Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Drei Tage in Traxezimt

Abreißzettel aus dem Eintragungsbuch und einer über den Trennungsstrich
geklebten Stempelmarke quittiert wird, ist die Beförderung unsicher. Die
Armenier, die mangels geeigneter Beamter angestellt werden müssen, finden
immer noch Mittel und Wege, durch Unterschlagungen eine Zulage zu ihrer
kärglichen Besoldung zu erübrigen oder durch Schikcmicrung der Kaufleute mit
verzögerter Telcgrammbestellung sie zu besondern Leistungen, zum Beispiel dem
Geschenk eines neuen Umzugs. zu nötigen. Ein Glück ist noch, daß sich diese
verlangten Zuwendungen immerhin in mäßigen Grenzen halten, sonst wäre diese
Art Gehaltszuschußsteuer bei der großen Zahl der sich dazu für berechtigt
haltenden Empfänger bei der Negierung, der Munizipalitüt und der Polizei schier
unerschwinglich. Sehr niedlich ist, daß zum Beispiel der vom Gouverneur
unabhängige Hafenpolizeibeamtc, der an dem vom Koran nicht gerade ausdrück¬
lich und namentlich verbotnen Bier Gefallen gefunden hat, einigen von seiner
Gefälligkeit abhängigen Geschäftshäusern öfters diskrete Lieferungen von zehn
Flaschen auferlegt; weniger schön, daß der in Ungnade verabschiedete frühere
Polizeigcwaltige doch noch so viel Verbindungen unterhält, daß es nicht ge¬
raten ist, seine bei Begegnungen sehr deutlich ausgesprochne Bitte um einige
Piaster abzuschlagen.

Von dem lebhaften Handelstreiben der Oststadt sticht die Ruhe in den
engen, mit hohen Mauern besetzten Straßen der Türkenstadt fast unheimlich
ab. Auch hier ist jedoch keine reinliche Scheidung nach Völkerstämmen erfolgt.
Es gibt Teile, die von Griechen und von Armeniern bewohnt sind. Vor¬
nehmlich im Basar, der sich an den vom Kleinhandel mit Lebensmitteln,
Früchten, Manufakturen und manchem europäischen Schund belegten Teil der
Oststadt anschließt, sind gewisse Gewerbe in den dafür bestimmten Gassen in
armenischen Händen. Das Hauptleben konzentriert sich auf die nach der West¬
vorstadt ziehende Hauptstraße, an der der große unschöne rote Gebäudekomplcx
des Generalgouverneurs liegt. Der Hauptsache nach dehnt sich die eigentliche
Türkenstadt auf einer von zwei Schluchten eingerahmten Felsplatte aus, die
zum Meere hinablüuft und außer starken Mauern der ehemaligen byzantinischen
Stadt die Ruinen des Kaiserschlosses der Komnenen trägt. Hochgeführte
Viadukte überspannen die Schluchten und die auf ihrem Grunde fließenden
Bäche und sind ebenso auffallend ordentlich gehalten wie die über sie führende
Haussierte Hauptstraße, die davon Zeugnis ablegt, daß ein energischer General-
gouvemeur mit einigem Sinn für Ordnung auch in der kleinasiatischen Türkei
solche schaffen kann. Die Ruhe der Friedhöfe isoliert die alte und die neue Murad-
Jmcired-Moschee von dem Treiben auf der Hauptstraße. Die Moscheen selber
bieten ebensowenig Sehenswertes wie die Kirchen mit ihrem dürftigen Schmuck,
der ärmlichen unkünstlerischen Decken- und Wandmalerei; aber die gesamte An¬
ordnung des mit saubern Steinplatten belegten Vorhofs, der Türbes und des
Brunnens am Eingang, des Minaretts und der mit immergrünen Gewächsen,
Efeu und Kirschlorbeer übersponnenen Mauern und Grabsteine sowie die kurze


