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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments

wenigstens etwas von der bisherigen Gemeinsamkeit zu erhalten und nicht be¬
achten, daß staatsrechtlich die Zertrümmerung des Reichs schon erfolgt ist,
und daß Ungarn die gänzliche Losreißung von Österreich nur darum bis zum
Jahre 1917 verschieben will, weil es fühlt, daß es heute wirtschaftlich noch
nicht auf eignen Füßen stehn kann.

Der Habsburgischen Monarchie ist also nur noch eine knappe Galgenfrist
von zehn Jahren eingeräumt worden. Man begreift es, daß Kaiser Franz
Joseph bei seinem Besuche der Reichenberger Ausstellung schmerzlich bewegt er¬
klärte, daß er das Jahr 1917 nicht mehr erleben werde, aber mit schwerem
Herzen daran denke, wie sich dann die Geschicke der Monarchie gestaltet haben
würden, aber um so weniger versteht man es, daß es der greise Kaiser in den
letzten Jahren nicht vermochte, den Ausblick in die nächste Zukunft freundlicher
zu gestalten und den Bestand des Reichs gegenüber den magyarischen Uuab-
hüngigkeitsbestrebungen zu sichern. Gibt man der Wahrheit die Ehre, dann
wird man allerdings zugestehn müssen, daß die Wiener Politik seit 1859 von
der Hand in den Mund gelebt und über dem Heute immer das Morgen ver¬
gessen hat. Eine solche Politik des "Fortwurstelns" im schlimmsten Sinne
konnte aber wohl nicht fähig sein, den "Reichs"gebauten zu wahren, ließ sie
es sich doch erst in den letzten Wochen stillschweigend gefallen, daß der
Präsident der ungarischen Delegation das "Reich" konfiszierte, indem er ex
xiÄösiäio erklärte, daß es weder ein "Reich" noch "Neichsminister" noch eine
Neichsregierung gebe.




Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments

l in dritten Bande des Jahrgangs 1901 der Grenzboten haben
wir die Leser mit Dr. Josef Redlichs Werk über die englische
Lokalverwaltung bekannt gemacht. Vorm Jahre hat nun Redlich
unsre Kenntnis Englands durch ein noch umfangreicheres Werk
! vervollständigt: Recht und Technik des Englischen Parla¬
mentarismus. Die Geschäftsordnung des Houss ok Lollunons in ihrer ge¬
schichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Gestalt. (Leipzig, Duncker und
Humblot; 881 Seiten.) Der englische Rezensent in IKs Lxoallsr bezeichnet die
Haltung deutscher Historiker, Juristen und Politiker der englischen Verfassung
gegenüber als eine höchst interessante Erscheinung, charakterisiert die Be¬
schreibungen des englischen Staates, die Ranke, Gneist und Pauli gegeben
haben, als teils unvollständig, teils fehlerhaft und geht dann auf Redlich mit
den Worten über: IKs intörpistsr lor vdom ^6 Kg.v<z og-itsä so lonA nah at
last g,xxsarsä. Am Schluß spricht er den Wunsch aus, das Werk möge recht


Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments

wenigstens etwas von der bisherigen Gemeinsamkeit zu erhalten und nicht be¬
achten, daß staatsrechtlich die Zertrümmerung des Reichs schon erfolgt ist,
und daß Ungarn die gänzliche Losreißung von Österreich nur darum bis zum
Jahre 1917 verschieben will, weil es fühlt, daß es heute wirtschaftlich noch
nicht auf eignen Füßen stehn kann.

Der Habsburgischen Monarchie ist also nur noch eine knappe Galgenfrist
von zehn Jahren eingeräumt worden. Man begreift es, daß Kaiser Franz
Joseph bei seinem Besuche der Reichenberger Ausstellung schmerzlich bewegt er¬
klärte, daß er das Jahr 1917 nicht mehr erleben werde, aber mit schwerem
Herzen daran denke, wie sich dann die Geschicke der Monarchie gestaltet haben
würden, aber um so weniger versteht man es, daß es der greise Kaiser in den
letzten Jahren nicht vermochte, den Ausblick in die nächste Zukunft freundlicher
zu gestalten und den Bestand des Reichs gegenüber den magyarischen Uuab-
hüngigkeitsbestrebungen zu sichern. Gibt man der Wahrheit die Ehre, dann
wird man allerdings zugestehn müssen, daß die Wiener Politik seit 1859 von
der Hand in den Mund gelebt und über dem Heute immer das Morgen ver¬
gessen hat. Eine solche Politik des „Fortwurstelns" im schlimmsten Sinne
konnte aber wohl nicht fähig sein, den „Reichs"gebauten zu wahren, ließ sie
es sich doch erst in den letzten Wochen stillschweigend gefallen, daß der
Präsident der ungarischen Delegation das „Reich" konfiszierte, indem er ex
xiÄösiäio erklärte, daß es weder ein „Reich" noch „Neichsminister" noch eine
Neichsregierung gebe.




Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments

l in dritten Bande des Jahrgangs 1901 der Grenzboten haben
wir die Leser mit Dr. Josef Redlichs Werk über die englische
Lokalverwaltung bekannt gemacht. Vorm Jahre hat nun Redlich
unsre Kenntnis Englands durch ein noch umfangreicheres Werk
! vervollständigt: Recht und Technik des Englischen Parla¬
mentarismus. Die Geschäftsordnung des Houss ok Lollunons in ihrer ge¬
schichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Gestalt. (Leipzig, Duncker und
Humblot; 881 Seiten.) Der englische Rezensent in IKs Lxoallsr bezeichnet die
Haltung deutscher Historiker, Juristen und Politiker der englischen Verfassung
gegenüber als eine höchst interessante Erscheinung, charakterisiert die Be¬
schreibungen des englischen Staates, die Ranke, Gneist und Pauli gegeben
haben, als teils unvollständig, teils fehlerhaft und geht dann auf Redlich mit
den Worten über: IKs intörpistsr lor vdom ^6 Kg.v<z og-itsä so lonA nah at
last g,xxsarsä. Am Schluß spricht er den Wunsch aus, das Werk möge recht


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[0456] Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments wenigstens etwas von der bisherigen Gemeinsamkeit zu erhalten und nicht be¬ achten, daß staatsrechtlich die Zertrümmerung des Reichs schon erfolgt ist, und daß Ungarn die gänzliche Losreißung von Österreich nur darum bis zum Jahre 1917 verschieben will, weil es fühlt, daß es heute wirtschaftlich noch nicht auf eignen Füßen stehn kann. Der Habsburgischen Monarchie ist also nur noch eine knappe Galgenfrist von zehn Jahren eingeräumt worden. Man begreift es, daß Kaiser Franz Joseph bei seinem Besuche der Reichenberger Ausstellung schmerzlich bewegt er¬ klärte, daß er das Jahr 1917 nicht mehr erleben werde, aber mit schwerem Herzen daran denke, wie sich dann die Geschicke der Monarchie gestaltet haben würden, aber um so weniger versteht man es, daß es der greise Kaiser in den letzten Jahren nicht vermochte, den Ausblick in die nächste Zukunft freundlicher zu gestalten und den Bestand des Reichs gegenüber den magyarischen Uuab- hüngigkeitsbestrebungen zu sichern. Gibt man der Wahrheit die Ehre, dann wird man allerdings zugestehn müssen, daß die Wiener Politik seit 1859 von der Hand in den Mund gelebt und über dem Heute immer das Morgen ver¬ gessen hat. Eine solche Politik des „Fortwurstelns" im schlimmsten Sinne konnte aber wohl nicht fähig sein, den „Reichs"gebauten zu wahren, ließ sie es sich doch erst in den letzten Wochen stillschweigend gefallen, daß der Präsident der ungarischen Delegation das „Reich" konfiszierte, indem er ex xiÄösiäio erklärte, daß es weder ein „Reich" noch „Neichsminister" noch eine Neichsregierung gebe. Die Geschäftsordnung des englischen Parlaments l in dritten Bande des Jahrgangs 1901 der Grenzboten haben wir die Leser mit Dr. Josef Redlichs Werk über die englische Lokalverwaltung bekannt gemacht. Vorm Jahre hat nun Redlich unsre Kenntnis Englands durch ein noch umfangreicheres Werk ! vervollständigt: Recht und Technik des Englischen Parla¬ mentarismus. Die Geschäftsordnung des Houss ok Lollunons in ihrer ge¬ schichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Gestalt. (Leipzig, Duncker und Humblot; 881 Seiten.) Der englische Rezensent in IKs Lxoallsr bezeichnet die Haltung deutscher Historiker, Juristen und Politiker der englischen Verfassung gegenüber als eine höchst interessante Erscheinung, charakterisiert die Be¬ schreibungen des englischen Staates, die Ranke, Gneist und Pauli gegeben haben, als teils unvollständig, teils fehlerhaft und geht dann auf Redlich mit den Worten über: IKs intörpistsr lor vdom ^6 Kg.v<z og-itsä so lonA nah at last g,xxsarsä. Am Schluß spricht er den Wunsch aus, das Werk möge recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/456>, abgerufen am 27.12.2024.