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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Drei Tage in Trapezunt

appetitreizend betrieben wie in Konstnntinopel. Wer, wie alle diese Leute in seinem
Laden sitzend oder stehend arbeitet, ganz wenig auf Vorrat und meist auf Be¬
stellung anfertigt, sehr wenig Bedürfnisse hat, kann billig liefern, aber er kann
auch andern nur wenig bezahlen. Regeres Leben herrscht in den Läden der
Oststadt, in denen man sich aber über Warenzusammenstellungen wie schlechtes
Schuhwerk und Fernrohre nicht allzusehr wundern darf. Ideal schien mir in
der übrigens ganz sachgemäß eingerichteten Apotheke das Zusammenarbeiten
von Arzt und Apotheker, von denen der erste, an einem Fenster in blitzblanker
Uniform etabliert, untersuchte und Rezepte verschrieb, die gleich an Ort und
Stelle bereitet werden konnten. Ansichtspostkarten, auch von andern Küsten-
Punkten, werden schon in großer Zahl vertrieben.

Der Großhandel hat seine Hauptstädten in den Agenturen der Dampf-
schifsahrtslinien, deren Inhaber meist die Vertreter ausländischer Handelshäuser
sind und natürlich niemals die Waren einer Spezialbranche allein vertreiben.
Kein Geschäft wird abgeschlossen, ohne daß es zuvor bei türkischem Kaffee und
Zigaretten sehr gemächlich besprochen würde. Und wenn man sich gegenseitig
noch so erfolgreich über das Ohr gehauen hat, kein Gruß wird beim Kommen
oder Gehn ohne kräftigen Händedruck und die allerbesten Wünsche ausgetauscht.
Die Kaffeesitte ist nicht übel und hat uns bei den Besuchen auf den Agenturen
Wohl gefallen.

Handelsgegenstünde sind im Einfuhrhandel mit Anatolien Baumwollwaren,
Tuche, Kleider, Zucker, Brotmehl, Tee und Kaffee, für die Ausfuhr Produkte
der Viehzucht, Tabak und Obst (im Jahre 1896 im Betrage von 13,47 und
8,76 Millionen Mark). Eine bedeutende Rolle spielt der Durchfuhrhandel mit
Persien, der vornehmlich Baumwollen-, Wollen-, Seiden- und Sammetstoffe
zur Einfuhr und Seidenwaren, Schals und Teppiche zur Ausfuhr bringt (im
Jahre 1896 im Betrage von 11,67 und 3,82 Millionen Mark). Übrigens hat
dieser Verkehr mit Persien unter der Konkurrenz der russischen Eisenbahnen in
Kaukasien und in Transkaspien nicht wenig gelitten. Zu der Zeit unsrer Fahrt
aber war wegen der Unsicherheit des Betriebs auf der transkaukasischen Eisen¬
bahn schon wieder eine Steigerung fühlbar, die natürlich angehalten hat. Die
für Persien bestimmten, in Batna zu löschenden Frachten wurden in Trapezunt
ausgeladen und in Kamellasten weiter befördert. Bei einem Spaziergang kamen
wir an einer Karawanserei vorüber, worin gerade eine Karawane von achtzig
Kamelen ruhte. Die Kamele lagen reihenweise ausgerichtet, gesattelt auf dem
Bauch, die Beine unter dem Leib. Einzelne lehnten faul an den Pfosten des
Stalles, und alle zeigten das törichte Gesicht des eingebildeten Untergebnen,
der von seinen Vorgesetzten geärgert, d. h. belehrt, das Gefühl des Besserwissens
ausdrücken und auch wieder verstecken möchte. Die Karawanentreiber, echte
Persische, gutgewachsne Gestalten mit schöngeschnittnen, auch gutmütigen Ge¬
sichtern, hockten in ihren zerschlissenen bunten Anzügen, der kurzen offnen Jacke,
den rasierten Schädel mit verschiedenfarbigem Turban bedeckt, wie Feueranbeter