Drei Tage in Traxezimt

Abreißzettel aus dem Eintragungsbuch und einer über den Trennungsstrich
geklebten Stempelmarke quittiert wird, ist die Beförderung unsicher. Die
Armenier, die mangels geeigneter Beamter angestellt werden müssen, finden
immer noch Mittel und Wege, durch Unterschlagungen eine Zulage zu ihrer
kärglichen Besoldung zu erübrigen oder durch Schikcmicrung der Kaufleute mit
verzögerter Telcgrammbestellung sie zu besondern Leistungen, zum Beispiel dem
Geschenk eines neuen Umzugs. zu nötigen. Ein Glück ist noch, daß sich diese
verlangten Zuwendungen immerhin in mäßigen Grenzen halten, sonst wäre diese
Art Gehaltszuschußsteuer bei der großen Zahl der sich dazu für berechtigt
haltenden Empfänger bei der Negierung, der Munizipalitüt und der Polizei schier
unerschwinglich. Sehr niedlich ist, daß zum Beispiel der vom Gouverneur
unabhängige Hafenpolizeibeamtc, der an dem vom Koran nicht gerade ausdrück¬
lich und namentlich verbotnen Bier Gefallen gefunden hat, einigen von seiner
Gefälligkeit abhängigen Geschäftshäusern öfters diskrete Lieferungen von zehn
Flaschen auferlegt; weniger schön, daß der in Ungnade verabschiedete frühere
Polizeigcwaltige doch noch so viel Verbindungen unterhält, daß es nicht ge¬
raten ist, seine bei Begegnungen sehr deutlich ausgesprochne Bitte um einige
Piaster abzuschlagen.

Von dem lebhaften Handelstreiben der Oststadt sticht die Ruhe in den
engen, mit hohen Mauern besetzten Straßen der Türkenstadt fast unheimlich
ab. Auch hier ist jedoch keine reinliche Scheidung nach Völkerstämmen erfolgt.
Es gibt Teile, die von Griechen und von Armeniern bewohnt sind. Vor¬
nehmlich im Basar, der sich an den vom Kleinhandel mit Lebensmitteln,
Früchten, Manufakturen und manchem europäischen Schund belegten Teil der
Oststadt anschließt, sind gewisse Gewerbe in den dafür bestimmten Gassen in
armenischen Händen. Das Hauptleben konzentriert sich auf die nach der West¬
vorstadt ziehende Hauptstraße, an der der große unschöne rote Gebäudekomplcx
des Generalgouverneurs liegt. Der Hauptsache nach dehnt sich die eigentliche
Türkenstadt auf einer von zwei Schluchten eingerahmten Felsplatte aus, die
zum Meere hinablüuft und außer starken Mauern der ehemaligen byzantinischen
Stadt die Ruinen des Kaiserschlosses der Komnenen trägt. Hochgeführte
Viadukte überspannen die Schluchten und die auf ihrem Grunde fließenden
Bäche und sind ebenso auffallend ordentlich gehalten wie die über sie führende
Haussierte Hauptstraße, die davon Zeugnis ablegt, daß ein energischer General-
gouvemeur mit einigem Sinn für Ordnung auch in der kleinasiatischen Türkei
solche schaffen kann. Die Ruhe der Friedhöfe isoliert die alte und die neue Murad-
Jmcired-Moschee von dem Treiben auf der Hauptstraße. Die Moscheen selber
bieten ebensowenig Sehenswertes wie die Kirchen mit ihrem dürftigen Schmuck,
der ärmlichen unkünstlerischen Decken- und Wandmalerei; aber die gesamte An¬
ordnung des mit saubern Steinplatten belegten Vorhofs, der Türbes und des
Brunnens am Eingang, des Minaretts und der mit immergrünen Gewächsen,
Efeu und Kirschlorbeer übersponnenen Mauern und Grabsteine sowie die kurze


