Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lcmdschaftsl'liber von der Rüste Norwegens

Wohnzelte, in denen das Herdfeuer brannte, neben dem die Überreste der
Mahlzeit auf den Boden fallen, wo sie von Zeit zu Zeit einfach mit neuer
Streu bedeckt werden, soweit sie nicht vorher ein Hund mitnimmt. Daneben
die äußerst einfache", nur mit eine"? zweifelhaften Dach versehenen Gestelle,
in denen die abgezognen Felle der Renntiere zum Trocknen aufgehängt werden,
und neben denen allerlei Hantierung vorgenommen wird, ohne daß die Ab¬
fülle weggeräumt werden. Wo man geht und steht, liegt der Boden voll von
allen möglichen Abfüllen vom Renntier, das, abgesehen von dem schon mehr
zur Familie zählenden freundlichen Hunde, das einzige Haustier, der Lebens¬
unterhalt, der Schatz und die Freude der Lappen ist. Zwischen den Jurten
und den großen Einzäunungen für die Herden hatten sich die Lappen,
etwa hundert Menschen aller Altersklassen, versammelt, um die Fremden zu
empfangen, und alsbald entwickelte sich ein ganzer Markt von Erzeugnissen ihrer
Kunstfertigkeit. Abgesehen von reizenden Kinderschuhen ans Ncnutierfellen
hatten sie nichts als Schnitzereien aus den Knochen und deu Geweih Stücken
vom Renntier in Gestalt von Löffeln und von Messerscheiden anzubieten. Die
Löffel hatten am Ende des Stiels oft einen gar nicht Übeln menschlichen
Kopf, die knöchernen Messerscheiden waren vielfach in sauber durchbrochner
Arbeit ansgeftthrt; Geweihstücke waren an einer Fläche angeschliffen und zeigte"
auf dem weißen Grunde ganz hübsche, mit schwarzer Farbe eingeritzte Zeichnungen,
meist mit Nenntieren bespannte Schlitten vorstellend.

Während des Handels konnte man sich die Lappen bequem betrachten.
Die kleinen Männer mit ihren verrunzelten braunen Gesichtern sahen alle
recht gutmütig und in ihrem Sonntagsstaat ganz behaglich aus, aber der
lappländische Schönheitsbegriff ist hoffentlich ein andrer als der unsrige, sonst
dauern mich ihre armen Frauen. Wenn ich übrigens auf den ersten Anblick
hin von urtümlichem Volkstum gesprochen habe, so muß ich das schon einiger¬
maßen einschränken; der lappische Handel hat sich schon bis zur Höhe von
Ringbildung emporgeschwungen, die bei dem Feilschen der armen Vergnügungs-
reiseuden auch recht angebracht war.

Am 2. Juli, es war ein Sonntag, kamen wir Morgens in der Bucht
von Hammerfest an, dessen schiffsbelebter Hafen die Hcmdelsbedeutnng der
kleinen Stadt verrät, die sich zwischen einem schützenden Hügelzug und dem
Meer zusammenzwüngt. Von diesem Hügclzug aus hat man eine prächtige
Aussicht über Land und Meer und über sonderbar geformte Inseln, die zum
Teil vollstüudig vergletschert und noch ganz unerforscht sind. Am Fuß dieses
Hügels findet man auch den berühmten nördlichsten Wald Enropas, eiinge
hundert Birken, bei denen man im Zweifel sein kann, ob man sie als hohe
Büsche oder als niedrige Bäume ansehen soll. Der Hauch des Frühlings
hatte sie noch kaum berührt, und ihre von allen Unbilden des Wetters und bis
vor kurzem auch von der Heimsuchung durch Ziegen angenommnen Gestalten
sahen aus, als wenn sie nichts gutes vor sich hätten.


