Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Tnftreiseu jene sind nicht mehr so ausgedehnt, dieses ist niedriger als voher. Es ist O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet, Und lustig schwirrender Musik bedienet Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt, Womit du Stund um Stunde missest, Dich lieblich in dir selbst vergissest -- Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit. Was würde ein lyrischer Dichter wie Mörike, dessen Verse uns da eben Eine halbe Stunde später dringt wieder lautes Wasserrauschen zu uns Tnftreiseu jene sind nicht mehr so ausgedehnt, dieses ist niedriger als voher. Es ist O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet, Und lustig schwirrender Musik bedienet Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt, Womit du Stund um Stunde missest, Dich lieblich in dir selbst vergissest — Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit. Was würde ein lyrischer Dichter wie Mörike, dessen Verse uns da eben Eine halbe Stunde später dringt wieder lautes Wasserrauschen zu uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299832"/> <fw type="header" place="top"> Tnftreiseu</fw><lb/> <p xml:id="ID_93" prev="#ID_92"> jene sind nicht mehr so ausgedehnt, dieses ist niedriger als voher. Es ist<lb/> zwölf Uhr, und von allen Seiten begrüßen Nachtwächterhörner den Anbruch<lb/> der Geisterstunde.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l> O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt<lb/> Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet,<lb/> Und lustig schwirrender Musik bedienet<lb/> Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt,<lb/> Womit du Stund um Stunde missest,<lb/> Dich lieblich in dir selbst vergissest —<lb/> Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit.<lb/></l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_94"> Was würde ein lyrischer Dichter wie Mörike, dessen Verse uns da eben<lb/> in den Sinn kamen, von dem Zauber der Nacht gesungen haben, wenn er<lb/> ihn wie wir hätte empfinden dürfen, oder ein Goethe, der sein Lebtag alles,<lb/> was ihn erfreute oder quälte oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht<lb/> verwandeln mußte, um darüber mit sich selbst abzuschließen! Die Führung<lb/> des Ballons möchte der Dichter dann freilich lieber einem andern überlassen,<lb/> sonst könnte er leicht recht unsanft aus seinem holden Träumen gerissen<lb/> werden, etwa durch Anstoßen des Korbes an einen Kirchturm oder durch Um¬<lb/> reißen eines Schornsteins, was ja auch bei Tage schon vorgekommen ist.<lb/> Eben um solche unliebsame Berührungen zu vermeiden, haben wir das<lb/> Schlepptau noch im Korbe behalten. Jetzt aber hat sogar unser nur 12 Meter<lb/> langes Loslaßtau aufgesetzt und schleift am Boden hin, der nach der Angabe<lb/> des Barometers 170 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Durch etwas<lb/> Sandauswerfen heben wir uns schnell auf 400 Meter. Auch die kleinste<lb/> Entlastung äußert ja sofort ihre Wirkung auf unsern braven Ernst, während<lb/> beim Leuchtgasballon oft recht bedeutende Ballastopfer notwendig sind, wenn<lb/> er einmal ins Sinken gekommen ist. Im ganzen haben wir bis jetzt erst drei<lb/> Säcke verbraucht.</p><lb/> <p xml:id="ID_95" next="#ID_96"> Eine halbe Stunde später dringt wieder lautes Wasserrauschen zu uns<lb/> herauf, und um ein Uhr kommen wir an einer ansehnlichen Stadt vorbei,<lb/> einer der größten, die wir ans der ganzen Reise gesehen haben. Ihre Straßen<lb/> winden sich leicht, nur mitten hindurch zieht sich eine mehrere Kilometer lange<lb/> helle Lichterreihe. Wir irren wohl kaum, wenn wir annehmen, daß es Göttingen<lb/> ist. Zweifellos ist der Fluß, den wir vor uns sehen, die Leine. In 660 Metern,<lb/> der außergewöhnlich geringen Maximalhöhe unsrer Fahrt, fliegen wir nördlich<lb/> von dem erleuchteten Sitze der Wissenschaft an ihm vorüber. Von Müdigkeit<lb/> spüren wir nur wenig trotz dem anhaltenden Stehn. Denn wenn auch zwei<lb/> kleine, etwas abschüssig gewordne Ecksitzchen in unserm Korbe sind, so fehlt es<lb/> doch an Zeit, sie öfter zu benutzen. Dagegen erzwingt sich der Körper für die ihm<lb/> versagte Erquickung durch Schlaf als Ersatz eine andre Stärkung. So reichlich<lb/> habe ich selten einem Mahle zugesprochen wie in dieser Nacht dem vortrefflichen<lb/> „Frühstück", das uns die Gattin meines Prüfungsrates mit feinem Verständnis</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
Tnftreiseu
jene sind nicht mehr so ausgedehnt, dieses ist niedriger als voher. Es ist
zwölf Uhr, und von allen Seiten begrüßen Nachtwächterhörner den Anbruch
der Geisterstunde.