Drei Tage in Trapezunt

appetitreizend betrieben wie in Konstnntinopel. Wer, wie alle diese Leute in seinem
Laden sitzend oder stehend arbeitet, ganz wenig auf Vorrat und meist auf Be¬
stellung anfertigt, sehr wenig Bedürfnisse hat, kann billig liefern, aber er kann
auch andern nur wenig bezahlen. Regeres Leben herrscht in den Läden der
Oststadt, in denen man sich aber über Warenzusammenstellungen wie schlechtes
Schuhwerk und Fernrohre nicht allzusehr wundern darf. Ideal schien mir in
der übrigens ganz sachgemäß eingerichteten Apotheke das Zusammenarbeiten
von Arzt und Apotheker, von denen der erste, an einem Fenster in blitzblanker
Uniform etabliert, untersuchte und Rezepte verschrieb, die gleich an Ort und
Stelle bereitet werden konnten. Ansichtspostkarten, auch von andern Küsten-
Punkten, werden schon in großer Zahl vertrieben.

Der Großhandel hat seine Hauptstädten in den Agenturen der Dampf-
schifsahrtslinien, deren Inhaber meist die Vertreter ausländischer Handelshäuser
sind und natürlich niemals die Waren einer Spezialbranche allein vertreiben.
Kein Geschäft wird abgeschlossen, ohne daß es zuvor bei türkischem Kaffee und
Zigaretten sehr gemächlich besprochen würde. Und wenn man sich gegenseitig
noch so erfolgreich über das Ohr gehauen hat, kein Gruß wird beim Kommen
oder Gehn ohne kräftigen Händedruck und die allerbesten Wünsche ausgetauscht.
Die Kaffeesitte ist nicht übel und hat uns bei den Besuchen auf den Agenturen
Wohl gefallen.

Handelsgegenstünde sind im Einfuhrhandel mit Anatolien Baumwollwaren,
Tuche, Kleider, Zucker, Brotmehl, Tee und Kaffee, für die Ausfuhr Produkte
der Viehzucht, Tabak und Obst (im Jahre 1896 im Betrage von 13,47 und
8,76 Millionen Mark). Eine bedeutende Rolle spielt der Durchfuhrhandel mit
Persien, der vornehmlich Baumwollen-, Wollen-, Seiden- und Sammetstoffe
zur Einfuhr und Seidenwaren, Schals und Teppiche zur Ausfuhr bringt (im
Jahre 1896 im Betrage von 11,67 und 3,82 Millionen Mark). Übrigens hat
dieser Verkehr mit Persien unter der Konkurrenz der russischen Eisenbahnen in
Kaukasien und in Transkaspien nicht wenig gelitten. Zu der Zeit unsrer Fahrt
aber war wegen der Unsicherheit des Betriebs auf der transkaukasischen Eisen¬
bahn schon wieder eine Steigerung fühlbar, die natürlich angehalten hat. Die
für Persien bestimmten, in Batna zu löschenden Frachten wurden in Trapezunt
ausgeladen und in Kamellasten weiter befördert. Bei einem Spaziergang kamen
wir an einer Karawanserei vorüber, worin gerade eine Karawane von achtzig
Kamelen ruhte. Die Kamele lagen reihenweise ausgerichtet, gesattelt auf dem
Bauch, die Beine unter dem Leib. Einzelne lehnten faul an den Pfosten des
Stalles, und alle zeigten das törichte Gesicht des eingebildeten Untergebnen,
der von seinen Vorgesetzten geärgert, d. h. belehrt, das Gefühl des Besserwissens
ausdrücken und auch wieder verstecken möchte. Die Karawanentreiber, echte
Persische, gutgewachsne Gestalten mit schöngeschnittnen, auch gutmütigen Ge¬
sichtern, hockten in ihren zerschlissenen bunten Anzügen, der kurzen offnen Jacke,
den rasierten Schädel mit verschiedenfarbigem Turban bedeckt, wie Feueranbeter