Lcmdschaftsl'liber von der Rüste Norwegens

Wohnzelte, in denen das Herdfeuer brannte, neben dem die Überreste der
Mahlzeit auf den Boden fallen, wo sie von Zeit zu Zeit einfach mit neuer
Streu bedeckt werden, soweit sie nicht vorher ein Hund mitnimmt. Daneben
die äußerst einfache», nur mit eine»? zweifelhaften Dach versehenen Gestelle,
in denen die abgezognen Felle der Renntiere zum Trocknen aufgehängt werden,
und neben denen allerlei Hantierung vorgenommen wird, ohne daß die Ab¬
fülle weggeräumt werden. Wo man geht und steht, liegt der Boden voll von
allen möglichen Abfüllen vom Renntier, das, abgesehen von dem schon mehr
zur Familie zählenden freundlichen Hunde, das einzige Haustier, der Lebens¬
unterhalt, der Schatz und die Freude der Lappen ist. Zwischen den Jurten
und den großen Einzäunungen für die Herden hatten sich die Lappen,
etwa hundert Menschen aller Altersklassen, versammelt, um die Fremden zu
empfangen, und alsbald entwickelte sich ein ganzer Markt von Erzeugnissen ihrer
Kunstfertigkeit. Abgesehen von reizenden Kinderschuhen ans Ncnutierfellen
hatten sie nichts als Schnitzereien aus den Knochen und deu Geweih Stücken
vom Renntier in Gestalt von Löffeln und von Messerscheiden anzubieten. Die
Löffel hatten am Ende des Stiels oft einen gar nicht Übeln menschlichen
Kopf, die knöchernen Messerscheiden waren vielfach in sauber durchbrochner
Arbeit ansgeftthrt; Geweihstücke waren an einer Fläche angeschliffen und zeigte»
auf dem weißen Grunde ganz hübsche, mit schwarzer Farbe eingeritzte Zeichnungen,
meist mit Nenntieren bespannte Schlitten vorstellend.

Während des Handels konnte man sich die Lappen bequem betrachten.
Die kleinen Männer mit ihren verrunzelten braunen Gesichtern sahen alle
recht gutmütig und in ihrem Sonntagsstaat ganz behaglich aus, aber der
lappländische Schönheitsbegriff ist hoffentlich ein andrer als der unsrige, sonst
dauern mich ihre armen Frauen. Wenn ich übrigens auf den ersten Anblick
hin von urtümlichem Volkstum gesprochen habe, so muß ich das schon einiger¬
maßen einschränken; der lappische Handel hat sich schon bis zur Höhe von
Ringbildung emporgeschwungen, die bei dem Feilschen der armen Vergnügungs-
reiseuden auch recht angebracht war.

