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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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und durch einen kurzen Zug am Ventil, daß dieses richtig arbeitet. Auslauf'
und Korbleinen sind vorschriftsmäßig am Ring angeknebelt, der Inhalt des
Korbes ist vollständig, namentlich sind die nötigen Apparate und Karten vor¬
handen. Eine Vorsicht erscheint jedoch vor der Abfahrt noch geboten. Um
den Ballon vor einer Berührung mit der Starkstromleitung des Elektron¬
werkes zu sichern, lassen mir ihn noch etwa 200 Meter zur Seite führen.
Hunderte von Menschen umdrängen uns dabei, es ist ja Feierabend, darum
haben sie Zeit, während man sonst bei den Fahrten von Bitterfeld ans wenig
belästigt wird.

Es ist Mittwoch nach Ostern, der 18. April, aber die Luft ist so mild
wie an einem Sommertage, und auch beim Sinken der Sonne kühlt sie sich
nur wenig ab. 7 Uhr 50 Minuten ertönt das Kommando: "Laßt los!" Mit
acht Sack Ballast steigen wir langsam auf, ein Zeichen, daß wir gut abge¬
wogen haben. Die Dunkelheit ist völlig hereingebrochen, der Himmel mit
Wolken bedeckt. Ja, wer vor acht Tagen beim Vollmondschein hätte fahren
können! Aber da hielt mich der Wunsch, einer Versammlung von Berufs-
genossen beizuwohnen, zurück. Wir fahren in geringer Höhe von 100 und
200 Metern. Mannigfache Geräusche dringen an unser Ohr: Menschen¬
stimmen und ländliche Musik aus den Ortschaften, Wagenrasseln auf den
Landstraßen und die fagottnrtigen Töne der Automobile. Frösche quaken in
der Abendstille, und Nachtvögel umkreischeu uns. Eigentümlich ist es, wie
auch in der Nacht immer die Hunde zuerst den Ballon bemerken und durch
ihr lautes Bellen erst die Menschen auf ihn aufmerksam machen.

Elektrische Taschenlampen mit gut gefüllten Akkumulatoren ermöglichen
es, Barometer und Barograph in kurzen Pausen zu kontrollieren und Auf¬
zeichnungen zu machen. Auch mit der Orientierung geht es zunächst ganz
gut. Unsre Karten sind bei dem künstlichen Lichte bequem zu lesen, und da wir
sehr niedrig fahren, ist uns auch eine Verständigung mit den Bewohnern der
Ortschaften möglich. Freilich dauerts mitunter eine Weile, bis sie merken, woher
der Anruf kommt, zuletzt erst denken sie daran, nach oben zu schauen. Heideloh
heißt der Ort, den wir, der Vitterfeld-Zörbiger Straße folgend, jetzt eben 8 Uhr
5 Minuten nahe zur Linken haben. Er liegt genau westlich von dem Platze
unsrer Auffahrt und ist, wie wir mit dem Zirkel auf der Karte feststelle",
9 Kilometer von Bitterfeld entfernt. Also treibt uns reiner Ostwind mit
einer Geschwindigkeit von 36 Kilometern in der Stunde, viel schneller, als wir
es bei der Stille des Abends erwartet hatten. Die Temperatur ist angenehm.
Da wir leider vergessen haben, ein Thermometer mitzunehmen, müssen wir
uns auf Schätzung verlassen: es mögen etwa 10 Grad Celsius sein. Leichte
Lodenmäntel genügen, uns warm zu halten. Da empfinden wir plötzlich
einen kühlen Luftzug, während sonst der mit der Strömung fahrende Luft-
schiffer ja den Eindruck völliger Windstille hat. Wir sind in einen andern
Luststrom geraten und müssen uns diesem erst anpassen. Das wiederholt sich


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und durch einen kurzen Zug am Ventil, daß dieses richtig arbeitet. Auslauf'
und Korbleinen sind vorschriftsmäßig am Ring angeknebelt, der Inhalt des
Korbes ist vollständig, namentlich sind die nötigen Apparate und Karten vor¬
handen. Eine Vorsicht erscheint jedoch vor der Abfahrt noch geboten. Um
den Ballon vor einer Berührung mit der Starkstromleitung des Elektron¬
werkes zu sichern, lassen mir ihn noch etwa 200 Meter zur Seite führen.
Hunderte von Menschen umdrängen uns dabei, es ist ja Feierabend, darum
haben sie Zeit, während man sonst bei den Fahrten von Bitterfeld ans wenig
belästigt wird.

Es ist Mittwoch nach Ostern, der 18. April, aber die Luft ist so mild
wie an einem Sommertage, und auch beim Sinken der Sonne kühlt sie sich
nur wenig ab. 7 Uhr 50 Minuten ertönt das Kommando: „Laßt los!" Mit
acht Sack Ballast steigen wir langsam auf, ein Zeichen, daß wir gut abge¬
wogen haben. Die Dunkelheit ist völlig hereingebrochen, der Himmel mit
Wolken bedeckt. Ja, wer vor acht Tagen beim Vollmondschein hätte fahren
können! Aber da hielt mich der Wunsch, einer Versammlung von Berufs-
genossen beizuwohnen, zurück. Wir fahren in geringer Höhe von 100 und
200 Metern. Mannigfache Geräusche dringen an unser Ohr: Menschen¬
stimmen und ländliche Musik aus den Ortschaften, Wagenrasseln auf den
Landstraßen und die fagottnrtigen Töne der Automobile. Frösche quaken in
der Abendstille, und Nachtvögel umkreischeu uns. Eigentümlich ist es, wie
auch in der Nacht immer die Hunde zuerst den Ballon bemerken und durch
ihr lautes Bellen erst die Menschen auf ihn aufmerksam machen.

Elektrische Taschenlampen mit gut gefüllten Akkumulatoren ermöglichen
es, Barometer und Barograph in kurzen Pausen zu kontrollieren und Auf¬
zeichnungen zu machen. Auch mit der Orientierung geht es zunächst ganz
gut. Unsre Karten sind bei dem künstlichen Lichte bequem zu lesen, und da wir
sehr niedrig fahren, ist uns auch eine Verständigung mit den Bewohnern der
Ortschaften möglich. Freilich dauerts mitunter eine Weile, bis sie merken, woher
der Anruf kommt, zuletzt erst denken sie daran, nach oben zu schauen. Heideloh
heißt der Ort, den wir, der Vitterfeld-Zörbiger Straße folgend, jetzt eben 8 Uhr
5 Minuten nahe zur Linken haben. Er liegt genau westlich von dem Platze
unsrer Auffahrt und ist, wie wir mit dem Zirkel auf der Karte feststelle»,
9 Kilometer von Bitterfeld entfernt. Also treibt uns reiner Ostwind mit
einer Geschwindigkeit von 36 Kilometern in der Stunde, viel schneller, als wir
es bei der Stille des Abends erwartet hatten. Die Temperatur ist angenehm.
Da wir leider vergessen haben, ein Thermometer mitzunehmen, müssen wir
uns auf Schätzung verlassen: es mögen etwa 10 Grad Celsius sein. Leichte
Lodenmäntel genügen, uns warm zu halten. Da empfinden wir plötzlich
einen kühlen Luftzug, während sonst der mit der Strömung fahrende Luft-
schiffer ja den Eindruck völliger Windstille hat. Wir sind in einen andern
Luststrom geraten und müssen uns diesem erst anpassen. Das wiederholt sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/42>, abgerufen am 23.07.2024.