachter Bauern keineswegs beruhigend wirken konnte. Welche Rolle Dolch und
Revolver spielen, konnte schon die Tatsache lehren, daß die Schüler einer höhern
Lehranstalt einen mißliebigen Lehrer umgebracht haben, und daß die Fälle nicht
selten waren, daß Kaufleute oder Reisende in ebenso deutlicher wie hohnvoll höf¬
licher Weise auf offner Straße aufgefordert werden, von dem Überfluß ihrer Porte¬
monnaies eine nicht unbedeutende Summe abzugeben. Rußland hatte nach der
Erwerbung im Jahre 1878 Batna bis 1886 als Freihafen bestehn lassen, dann
aber die Zollfreiheit aufgehoben. Seit dieser Zeit ging die Bedeutung des Hafens
stark zurück, denn der kleinasiatische Handel verzog sich nun zunächst nach den
türkischen Küstenplätzen, während das aufblühende Noworossiisk im kaukasischen
Handel starke Konkurrenz machte. Die sich hieraus ergebende Verschlechterung
der Erwerbsverhältnisse der arbeitenden und der Schiffahrt treibenden Bevölkerung
mußte natürlich immer mehr beunruhigend wirken und hatte schon vor zwei bis
drei Jahren unhaltbare Zustände herbeigeführt. Natürlich hatte die von den
Hauptstädten ausgehende, in den südrussischen Hafenplätzen aufgenommne Be¬
wegung, wahrscheinlich unter dem Einfluß von Sendungen der roten Pro¬
paganda, eine sehr bedenkliche Wendung zum schlimmern hervorgerufen, der
gegenüber die geringe Garnison. Festungsinfanterie, Artillerie, Scippeure und
Mineure, nicht mit der nötigen Energie verwandt wurde. Zwar waren die Un¬
ruhen von Anfang Februar beigelegt, doch erhielten sich dauernd alarmierende
Gerüchte, die unsern Kapitän zu der Äußerung bewogen, das sei nicht mehr
Streik sondern Aufruhr, Gerüchte, daß es am folgenden Sonnabend, dem 4. März,
wieder losgehn solle.

Als wir am Sonntag gegen zwei Uhr Nachmittags in den Hafen einliefen,
lag die tiefste Stille über dem Wasser. Kein Mensch war auf den mitten um
Hafenbecken verankerten Petroleumdampfern zu sehen, kein Schiff löschte, und
nur am Ende der Landzunge wurde ein Getreidedampfer am dortigen Pier von
Soldaten entladen, weil sonst Hungersnot ausgebrochen wäre. Ganz wenig
Boote schaukelten sich auf dem kristallklaren Wasser; ihre Insassen wurden von


Grenzboten III 1906 ^
Durch Transkaukasien

Landschaftlich hervorragend schön, in gartenähnlicher Gegend, umrahmt von
den Ende Februar noch schneebedeckten Lasistcmbergen, die Stadt schmuck und
sauber, wäre Batna ein „Edelstein in der Krone des Zaren", wenn es nicht
zugleich ein Tummelplatz wilder Leidenschaften, ein Herd ewiger Unruhe und
Aufregung wäre. Ein Wunder ist das ja freilich nicht. Man muß sich nur
vergegenwärtigen, welches Gemisch in Kaukasien durch Ablösung immer neuer
Völkerscharen in vorgeschichtlicher und in geschichtlicher Zeit entstanden und an
der Küste durch Kreuzung mit griechischen und italienischen Schiffern und Ein¬
wandrern und türkischen Eroberern verdorben ist. Südlich heißblütig, durch ein
warmes Klima und die Fruchtbarkeit des Bodens begünstigt, leicht zu ernähren und
nicht übermäßig arbeitslustig, ist es das geeignetste Menschenmaterial für Putsche
und unüberlegte Streiche geworden, auf das der Zuzug lasischer Elemente und
verarmter, von Haus und Hof Vertriebner, durch Güterschlächter zur Verzweiflung
gebrachter Bauern keineswegs beruhigend wirken konnte. Welche Rolle Dolch und
Revolver spielen, konnte schon die Tatsache lehren, daß die Schüler einer höhern
Lehranstalt einen mißliebigen Lehrer umgebracht haben, und daß die Fälle nicht
selten waren, daß Kaufleute oder Reisende in ebenso deutlicher wie hohnvoll höf¬
licher Weise auf offner Straße aufgefordert werden, von dem Überfluß ihrer Porte¬
monnaies eine nicht unbedeutende Summe abzugeben. Rußland hatte nach der
Erwerbung im Jahre 1878 Batna bis 1886 als Freihafen bestehn lassen, dann
aber die Zollfreiheit aufgehoben. Seit dieser Zeit ging die Bedeutung des Hafens
stark zurück, denn der kleinasiatische Handel verzog sich nun zunächst nach den
türkischen Küstenplätzen, während das aufblühende Noworossiisk im kaukasischen
Handel starke Konkurrenz machte. Die sich hieraus ergebende Verschlechterung
der Erwerbsverhältnisse der arbeitenden und der Schiffahrt treibenden Bevölkerung
mußte natürlich immer mehr beunruhigend wirken und hatte schon vor zwei bis
drei Jahren unhaltbare Zustände herbeigeführt. Natürlich hatte die von den
Hauptstädten ausgehende, in den südrussischen Hafenplätzen aufgenommne Be¬
wegung, wahrscheinlich unter dem Einfluß von Sendungen der roten Pro¬
paganda, eine sehr bedenkliche Wendung zum schlimmern hervorgerufen, der
gegenüber die geringe Garnison. Festungsinfanterie, Artillerie, Scippeure und
Mineure, nicht mit der nötigen Energie verwandt wurde. Zwar waren die Un¬
ruhen von Anfang Februar beigelegt, doch erhielten sich dauernd alarmierende
Gerüchte, die unsern Kapitän zu der Äußerung bewogen, das sei nicht mehr
Streik sondern Aufruhr, Gerüchte, daß es am folgenden Sonnabend, dem 4. März,
wieder losgehn solle.

