Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Blick auf England hervorgerufne Landhausbewegung. Schöner und gesünder waren Grenzboten III 1906 67
Maßgebliches und Unmaßgebliches Blick auf England hervorgerufne Landhausbewegung. Schöner und gesünder waren Grenzboten III 1906 67
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300228"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1685" prev="#ID_1684" next="#ID_1686"> Blick auf England hervorgerufne Landhausbewegung. Schöner und gesünder waren<lb/> ja nun die Wohnungen in den neuen Villenvierteln, aber für den Durchschnitt der<lb/> Landliebhaber zu teuer, und die zu geringe Nachfrage hatte einen Krach zur Folge,<lb/> dessen Ausbruch durch ungesunde Bodenspekulation beschleunigt wurde. Bei dieser<lb/> ersten Bewegung war an die Arbeiter nicht gedacht worden. Die zweite faßte vor¬<lb/> zugsweise die ärmern Klassen ins Auge und wollte diesen weiträumige gesunde<lb/> Wohnungen verschaffen. Sie wurde durch Eberstadts bekanntes Buch, das Voigt<lb/> als ganz verfehlt verurteilt, und von den Bodenbesitzreformern hervorgerufen, die<lb/> behaupteten, die Ausdehnung der Berliner Baupolizeiverordnnng von 1887, wonach<lb/> nur zwei Drittel des Grundstücks bebaut werden durften, auf die Vororte, und die<lb/> von 1897, durch die bei einer Tiefe von zweiunddreißig Metern die Bebauung<lb/> von drei Vierteln der Fläche gestattet wird, hätten eine vernünftige Bebauung der<lb/> Vororte unmöglich gemacht, indem sie zur Errichtung von Mietkasernen auf großen<lb/> Häuserblocks mit breiten Straßen zwängen. Die Reformer wollten nnr die Ver¬<lb/> kehrsstraßen breit haben, die Wohnstraßen eng, und statt großer Häuserblocks Reihen<lb/> kleiner niedriger Häuschen. Und während bis dahin als selbstverständlich gegolten<lb/> hatte, daß die weiträumige, allen Anforderungen der Hygiene entsprechende Bau¬<lb/> weise die teurere sei, wird jetzt die Behauptung aufgestellt, daß die Mietkaserne die<lb/> teuerste Wohnung, das Einfamilienhaus die wohlfeilste sei. Voigt beweist nun mit<lb/> genauen Berechnungen der Lufträume, daß die Wohnungen in den Berliner Miet¬<lb/> kasernen gesünder sind als die in kleinen und schlechten Häusern, wie solche be¬<lb/> sonders in Bremen häufig find, und mit genauen Kostenberechnungen, daß das viel-<lb/> stöckige Miethaus der wohlfeilste Bau ist. Mit der Intensität der Ausnutzung der<lb/> Bodenfläche nehmen die Kosten ab. Und zwar beruht die Verbilligung auf zwei<lb/> Umständen. Erstens wird an Baukosten gespart, wenn eine gewisse Zahl von Wohn¬<lb/> räumen in einem Hause vereinigt wird, statt auf viele Häuser verteilt zu werden.<lb/> Und zweitens macht der Bodenpreis einen desto geringern Teil der Herstellungs¬<lb/> kosten aus, je mehr Stockwerke das Haus hat. Wenn in fünf Baubezirken der<lb/> Quadratmeter Boden die folgenden verschiednen Preise hat: 3 Mark, 20 Mark,<lb/> 42 Mark. 67^ Mark, 99 Mark, die Häuser im ersten Bezirk ein Geschoß haben,<lb/> im zweiten zwei usw., im fünften fünf Geschosse, so sind die Herstellungskosten in<lb/> allen Bezirken gleich, nämlich, eine bestimmte Güte angenommen, 69 Mark für den<lb/> Quadratmeter Wohnfläche, trotzdem der letzte Bodenpreis das dreiunddreißigfache<lb/> des ersten ist. Was dann die Spekulation betrifft, so wird bewiesen, daß nicht sie<lb/> es ist, die den Boden verteuert, sondern die Konkurrenz der Mieter. Die Leute,<lb/> die eine gute Geschäftslage suchen, überbieten einander. So entstehn die hohen<lb/> Mieter, und nach diesen wird der Preis berechnet, den der Spekulant oder der<lb/> Bauunternehmer für den Baugrund zahlen kann, ohne zu Schaden zu kommen. Die<lb/> Behauptung Eberstadts, daß Spekulanten „weite Geländeflächen aufkaufen, um sie<lb/> jähre- und jahrzehntelang von der Bebauung auszusperren", beruhe auf völliger<lb/> Verkennung der Verhältnisse. Ist ein Baugrund baureif, das heißt ist die Stadt<lb/> so weit vorgerückt, daß neue Häuser auf diesem Grunde Aussicht haben, bald be¬<lb/> rgen zu werden, so würde nach Voigt der Besitzer, wenn er ihn unbebaut liegen<lb/> ließe, die Zinsen verlieren, die ihm die augenblickliche Bebauung oder der Verkauf<lb/> °n einen Bauunternehmer brächte. Ist der Baugrund aber noch zu entlegen, so<lb/> würde es unwirtschaftlich und unrentabel sein, Häuser darauf zu bauen, die keine<lb/> Mieter fänden. Der Spekulant Pflege seinen Gewinn zu realisieren, sobald sich<lb/> ihm eine günstige Chance darbietet, um sein Kapital dann wieder in neuem jungem<lb/> Gelände anzulegen. Rascher Umsatz, nicht Liegenlassen sei der Grundsatz der Spe¬<lb/> kulation, die den Boden nicht verteuere, sondern verbillige. Nicht weniger un-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1906 67</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0441]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Blick auf England hervorgerufne Landhausbewegung. Schöner und gesünder waren
