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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Das neue Exerzierreglement für die Infanterie

vieles andre wichen von allem, was ein europäischer Krieg bieten konnte, sehr
weit ab; außerdem konnte man wohl bezweifeln, ob man die Schießleistungen
einer Bevölkerung, die wie die Buren von Kindheit an die Büchse in der
Hand hatte, mit denen eines europäischen Heeres würde vergleichen können.
Eins nur bewies der Burenkrieg für alle, die dieses Beweises noch bedurften,
auf das schlagendste: die Erfolglosigkeit der strengen Defensive, auf die sich
die Buren bei der Mangelhaftigkeit ihrer militärischen Organisation beschränken
mußten. Trotzdem die englischen Angriffe glänzend abgewiesen wurden,
wurden die Engländer durch ihre Niederlagen doch nie ins Herz getroffen,
wie es Hütte geschehen können, wenn die Buren ihrerseits zum Angriff und
zur Verfolgung übergegangen wären. So konnten die Engländer das, was
ihnen das erstemal mißlungen war, später besser vorbereitet wiederholen. Sie
haben wieder einmal bewiesen, daß der Erfolg im Kriege dem gehört, der dem
Gegner zu Leibe geht und ihn anpackt.

Es galt nur die Mittel zu finden, die dem Angriffe trotz allen weit¬
tragenden Schnellfeuerwaffen die Möglichkeit des Gelingens geben konnten.
Die Frage, auf die es dabei ankam, wie es möglich sei, eine freie, vom feind¬
lichen Feuer beftrichne Strecke ohne allzugroße Verluste zu durchschreiten, ver¬
suchte man damals mit der sogenannten Burentatik zu lösen, d. h. man
ging mit dünnen lichten Schützenlinien, die sich in einem Abstände von
mehreren hundert Metern folgten, gegen den Feind vor. Kam die vorderste
Linie so nahe heran, daß ein weiteres Vorgehn ohne große Verluste nicht
mehr möglich war, so warf sie sich nieder und wurde von den nachfolgenden
Schützenlinien nach und nach so weit verstärkt, daß sie ein wirkungsvolles
Feuer eröffnen konnte, mit dessen Hilfe sich einzelne Teile immer näher an
den Feind "heranarbeiteten". So hoffte man allmählich die "Feuerüberlegen¬
heit" und damit die Möglichkeit zu gewinnen, den Feind im letzten Sturm¬
anlauf aus seiner Stellung hinauszuwerfen. Dieses Verfahren hatte neben
mancherlei Vorteilen auch große Nachteile; vor allem den, daß die zuerst
vorgehenden Schützenlinien lange Zeit dem Feinde gegenüber in der Minder¬
heit ausharren mußten und so einem Feuer ausgesetzt waren, dem sie nichts
Gleichartiges entgegenzusetzen hatten. Um diese und andre Nachteile zu ver¬
meiden, versuchte man auch das Vorgehn über solche besonders gefährliche
Geländestreifen in die Dunkelheit zu verlegen, oder die eignen Schützen suchten
sich durch Kriechen auf dem Boden dem Auge des Feindes zu entziehn.
Das Reglement vou 1888 stand allen solchen Versuchen durchaus nicht im
Wege. Es schrieb sogar ausdrücklich vor, daß die normalen Formen an¬
standslos aufgegeben werden müßten, sobald die Wechselfülle des Gefechts dies
verlangten.

Der ostasiatische Krieg bot zum erstenmal Gelegenheit, die Wirkungen
moderner Bewaffnung und Taktik in einem Kampfe zu beobachten, dessen Be¬
dingungen denen eines europäischen Krieges im wesentlichen glichen. Die


Das neue Exerzierreglement für die Infanterie

vieles andre wichen von allem, was ein europäischer Krieg bieten konnte, sehr
weit ab; außerdem konnte man wohl bezweifeln, ob man die Schießleistungen
einer Bevölkerung, die wie die Buren von Kindheit an die Büchse in der
Hand hatte, mit denen eines europäischen Heeres würde vergleichen können.
Eins nur bewies der Burenkrieg für alle, die dieses Beweises noch bedurften,
auf das schlagendste: die Erfolglosigkeit der strengen Defensive, auf die sich
die Buren bei der Mangelhaftigkeit ihrer militärischen Organisation beschränken
mußten. Trotzdem die englischen Angriffe glänzend abgewiesen wurden,
wurden die Engländer durch ihre Niederlagen doch nie ins Herz getroffen,
wie es Hütte geschehen können, wenn die Buren ihrerseits zum Angriff und
zur Verfolgung übergegangen wären. So konnten die Engländer das, was
ihnen das erstemal mißlungen war, später besser vorbereitet wiederholen. Sie
haben wieder einmal bewiesen, daß der Erfolg im Kriege dem gehört, der dem
Gegner zu Leibe geht und ihn anpackt.

Es galt nur die Mittel zu finden, die dem Angriffe trotz allen weit¬
tragenden Schnellfeuerwaffen die Möglichkeit des Gelingens geben konnten.
Die Frage, auf die es dabei ankam, wie es möglich sei, eine freie, vom feind¬
lichen Feuer beftrichne Strecke ohne allzugroße Verluste zu durchschreiten, ver¬
suchte man damals mit der sogenannten Burentatik zu lösen, d. h. man
ging mit dünnen lichten Schützenlinien, die sich in einem Abstände von
mehreren hundert Metern folgten, gegen den Feind vor. Kam die vorderste
Linie so nahe heran, daß ein weiteres Vorgehn ohne große Verluste nicht
mehr möglich war, so warf sie sich nieder und wurde von den nachfolgenden
Schützenlinien nach und nach so weit verstärkt, daß sie ein wirkungsvolles
Feuer eröffnen konnte, mit dessen Hilfe sich einzelne Teile immer näher an
den Feind „heranarbeiteten". So hoffte man allmählich die „Feuerüberlegen¬
heit" und damit die Möglichkeit zu gewinnen, den Feind im letzten Sturm¬
anlauf aus seiner Stellung hinauszuwerfen. Dieses Verfahren hatte neben
mancherlei Vorteilen auch große Nachteile; vor allem den, daß die zuerst
vorgehenden Schützenlinien lange Zeit dem Feinde gegenüber in der Minder¬
heit ausharren mußten und so einem Feuer ausgesetzt waren, dem sie nichts
Gleichartiges entgegenzusetzen hatten. Um diese und andre Nachteile zu ver¬
meiden, versuchte man auch das Vorgehn über solche besonders gefährliche
Geländestreifen in die Dunkelheit zu verlegen, oder die eignen Schützen suchten
sich durch Kriechen auf dem Boden dem Auge des Feindes zu entziehn.
Das Reglement vou 1888 stand allen solchen Versuchen durchaus nicht im
Wege. Es schrieb sogar ausdrücklich vor, daß die normalen Formen an¬
standslos aufgegeben werden müßten, sobald die Wechselfülle des Gefechts dies
verlangten.

Der ostasiatische Krieg bot zum erstenmal Gelegenheit, die Wirkungen
moderner Bewaffnung und Taktik in einem Kampfe zu beobachten, dessen Be¬
dingungen denen eines europäischen Krieges im wesentlichen glichen. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/500>, abgerufen am 29.12.2024.