Als wir am Sonntag gegen zwei Uhr Nachmittags in den Hafen einliefen,
lag die tiefste Stille über dem Wasser. Kein Mensch war auf den mitten um
Hafenbecken verankerten Petroleumdampfern zu sehen, kein Schiff löschte, und
nur am Ende der Landzunge wurde ein Getreidedampfer am dortigen Pier von
Soldaten entladen, weil sonst Hungersnot ausgebrochen wäre. Ganz wenig
Boote schaukelten sich auf dem kristallklaren Wasser; ihre Insassen wurden von


Grenzboten III 1906 ^
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[0521] Durch Transkaukasien Landschaftlich hervorragend schön, in gartenähnlicher Gegend, umrahmt von den Ende Februar noch schneebedeckten Lasistcmbergen, die Stadt schmuck und sauber, wäre Batna ein „Edelstein in der Krone des Zaren", wenn es nicht zugleich ein Tummelplatz wilder Leidenschaften, ein Herd ewiger Unruhe und Aufregung wäre. Ein Wunder ist das ja freilich nicht. Man muß sich nur vergegenwärtigen, welches Gemisch in Kaukasien durch Ablösung immer neuer Völkerscharen in vorgeschichtlicher und in geschichtlicher Zeit entstanden und an der Küste durch Kreuzung mit griechischen und italienischen Schiffern und Ein¬ wandrern und türkischen Eroberern verdorben ist. Südlich heißblütig, durch ein warmes Klima und die Fruchtbarkeit des Bodens begünstigt, leicht zu ernähren und nicht übermäßig arbeitslustig, ist es das geeignetste Menschenmaterial für Putsche und unüberlegte Streiche geworden, auf das der Zuzug lasischer Elemente und verarmter, von Haus und Hof Vertriebner, durch Güterschlächter zur Verzweiflung gebrachter Bauern keineswegs beruhigend wirken konnte. Welche Rolle Dolch und Revolver spielen, konnte schon die Tatsache lehren, daß die Schüler einer höhern Lehranstalt einen mißliebigen Lehrer umgebracht haben, und daß die Fälle nicht selten waren, daß Kaufleute oder Reisende in ebenso deutlicher wie hohnvoll höf¬ licher Weise auf offner Straße aufgefordert werden, von dem Überfluß ihrer Porte¬ monnaies eine nicht unbedeutende Summe abzugeben. Rußland hatte nach der Erwerbung im Jahre 1878 Batna bis 1886 als Freihafen bestehn lassen, dann aber die Zollfreiheit aufgehoben. Seit dieser Zeit ging die Bedeutung des Hafens stark zurück, denn der kleinasiatische Handel verzog sich nun zunächst nach den türkischen Küstenplätzen, während das aufblühende Noworossiisk im kaukasischen Handel starke Konkurrenz machte. Die sich hieraus ergebende Verschlechterung der Erwerbsverhältnisse der arbeitenden und der Schiffahrt treibenden Bevölkerung mußte natürlich immer mehr beunruhigend wirken und hatte schon vor zwei bis drei Jahren unhaltbare Zustände herbeigeführt. Natürlich hatte die von den Hauptstädten ausgehende, in den südrussischen Hafenplätzen aufgenommne Be¬ wegung, wahrscheinlich unter dem Einfluß von Sendungen der roten Pro¬ paganda, eine sehr bedenkliche Wendung zum schlimmern hervorgerufen, der gegenüber die geringe Garnison. Festungsinfanterie, Artillerie, Scippeure und Mineure, nicht mit der nötigen Energie verwandt wurde. Zwar waren die Un¬ ruhen von Anfang Februar beigelegt, doch erhielten sich dauernd alarmierende Gerüchte, die unsern Kapitän zu der Äußerung bewogen, das sei nicht mehr Streik sondern Aufruhr, Gerüchte, daß es am folgenden Sonnabend, dem 4. März, wieder losgehn solle. Als wir am Sonntag gegen zwei Uhr Nachmittags in den Hafen einliefen, lag die tiefste Stille über dem Wasser. Kein Mensch war auf den mitten um Hafenbecken verankerten Petroleumdampfern zu sehen, kein Schiff löschte, und nur am Ende der Landzunge wurde ein Getreidedampfer am dortigen Pier von Soldaten entladen, weil sonst Hungersnot ausgebrochen wäre. Ganz wenig Boote schaukelten sich auf dem kristallklaren Wasser; ihre Insassen wurden von Grenzboten III 1906 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/521>, abgerufen am 27.12.2024.