ja nun die Wohnungen in den neuen Villenvierteln, aber für den Durchschnitt der
Landliebhaber zu teuer, und die zu geringe Nachfrage hatte einen Krach zur Folge,
dessen Ausbruch durch ungesunde Bodenspekulation beschleunigt wurde. Bei dieser
ersten Bewegung war an die Arbeiter nicht gedacht worden. Die zweite faßte vor¬
zugsweise die ärmern Klassen ins Auge und wollte diesen weiträumige gesunde
Wohnungen verschaffen. Sie wurde durch Eberstadts bekanntes Buch, das Voigt
als ganz verfehlt verurteilt, und von den Bodenbesitzreformern hervorgerufen, die
behaupteten, die Ausdehnung der Berliner Baupolizeiverordnnng von 1887, wonach
nur zwei Drittel des Grundstücks bebaut werden durften, auf die Vororte, und die
von 1897, durch die bei einer Tiefe von zweiunddreißig Metern die Bebauung
von drei Vierteln der Fläche gestattet wird, hätten eine vernünftige Bebauung der
Vororte unmöglich gemacht, indem sie zur Errichtung von Mietkasernen auf großen
Häuserblocks mit breiten Straßen zwängen. Die Reformer wollten nnr die Ver¬
kehrsstraßen breit haben, die Wohnstraßen eng, und statt großer Häuserblocks Reihen
kleiner niedriger Häuschen. Und während bis dahin als selbstverständlich gegolten
hatte, daß die weiträumige, allen Anforderungen der Hygiene entsprechende Bau¬
weise die teurere sei, wird jetzt die Behauptung aufgestellt, daß die Mietkaserne die
teuerste Wohnung, das Einfamilienhaus die wohlfeilste sei. Voigt beweist nun mit
genauen Berechnungen der Lufträume, daß die Wohnungen in den Berliner Miet¬
kasernen gesünder sind als die in kleinen und schlechten Häusern, wie solche be¬
sonders in Bremen häufig find, und mit genauen Kostenberechnungen, daß das viel-
stöckige Miethaus der wohlfeilste Bau ist. Mit der Intensität der Ausnutzung der
Bodenfläche nehmen die Kosten ab. Und zwar beruht die Verbilligung auf zwei
Umständen. Erstens wird an Baukosten gespart, wenn eine gewisse Zahl von Wohn¬
räumen in einem Hause vereinigt wird, statt auf viele Häuser verteilt zu werden.
Und zweitens macht der Bodenpreis einen desto geringern Teil der Herstellungs¬
kosten aus, je mehr Stockwerke das Haus hat. Wenn in fünf Baubezirken der
Quadratmeter Boden die folgenden verschiednen Preise hat: 3 Mark, 20 Mark,
42 Mark. 67^ Mark, 99 Mark, die Häuser im ersten Bezirk ein Geschoß haben,
im zweiten zwei usw., im fünften fünf Geschosse, so sind die Herstellungskosten in
allen Bezirken gleich, nämlich, eine bestimmte Güte angenommen, 69 Mark für den
Quadratmeter Wohnfläche, trotzdem der letzte Bodenpreis das dreiunddreißigfache
des ersten ist. Was dann die Spekulation betrifft, so wird bewiesen, daß nicht sie
es ist, die den Boden verteuert, sondern die Konkurrenz der Mieter. Die Leute,
die eine gute Geschäftslage suchen, überbieten einander. So entstehn die hohen
Mieter, und nach diesen wird der Preis berechnet, den der Spekulant oder der
Bauunternehmer für den Baugrund zahlen kann, ohne zu Schaden zu kommen. Die
Behauptung Eberstadts, daß Spekulanten „weite Geländeflächen aufkaufen, um sie
jähre- und jahrzehntelang von der Bebauung auszusperren", beruhe auf völliger
Verkennung der Verhältnisse. Ist ein Baugrund baureif, das heißt ist die Stadt
so weit vorgerückt, daß neue Häuser auf diesem Grunde Aussicht haben, bald be¬
rgen zu werden, so würde nach Voigt der Besitzer, wenn er ihn unbebaut liegen
ließe, die Zinsen verlieren, die ihm die augenblickliche Bebauung oder der Verkauf
°n einen Bauunternehmer brächte. Ist der Baugrund aber noch zu entlegen, so
würde es unwirtschaftlich und unrentabel sein, Häuser darauf zu bauen, die keine
Mieter fänden. Der Spekulant Pflege seinen Gewinn zu realisieren, sobald sich
ihm eine günstige Chance darbietet, um sein Kapital dann wieder in neuem jungem
Gelände anzulegen. Rascher Umsatz, nicht Liegenlassen sei der Grundsatz der Spe¬
kulation, die den Boden nicht verteuere, sondern verbillige. Nicht weniger un-
Grenzboten III 1906 67
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