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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Das neue Exerzierreglement für die Infanterie

gesetztes Kampfverfahren eingeführt wurde. Jedenfalls hatte das deutsche
Verfahren den Vorteil, daß die Armee nicht dazu kam, sich mit einem ge¬
gebnen Schema bequem zu beruhigen, sondern der weite Spielraum, den das
Reglement ließ, nötigte zu immer neuen Versuchen, das Problem des Jn-
fcmteriekampfes zu lösen. Wie eifrig daran gearbeitet worden ist, zeigen die
zahllosen Aufsätze in Zeitschriften und Broschüren, die sich mit diesen Fragen
befaßt haben, und die Mannigfaltigkeit der Bilder, die die Übungs- und
Manöverplätze seither geboten haben.

Manche Offiziere wollten nur mit einem gewissen Widerstreben der Schützen¬
linie das Recht der "Hauptkampfform" einräumen und wollten, wenn sie auch
der Schützenlinie die Arbeit des Feuerkampfes zuwiesen, doch die eigentliche
Kraft und den Impuls zum Angriff in dem Vorstoß möglichst starker zurück-
gehaltener geschlossener Reserven sehen. Man fürchtete dabei wohl, daß in den
losen Schützenlinien der Einfluß der Führer nicht stark genug sei, um diese
im feindlichen Feuer zum Vorgehn zu veranlassen, eine Befürchtung, die öfter
mit dem Hinweise damit begründet wurde. daß das Reglement von 1888
mancherlei althergebrachte Exerziermanöver, die als Mittel der Erziehung zur
Disziplin hoch eingeschätzt wurden, der erweiterten Gefechtsausbildung ge¬
opfert hatte. Alle diese Ansichten, auch die gerade entgegengesetzten, die be¬
sonders in der Literatur ihre Vertreter fanden und teilweise bis zu der Be¬
hauptung gingen, der Angriff sei überhaupt ein Ding der Unmöglichkeit, konnten
nur durch die Erfahrungen des wirklichen Krieges berichtigt werden.

Diese brachte zunächst der Burenkrieg, bei dem sich anfangs die Engländer
infolge ihres rücksichtslosen Draufgehens, trotz aller ihrer sehr anerkennens¬
werten Tapferkeit, einige empfindliche Niederlagen holten. Die Engländer
haben in ihrer Presse das deutsche Gefechtsverfahren, dem sie gefolgt seien,
für ihre Mißerfolge verantwortlich gemacht. Das ist sicher ein unberechtigter
Vorwurf, wenn auch zugegeben werden muß, daß damals auf vielen deutschen
Exerzierplätzen Gefechte zur Darstellung kamen, in denen der Wirkung der
modernen Schußwaffen nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Man
darf aber auch nicht vergessen, daß die Darstellung eines Jnfanteriekampfes
auf dem Übungsplatze zu den allerschwierigsten Aufgaben der militärischen Aus¬
bildung gehört. Der Truppe muß das Streben, nach vorwärts und an den Feind
heran zu gehen, anerzogen werden, und so kommt es bei Friedensübungen leicht
dahin, daß der Angriff zu einem durch kurze mit Schießen ausgefüllte Pausen
unterbrochner Heranlaufen an den Feind wird, während in Wirklichkeit der Feuer¬
kampf stundenlang dauert, und sich nur hin und wieder den Schützen die Gelegen¬
heit bietet, in einem Sprunge dem Feinde ein Stückchen näher zu kommen.

Immerhin gaben die Erfahrungen aus dem Burenkriege einen Maßstab
zur Beurteilung der Wirkung des modernen Jnfanteriefeuers. Nur war eine
gewisse Vorsicht bei der Anwendung dieser Erfahrungen geboten. Denn die
Geländeverhältnisse des Kriegsschauplatzes, die Stärken der beiden Gegner und


Das neue Exerzierreglement für die Infanterie

gesetztes Kampfverfahren eingeführt wurde. Jedenfalls hatte das deutsche
Verfahren den Vorteil, daß die Armee nicht dazu kam, sich mit einem ge¬
gebnen Schema bequem zu beruhigen, sondern der weite Spielraum, den das
Reglement ließ, nötigte zu immer neuen Versuchen, das Problem des Jn-
fcmteriekampfes zu lösen. Wie eifrig daran gearbeitet worden ist, zeigen die
zahllosen Aufsätze in Zeitschriften und Broschüren, die sich mit diesen Fragen
befaßt haben, und die Mannigfaltigkeit der Bilder, die die Übungs- und
Manöverplätze seither geboten haben.

Manche Offiziere wollten nur mit einem gewissen Widerstreben der Schützen¬
linie das Recht der „Hauptkampfform" einräumen und wollten, wenn sie auch
der Schützenlinie die Arbeit des Feuerkampfes zuwiesen, doch die eigentliche
Kraft und den Impuls zum Angriff in dem Vorstoß möglichst starker zurück-
gehaltener geschlossener Reserven sehen. Man fürchtete dabei wohl, daß in den
losen Schützenlinien der Einfluß der Führer nicht stark genug sei, um diese
im feindlichen Feuer zum Vorgehn zu veranlassen, eine Befürchtung, die öfter
mit dem Hinweise damit begründet wurde. daß das Reglement von 1888
mancherlei althergebrachte Exerziermanöver, die als Mittel der Erziehung zur
Disziplin hoch eingeschätzt wurden, der erweiterten Gefechtsausbildung ge¬
opfert hatte. Alle diese Ansichten, auch die gerade entgegengesetzten, die be¬
sonders in der Literatur ihre Vertreter fanden und teilweise bis zu der Be¬
hauptung gingen, der Angriff sei überhaupt ein Ding der Unmöglichkeit, konnten
nur durch die Erfahrungen des wirklichen Krieges berichtigt werden.