Am 2. Juli, es war ein Sonntag, kamen wir Morgens in der Bucht
von Hammerfest an, dessen schiffsbelebter Hafen die Hcmdelsbedeutnng der
kleinen Stadt verrät, die sich zwischen einem schützenden Hügelzug und dem
Meer zusammenzwüngt. Von diesem Hügclzug aus hat man eine prächtige
Aussicht über Land und Meer und über sonderbar geformte Inseln, die zum
Teil vollstüudig vergletschert und noch ganz unerforscht sind. Am Fuß dieses
Hügels findet man auch den berühmten nördlichsten Wald Enropas, eiinge
hundert Birken, bei denen man im Zweifel sein kann, ob man sie als hohe
Büsche oder als niedrige Bäume ansehen soll. Der Hauch des Frühlings
hatte sie noch kaum berührt, und ihre von allen Unbilden des Wetters und bis
vor kurzem auch von der Heimsuchung durch Ziegen angenommnen Gestalten
sahen aus, als wenn sie nichts gutes vor sich hätten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300266"/>
          <fw type="header" place="top"> Lcmdschaftsl'liber von der Rüste Norwegens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1794" prev="#ID_1793"> Wohnzelte, in denen das Herdfeuer brannte, neben dem die Überreste der<lb/>
Mahlzeit auf den Boden fallen, wo sie von Zeit zu Zeit einfach mit neuer<lb/>
Streu bedeckt werden, soweit sie nicht vorher ein Hund mitnimmt. Daneben<lb/>
die äußerst einfache», nur mit eine»? zweifelhaften Dach versehenen Gestelle,<lb/>
in denen die abgezognen Felle der Renntiere zum Trocknen aufgehängt werden,<lb/>
und neben denen allerlei Hantierung vorgenommen wird, ohne daß die Ab¬<lb/>
fülle weggeräumt werden. Wo man geht und steht, liegt der Boden voll von<lb/>
allen möglichen Abfüllen vom Renntier, das, abgesehen von dem schon mehr<lb/>
zur Familie zählenden freundlichen Hunde, das einzige Haustier, der Lebens¬<lb/>
unterhalt, der Schatz und die Freude der Lappen ist. Zwischen den Jurten<lb/>
und den großen Einzäunungen für die Herden hatten sich die Lappen,<lb/>
etwa hundert Menschen aller Altersklassen, versammelt, um die Fremden zu<lb/>
empfangen, und alsbald entwickelte sich ein ganzer Markt von Erzeugnissen ihrer<lb/>
Kunstfertigkeit. Abgesehen von reizenden Kinderschuhen ans Ncnutierfellen<lb/>
hatten sie nichts als Schnitzereien aus den Knochen und deu Geweih Stücken<lb/>
vom Renntier in Gestalt von Löffeln und von Messerscheiden anzubieten. Die<lb/>
Löffel hatten am Ende des Stiels oft einen gar nicht Übeln menschlichen<lb/>
Kopf, die knöchernen Messerscheiden waren vielfach in sauber durchbrochner<lb/>
Arbeit ansgeftthrt; Geweihstücke waren an einer Fläche angeschliffen und zeigte»<lb/>
auf dem weißen Grunde ganz hübsche, mit schwarzer Farbe eingeritzte Zeichnungen,<lb/>
meist mit Nenntieren bespannte Schlitten vorstellend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1795"> Während des Handels konnte man sich die Lappen bequem betrachten.<lb/>
Die kleinen Männer mit ihren verrunzelten braunen Gesichtern sahen alle<lb/>
recht gutmütig und in ihrem Sonntagsstaat ganz behaglich aus, aber der<lb/>
lappländische Schönheitsbegriff ist hoffentlich ein andrer als der unsrige, sonst<lb/>
dauern mich ihre armen Frauen. Wenn ich übrigens auf den ersten Anblick<lb/>
hin von urtümlichem Volkstum gesprochen habe, so muß ich das schon einiger¬<lb/>
maßen einschränken; der lappische Handel hat sich schon bis zur Höhe von<lb/>
Ringbildung emporgeschwungen, die bei dem Feilschen der armen Vergnügungs-<lb/>
reiseuden auch recht angebracht war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1796"> Am 2. Juli, es war ein Sonntag, kamen wir Morgens in der Bucht<lb/>
von Hammerfest an, dessen schiffsbelebter Hafen die Hcmdelsbedeutnng der<lb/>
kleinen Stadt verrät, die sich zwischen einem schützenden Hügelzug und dem<lb/>
Meer zusammenzwüngt. Von diesem Hügclzug aus hat man eine prächtige<lb/>