O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt
Auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet,
Und lustig schwirrender Musik bedienet
Sich nun dein Fuß zum leichten Schritt,
Womit du Stund um Stunde missest,
Dich lieblich in dir selbst vergissest —
Du schwärmst, es schwärmt der Schöpfung Seele mit.
Was würde ein lyrischer Dichter wie Mörike, dessen Verse uns da eben
in den Sinn kamen, von dem Zauber der Nacht gesungen haben, wenn er
ihn wie wir hätte empfinden dürfen, oder ein Goethe, der sein Lebtag alles,
was ihn erfreute oder quälte oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht
verwandeln mußte, um darüber mit sich selbst abzuschließen! Die Führung
des Ballons möchte der Dichter dann freilich lieber einem andern überlassen,
sonst könnte er leicht recht unsanft aus seinem holden Träumen gerissen
werden, etwa durch Anstoßen des Korbes an einen Kirchturm oder durch Um¬
reißen eines Schornsteins, was ja auch bei Tage schon vorgekommen ist.
Eben um solche unliebsame Berührungen zu vermeiden, haben wir das
Schlepptau noch im Korbe behalten. Jetzt aber hat sogar unser nur 12 Meter
langes Loslaßtau aufgesetzt und schleift am Boden hin, der nach der Angabe
des Barometers 170 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Durch etwas
Sandauswerfen heben wir uns schnell auf 400 Meter. Auch die kleinste
Entlastung äußert ja sofort ihre Wirkung auf unsern braven Ernst, während
beim Leuchtgasballon oft recht bedeutende Ballastopfer notwendig sind, wenn
er einmal ins Sinken gekommen ist. Im ganzen haben wir bis jetzt erst drei
Säcke verbraucht.
Eine halbe Stunde später dringt wieder lautes Wasserrauschen zu uns
herauf, und um ein Uhr kommen wir an einer ansehnlichen Stadt vorbei,
einer der größten, die wir ans der ganzen Reise gesehen haben. Ihre Straßen
winden sich leicht, nur mitten hindurch zieht sich eine mehrere Kilometer lange
helle Lichterreihe. Wir irren wohl kaum, wenn wir annehmen, daß es Göttingen
ist. Zweifellos ist der Fluß, den wir vor uns sehen, die Leine. In 660 Metern,
der außergewöhnlich geringen Maximalhöhe unsrer Fahrt, fliegen wir nördlich
von dem erleuchteten Sitze der Wissenschaft an ihm vorüber. Von Müdigkeit
spüren wir nur wenig trotz dem anhaltenden Stehn. Denn wenn auch zwei
kleine, etwas abschüssig gewordne Ecksitzchen in unserm Korbe sind, so fehlt es
doch an Zeit, sie öfter zu benutzen. Dagegen erzwingt sich der Körper für die ihm
versagte Erquickung durch Schlaf als Ersatz eine andre Stärkung. So reichlich
habe ich selten einem Mahle zugesprochen wie in dieser Nacht dem vortrefflichen
„Frühstück", das uns die Gattin meines Prüfungsrates mit feinem Verständnis
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