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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Drei Tage in Trapezunt

deuten auf regen Karawanenverkehr; Stellmcichereien und Schmieden haben
dauernde Arbeit; kleine Eisenplatten werden als Hufeisen auf- und umgelegt
und mit Nägeln befestigt, die zugleich als Stollen dienen, denn noch ist Winter
oben im Gebirge. Auch die Wallfahrtskirche auf einer hohen Kuppe fehlt nicht,
vom Dragoman, der auf dem Bocke thront und eine selbstgedrehte Zigarette
nach der andern in das Fuchsgesicht steckt, wie immer als Se. Marie bezeichnet.
Auf der schon erwähnten Serpentinenhöhe wird die Szenerie ganz alpenmäßig.
Da rauscht unter uns die Mutschka in einer schmalen Spalte und verliert sich
in zahlreichen Windungen hinter immer höher ansteigenden Bergen, dem noch
schneebedeckten Gipfel des Kolat Dagh.

Der Verkehr auf der Straße ist rege, aber er beschränkt sich auf Menschen,
Pferde und Esel, Wagen fehlen. Alle möglichen Ausgaben der Spezies Koino
sapiens, alte und junge, schön gewachsne und krumme, zerlumpte, buntfarbig be¬
kleidete Reiter und Fußgänger begegnen uns, und nicht wenig von ihnen
scheinen verzweifelte, verwegne Kerls, Desperados, die aus der Erzräubergegend,
dem Lasistangebirge, herüberwechseln und es auf Tabakkarawanen und Händler
mit Geld abgesehen haben. Die Sicherheit auf der Straße ist nicht unbedingt,
und die vielen Gendarmen im Schnürenrock mit Gewehr, Dolch und Pistole
haben durchaus keine Sinekure. Die Reiter sind, meist viel zu groß für ihre
Tiere, für unser an eine gewisse Harmonie der Größenverhältnisse, der An¬
forderungen und der Kräfte gewöhntes Auge kein erfreulicher Anblick, und das
Geklapper des Karrachho, mit dem ein Gendarm auf der steinharten Chaussee
an uns mehrfach vorübersauste, weckte in uns kein freundliches Echo. Auf
beiden Seiten war aber die Freude groß, als wir unsern jungen Generalstabs¬
offizier der Dampferbekanntschaft begegneten, der seine ganze Einrichtung einer
kleinen Karawane von Pferden und Eseln aufgeladen hatte und nun gen Ersingjan
zog, dem Stabsquartier des vierten Korps.

Dshevislik, unser Ziel, ist ein typisch kleinasiatisches Dorf, in dem kesselartig
erweiterten Tal an der Einmündung eines Nebenflüßchens lang ausgezogen an
der Straße liegend. Im landwirtschaftlichen Kleinbetrieb relativ wohlangebaute,
gut bewässerte Felder versprachen gute Ernten, eine Anzahl ordentliche Häuser
deutete auf Wohlstand. Das Wirtshaus war jedoch so entsetzlich, daß wir mit
den von Frau Marengo vorsorglich verpackter Lebensmitteln auf eine Anhöhe
zogen und trotz Februar bei warmer Sonne im Freien unsre Suppe kochten und
das kräftige Frühstück verzehrten. Um uns blühten ja auch schon Alpenveilchen,
Primeln und andre Pflanzen, die sich leider in die vorhandnen botanischen
Kenntnisse nicht einreihen lassen wollten.

Man soll in einem unbekannten Lande nicht böse sein, wenn Hin- und
Rückweg bei einem Ausfluge derselbe sind: die vielen neuen Eindrücke vertiefen
sich, die Erinnerung bleibt lebendiger. Unsre schnelle Rückfahrt verlief darum
anregend genug; freilich äußerte sich die Bewegung auf den schmalen Vordersitz
gefahrbringend und wenig angenehm und nötigte zu öfteren Plätzetausch.


Drei Tage in Trapezunt

deuten auf regen Karawanenverkehr; Stellmcichereien und Schmieden haben
dauernde Arbeit; kleine Eisenplatten werden als Hufeisen auf- und umgelegt
und mit Nägeln befestigt, die zugleich als Stollen dienen, denn noch ist Winter
oben im Gebirge. Auch die Wallfahrtskirche auf einer hohen Kuppe fehlt nicht,
vom Dragoman, der auf dem Bocke thront und eine selbstgedrehte Zigarette
nach der andern in das Fuchsgesicht steckt, wie immer als Se. Marie bezeichnet.
Auf der schon erwähnten Serpentinenhöhe wird die Szenerie ganz alpenmäßig.
Da rauscht unter uns die Mutschka in einer schmalen Spalte und verliert sich
in zahlreichen Windungen hinter immer höher ansteigenden Bergen, dem noch
schneebedeckten Gipfel des Kolat Dagh.

Der Verkehr auf der Straße ist rege, aber er beschränkt sich auf Menschen,
Pferde und Esel, Wagen fehlen. Alle möglichen Ausgaben der Spezies Koino
sapiens, alte und junge, schön gewachsne und krumme, zerlumpte, buntfarbig be¬
kleidete Reiter und Fußgänger begegnen uns, und nicht wenig von ihnen
scheinen verzweifelte, verwegne Kerls, Desperados, die aus der Erzräubergegend,
dem Lasistangebirge, herüberwechseln und es auf Tabakkarawanen und Händler
mit Geld abgesehen haben. Die Sicherheit auf der Straße ist nicht unbedingt,
und die vielen Gendarmen im Schnürenrock mit Gewehr, Dolch und Pistole
haben durchaus keine Sinekure. Die Reiter sind, meist viel zu groß für ihre
Tiere, für unser an eine gewisse Harmonie der Größenverhältnisse, der An¬
forderungen und der Kräfte gewöhntes Auge kein erfreulicher Anblick, und das
Geklapper des Karrachho, mit dem ein Gendarm auf der steinharten Chaussee
an uns mehrfach vorübersauste, weckte in uns kein freundliches Echo. Auf
beiden Seiten war aber die Freude groß, als wir unsern jungen Generalstabs¬
offizier der Dampferbekanntschaft begegneten, der seine ganze Einrichtung einer
kleinen Karawane von Pferden und Eseln aufgeladen hatte und nun gen Ersingjan
zog, dem Stabsquartier des vierten Korps.