Diese brachte zunächst der Burenkrieg, bei dem sich anfangs die Engländer
infolge ihres rücksichtslosen Draufgehens, trotz aller ihrer sehr anerkennens¬
werten Tapferkeit, einige empfindliche Niederlagen holten. Die Engländer
haben in ihrer Presse das deutsche Gefechtsverfahren, dem sie gefolgt seien,
für ihre Mißerfolge verantwortlich gemacht. Das ist sicher ein unberechtigter
Vorwurf, wenn auch zugegeben werden muß, daß damals auf vielen deutschen
Exerzierplätzen Gefechte zur Darstellung kamen, in denen der Wirkung der
modernen Schußwaffen nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Man
darf aber auch nicht vergessen, daß die Darstellung eines Jnfanteriekampfes
auf dem Übungsplatze zu den allerschwierigsten Aufgaben der militärischen Aus¬
bildung gehört. Der Truppe muß das Streben, nach vorwärts und an den Feind
heran zu gehen, anerzogen werden, und so kommt es bei Friedensübungen leicht
dahin, daß der Angriff zu einem durch kurze mit Schießen ausgefüllte Pausen
unterbrochner Heranlaufen an den Feind wird, während in Wirklichkeit der Feuer¬
kampf stundenlang dauert, und sich nur hin und wieder den Schützen die Gelegen¬
heit bietet, in einem Sprunge dem Feinde ein Stückchen näher zu kommen.

Immerhin gaben die Erfahrungen aus dem Burenkriege einen Maßstab
zur Beurteilung der Wirkung des modernen Jnfanteriefeuers. Nur war eine
gewisse Vorsicht bei der Anwendung dieser Erfahrungen geboten. Denn die
Geländeverhältnisse des Kriegsschauplatzes, die Stärken der beiden Gegner und


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[0499] Das neue Exerzierreglement für die Infanterie gesetztes Kampfverfahren eingeführt wurde. Jedenfalls hatte das deutsche Verfahren den Vorteil, daß die Armee nicht dazu kam, sich mit einem ge¬ gebnen Schema bequem zu beruhigen, sondern der weite Spielraum, den das Reglement ließ, nötigte zu immer neuen Versuchen, das Problem des Jn- fcmteriekampfes zu lösen. Wie eifrig daran gearbeitet worden ist, zeigen die zahllosen Aufsätze in Zeitschriften und Broschüren, die sich mit diesen Fragen befaßt haben, und die Mannigfaltigkeit der Bilder, die die Übungs- und Manöverplätze seither geboten haben. Manche Offiziere wollten nur mit einem gewissen Widerstreben der Schützen¬ linie das Recht der „Hauptkampfform" einräumen und wollten, wenn sie auch der Schützenlinie die Arbeit des Feuerkampfes zuwiesen, doch die eigentliche Kraft und den Impuls zum Angriff in dem Vorstoß möglichst starker zurück- gehaltener geschlossener Reserven sehen. Man fürchtete dabei wohl, daß in den losen Schützenlinien der Einfluß der Führer nicht stark genug sei, um diese im feindlichen Feuer zum Vorgehn zu veranlassen, eine Befürchtung, die öfter mit dem Hinweise damit begründet wurde. daß das Reglement von 1888 mancherlei althergebrachte Exerziermanöver, die als Mittel der Erziehung zur Disziplin hoch eingeschätzt wurden, der erweiterten Gefechtsausbildung ge¬ opfert hatte. Alle diese Ansichten, auch die gerade entgegengesetzten, die be¬ sonders in der Literatur ihre Vertreter fanden und teilweise bis zu der Be¬ hauptung gingen, der Angriff sei überhaupt ein Ding der Unmöglichkeit, konnten nur durch die Erfahrungen des wirklichen Krieges berichtigt werden. Diese brachte zunächst der Burenkrieg, bei dem sich anfangs die Engländer infolge ihres rücksichtslosen Draufgehens, trotz aller ihrer sehr anerkennens¬ werten Tapferkeit, einige empfindliche Niederlagen holten. Die Engländer haben in ihrer Presse das deutsche Gefechtsverfahren, dem sie gefolgt seien, für ihre Mißerfolge verantwortlich gemacht. Das ist sicher ein unberechtigter Vorwurf, wenn auch zugegeben werden muß, daß damals auf vielen deutschen Exerzierplätzen Gefechte zur Darstellung kamen, in denen der Wirkung der modernen Schußwaffen nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Man darf aber auch nicht vergessen, daß die Darstellung eines Jnfanteriekampfes auf dem Übungsplatze zu den allerschwierigsten Aufgaben der militärischen Aus¬ bildung gehört. Der Truppe muß das Streben, nach vorwärts und an den Feind heran zu gehen, anerzogen werden, und so kommt es bei Friedensübungen leicht dahin, daß der Angriff zu einem durch kurze mit Schießen ausgefüllte Pausen unterbrochner Heranlaufen an den Feind wird, während in Wirklichkeit der Feuer¬ kampf stundenlang dauert, und sich nur hin und wieder den Schützen die Gelegen¬ heit bietet, in einem Sprunge dem Feinde ein Stückchen näher zu kommen. Immerhin gaben die Erfahrungen aus dem Burenkriege einen Maßstab zur Beurteilung der Wirkung des modernen Jnfanteriefeuers. Nur war eine gewisse Vorsicht bei der Anwendung dieser Erfahrungen geboten. Denn die Geländeverhältnisse des Kriegsschauplatzes, die Stärken der beiden Gegner und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/499>, abgerufen am 25.08.2024.