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[0421] Drei Tage in Trapezunt appetitreizend betrieben wie in Konstnntinopel. Wer, wie alle diese Leute in seinem Laden sitzend oder stehend arbeitet, ganz wenig auf Vorrat und meist auf Be¬ stellung anfertigt, sehr wenig Bedürfnisse hat, kann billig liefern, aber er kann auch andern nur wenig bezahlen. Regeres Leben herrscht in den Läden der Oststadt, in denen man sich aber über Warenzusammenstellungen wie schlechtes Schuhwerk und Fernrohre nicht allzusehr wundern darf. Ideal schien mir in der übrigens ganz sachgemäß eingerichteten Apotheke das Zusammenarbeiten von Arzt und Apotheker, von denen der erste, an einem Fenster in blitzblanker Uniform etabliert, untersuchte und Rezepte verschrieb, die gleich an Ort und Stelle bereitet werden konnten. Ansichtspostkarten, auch von andern Küsten- Punkten, werden schon in großer Zahl vertrieben. Der Großhandel hat seine Hauptstädten in den Agenturen der Dampf- schifsahrtslinien, deren Inhaber meist die Vertreter ausländischer Handelshäuser sind und natürlich niemals die Waren einer Spezialbranche allein vertreiben. Kein Geschäft wird abgeschlossen, ohne daß es zuvor bei türkischem Kaffee und Zigaretten sehr gemächlich besprochen würde. Und wenn man sich gegenseitig noch so erfolgreich über das Ohr gehauen hat, kein Gruß wird beim Kommen oder Gehn ohne kräftigen Händedruck und die allerbesten Wünsche ausgetauscht. Die Kaffeesitte ist nicht übel und hat uns bei den Besuchen auf den Agenturen Wohl gefallen. Handelsgegenstünde sind im Einfuhrhandel mit Anatolien Baumwollwaren, Tuche, Kleider, Zucker, Brotmehl, Tee und Kaffee, für die Ausfuhr Produkte der Viehzucht, Tabak und Obst (im Jahre 1896 im Betrage von 13,47 und 8,76 Millionen Mark). Eine bedeutende Rolle spielt der Durchfuhrhandel mit Persien, der vornehmlich Baumwollen-, Wollen-, Seiden- und Sammetstoffe zur Einfuhr und Seidenwaren, Schals und Teppiche zur Ausfuhr bringt (im Jahre 1896 im Betrage von 11,67 und 3,82 Millionen Mark). Übrigens hat dieser Verkehr mit Persien unter der Konkurrenz der russischen Eisenbahnen in Kaukasien und in Transkaspien nicht wenig gelitten. Zu der Zeit unsrer Fahrt aber war wegen der Unsicherheit des Betriebs auf der transkaukasischen Eisen¬ bahn schon wieder eine Steigerung fühlbar, die natürlich angehalten hat. Die für Persien bestimmten, in Batna zu löschenden Frachten wurden in Trapezunt ausgeladen und in Kamellasten weiter befördert. Bei einem Spaziergang kamen wir an einer Karawanserei vorüber, worin gerade eine Karawane von achtzig Kamelen ruhte. Die Kamele lagen reihenweise ausgerichtet, gesattelt auf dem Bauch, die Beine unter dem Leib. Einzelne lehnten faul an den Pfosten des Stalles, und alle zeigten das törichte Gesicht des eingebildeten Untergebnen, der von seinen Vorgesetzten geärgert, d. h. belehrt, das Gefühl des Besserwissens ausdrücken und auch wieder verstecken möchte. Die Karawanentreiber, echte Persische, gutgewachsne Gestalten mit schöngeschnittnen, auch gutmütigen Ge¬ sichtern, hockten in ihren zerschlissenen bunten Anzügen, der kurzen offnen Jacke, den rasierten Schädel mit verschiedenfarbigem Turban bedeckt, wie Feueranbeter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/421>, abgerufen am 23.07.2024.