Aussicht über Land und Meer und über sonderbar geformte Inseln, die zum<lb/>
Teil vollstüudig vergletschert und noch ganz unerforscht sind. Am Fuß dieses<lb/>
Hügels findet man auch den berühmten nördlichsten Wald Enropas, eiinge<lb/>
hundert Birken, bei denen man im Zweifel sein kann, ob man sie als hohe<lb/>
Büsche oder als niedrige Bäume ansehen soll. Der Hauch des Frühlings<lb/>
hatte sie noch kaum berührt, und ihre von allen Unbilden des Wetters und bis<lb/>
vor kurzem auch von der Heimsuchung durch Ziegen angenommnen Gestalten<lb/>
sahen aus, als wenn sie nichts gutes vor sich hätten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0479] Lcmdschaftsl'liber von der Rüste Norwegens Wohnzelte, in denen das Herdfeuer brannte, neben dem die Überreste der Mahlzeit auf den Boden fallen, wo sie von Zeit zu Zeit einfach mit neuer Streu bedeckt werden, soweit sie nicht vorher ein Hund mitnimmt. Daneben die äußerst einfache», nur mit eine»? zweifelhaften Dach versehenen Gestelle, in denen die abgezognen Felle der Renntiere zum Trocknen aufgehängt werden, und neben denen allerlei Hantierung vorgenommen wird, ohne daß die Ab¬ fülle weggeräumt werden. Wo man geht und steht, liegt der Boden voll von allen möglichen Abfüllen vom Renntier, das, abgesehen von dem schon mehr zur Familie zählenden freundlichen Hunde, das einzige Haustier, der Lebens¬ unterhalt, der Schatz und die Freude der Lappen ist. Zwischen den Jurten und den großen Einzäunungen für die Herden hatten sich die Lappen, etwa hundert Menschen aller Altersklassen, versammelt, um die Fremden zu empfangen, und alsbald entwickelte sich ein ganzer Markt von Erzeugnissen ihrer Kunstfertigkeit. Abgesehen von reizenden Kinderschuhen ans Ncnutierfellen hatten sie nichts als Schnitzereien aus den Knochen und deu Geweih Stücken vom Renntier in Gestalt von Löffeln und von Messerscheiden anzubieten. Die Löffel hatten am Ende des Stiels oft einen gar nicht Übeln menschlichen Kopf, die knöchernen Messerscheiden waren vielfach in sauber durchbrochner Arbeit ansgeftthrt; Geweihstücke waren an einer Fläche angeschliffen und zeigte» auf dem weißen Grunde ganz hübsche, mit schwarzer Farbe eingeritzte Zeichnungen, meist mit Nenntieren bespannte Schlitten vorstellend. Während des Handels konnte man sich die Lappen bequem betrachten. Die kleinen Männer mit ihren verrunzelten braunen Gesichtern sahen alle recht gutmütig und in ihrem Sonntagsstaat ganz behaglich aus, aber der lappländische Schönheitsbegriff ist hoffentlich ein andrer als der unsrige, sonst dauern mich ihre armen Frauen. Wenn ich übrigens auf den ersten Anblick hin von urtümlichem Volkstum gesprochen habe, so muß ich das schon einiger¬ maßen einschränken; der lappische Handel hat sich schon bis zur Höhe von Ringbildung emporgeschwungen, die bei dem Feilschen der armen Vergnügungs- reiseuden auch recht angebracht war. Am 2. Juli, es war ein Sonntag, kamen wir Morgens in der Bucht von Hammerfest an, dessen schiffsbelebter Hafen die Hcmdelsbedeutnng der kleinen Stadt verrät, die sich zwischen einem schützenden Hügelzug und dem Meer zusammenzwüngt. Von diesem Hügclzug aus hat man eine prächtige Aussicht über Land und Meer und über sonderbar geformte Inseln, die zum Teil vollstüudig vergletschert und noch ganz unerforscht sind. Am Fuß dieses Hügels findet man auch den berühmten nördlichsten Wald Enropas, eiinge hundert Birken, bei denen man im Zweifel sein kann, ob man sie als hohe Büsche oder als niedrige Bäume ansehen soll. Der Hauch des Frühlings hatte sie noch kaum berührt, und ihre von allen Unbilden des Wetters und bis vor kurzem auch von der Heimsuchung durch Ziegen angenommnen Gestalten sahen aus, als wenn sie nichts gutes vor sich hätten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/479
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/479>, abgerufen am 23.07.2024.