Dshevislik, unser Ziel, ist ein typisch kleinasiatisches Dorf, in dem kesselartig
erweiterten Tal an der Einmündung eines Nebenflüßchens lang ausgezogen an
der Straße liegend. Im landwirtschaftlichen Kleinbetrieb relativ wohlangebaute,
gut bewässerte Felder versprachen gute Ernten, eine Anzahl ordentliche Häuser
deutete auf Wohlstand. Das Wirtshaus war jedoch so entsetzlich, daß wir mit
den von Frau Marengo vorsorglich verpackter Lebensmitteln auf eine Anhöhe
zogen und trotz Februar bei warmer Sonne im Freien unsre Suppe kochten und
das kräftige Frühstück verzehrten. Um uns blühten ja auch schon Alpenveilchen,
Primeln und andre Pflanzen, die sich leider in die vorhandnen botanischen
Kenntnisse nicht einreihen lassen wollten.

Man soll in einem unbekannten Lande nicht böse sein, wenn Hin- und
Rückweg bei einem Ausfluge derselbe sind: die vielen neuen Eindrücke vertiefen
sich, die Erinnerung bleibt lebendiger. Unsre schnelle Rückfahrt verlief darum
anregend genug; freilich äußerte sich die Bewegung auf den schmalen Vordersitz
gefahrbringend und wenig angenehm und nötigte zu öfteren Plätzetausch.


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[0424] Drei Tage in Trapezunt deuten auf regen Karawanenverkehr; Stellmcichereien und Schmieden haben dauernde Arbeit; kleine Eisenplatten werden als Hufeisen auf- und umgelegt und mit Nägeln befestigt, die zugleich als Stollen dienen, denn noch ist Winter oben im Gebirge. Auch die Wallfahrtskirche auf einer hohen Kuppe fehlt nicht, vom Dragoman, der auf dem Bocke thront und eine selbstgedrehte Zigarette nach der andern in das Fuchsgesicht steckt, wie immer als Se. Marie bezeichnet. Auf der schon erwähnten Serpentinenhöhe wird die Szenerie ganz alpenmäßig. Da rauscht unter uns die Mutschka in einer schmalen Spalte und verliert sich in zahlreichen Windungen hinter immer höher ansteigenden Bergen, dem noch schneebedeckten Gipfel des Kolat Dagh. Der Verkehr auf der Straße ist rege, aber er beschränkt sich auf Menschen, Pferde und Esel, Wagen fehlen. Alle möglichen Ausgaben der Spezies Koino sapiens, alte und junge, schön gewachsne und krumme, zerlumpte, buntfarbig be¬ kleidete Reiter und Fußgänger begegnen uns, und nicht wenig von ihnen scheinen verzweifelte, verwegne Kerls, Desperados, die aus der Erzräubergegend, dem Lasistangebirge, herüberwechseln und es auf Tabakkarawanen und Händler mit Geld abgesehen haben. Die Sicherheit auf der Straße ist nicht unbedingt, und die vielen Gendarmen im Schnürenrock mit Gewehr, Dolch und Pistole haben durchaus keine Sinekure. Die Reiter sind, meist viel zu groß für ihre Tiere, für unser an eine gewisse Harmonie der Größenverhältnisse, der An¬ forderungen und der Kräfte gewöhntes Auge kein erfreulicher Anblick, und das Geklapper des Karrachho, mit dem ein Gendarm auf der steinharten Chaussee an uns mehrfach vorübersauste, weckte in uns kein freundliches Echo. Auf beiden Seiten war aber die Freude groß, als wir unsern jungen Generalstabs¬ offizier der Dampferbekanntschaft begegneten, der seine ganze Einrichtung einer kleinen Karawane von Pferden und Eseln aufgeladen hatte und nun gen Ersingjan zog, dem Stabsquartier des vierten Korps. Dshevislik, unser Ziel, ist ein typisch kleinasiatisches Dorf, in dem kesselartig erweiterten Tal an der Einmündung eines Nebenflüßchens lang ausgezogen an der Straße liegend. Im landwirtschaftlichen Kleinbetrieb relativ wohlangebaute, gut bewässerte Felder versprachen gute Ernten, eine Anzahl ordentliche Häuser deutete auf Wohlstand. Das Wirtshaus war jedoch so entsetzlich, daß wir mit den von Frau Marengo vorsorglich verpackter Lebensmitteln auf eine Anhöhe zogen und trotz Februar bei warmer Sonne im Freien unsre Suppe kochten und das kräftige Frühstück verzehrten. Um uns blühten ja auch schon Alpenveilchen, Primeln und andre Pflanzen, die sich leider in die vorhandnen botanischen Kenntnisse nicht einreihen lassen wollten. Man soll in einem unbekannten Lande nicht böse sein, wenn Hin- und Rückweg bei einem Ausfluge derselbe sind: die vielen neuen Eindrücke vertiefen sich, die Erinnerung bleibt lebendiger. Unsre schnelle Rückfahrt verlief darum anregend genug; freilich äußerte sich die Bewegung auf den schmalen Vordersitz gefahrbringend und wenig angenehm und nötigte zu öfteren Plätzetausch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/424>, abgerufen am 23.07.2024.