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300206"/>
          <fw type="header" place="top"> Drei Tage in Traxezimt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1542" prev="#ID_1541"> Abreißzettel aus dem Eintragungsbuch und einer über den Trennungsstrich<lb/>
geklebten Stempelmarke quittiert wird, ist die Beförderung unsicher. Die<lb/>
Armenier, die mangels geeigneter Beamter angestellt werden müssen, finden<lb/>
immer noch Mittel und Wege, durch Unterschlagungen eine Zulage zu ihrer<lb/>
kärglichen Besoldung zu erübrigen oder durch Schikcmicrung der Kaufleute mit<lb/>
verzögerter Telcgrammbestellung sie zu besondern Leistungen, zum Beispiel dem<lb/>
Geschenk eines neuen Umzugs. zu nötigen. Ein Glück ist noch, daß sich diese<lb/>
verlangten Zuwendungen immerhin in mäßigen Grenzen halten, sonst wäre diese<lb/>
Art Gehaltszuschußsteuer bei der großen Zahl der sich dazu für berechtigt<lb/>
haltenden Empfänger bei der Negierung, der Munizipalitüt und der Polizei schier<lb/>
unerschwinglich. Sehr niedlich ist, daß zum Beispiel der vom Gouverneur<lb/>
unabhängige Hafenpolizeibeamtc, der an dem vom Koran nicht gerade ausdrück¬<lb/>
lich und namentlich verbotnen Bier Gefallen gefunden hat, einigen von seiner<lb/>
Gefälligkeit abhängigen Geschäftshäusern öfters diskrete Lieferungen von zehn<lb/>
Flaschen auferlegt; weniger schön, daß der in Ungnade verabschiedete frühere<lb/>
Polizeigcwaltige doch noch so viel Verbindungen unterhält, daß es nicht ge¬<lb/>
raten ist, seine bei Begegnungen sehr deutlich ausgesprochne Bitte um einige<lb/>
Piaster abzuschlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1543" next="#ID_1544"> Von dem lebhaften Handelstreiben der Oststadt sticht die Ruhe in den<lb/>
engen, mit hohen Mauern besetzten Straßen der Türkenstadt fast unheimlich<lb/>
ab. Auch hier ist jedoch keine reinliche Scheidung nach Völkerstämmen erfolgt.<lb/>
Es gibt Teile, die von Griechen und von Armeniern bewohnt sind. Vor¬<lb/>
nehmlich im Basar, der sich an den vom Kleinhandel mit Lebensmitteln,<lb/>
Früchten, Manufakturen und manchem europäischen Schund belegten Teil der<lb/>
Oststadt anschließt, sind gewisse Gewerbe in den dafür bestimmten Gassen in<lb/>
armenischen Händen. Das Hauptleben konzentriert sich auf die nach der West¬<lb/>
vorstadt ziehende Hauptstraße, an der der große unschöne rote Gebäudekomplcx<lb/>
des Generalgouverneurs liegt. Der Hauptsache nach dehnt sich die eigentliche<lb/>
Türkenstadt auf einer von zwei Schluchten eingerahmten Felsplatte aus, die<lb/>
zum Meere hinablüuft und außer starken Mauern der ehemaligen byzantinischen<lb/>
Stadt die Ruinen des Kaiserschlosses der Komnenen trägt. Hochgeführte<lb/>
Viadukte überspannen die Schluchten und die auf ihrem Grunde fließenden<lb/>
Bäche und sind ebenso auffallend ordentlich gehalten wie die über sie führende<lb/>
Haussierte Hauptstraße, die davon Zeugnis ablegt, daß ein energischer General-<lb/>
gouvemeur mit einigem Sinn für Ordnung auch in der kleinasiatischen Türkei<lb/>
solche schaffen kann. Die Ruhe der Friedhöfe isoliert die alte und die neue Murad-<lb/>
Jmcired-Moschee von dem Treiben auf der Hauptstraße. Die Moscheen selber<lb/>
bieten ebensowenig Sehenswertes wie die Kirchen mit ihrem dürftigen Schmuck,<lb/>
der ärmlichen unkünstlerischen Decken- und Wandmalerei; aber die gesamte An¬<lb/>
ordnung des mit saubern Steinplatten belegten Vorhofs, der Türbes und des<lb/>
Brunnens am Eingang, des Minaretts und der mit immergrünen Gewächsen,<lb/>
Efeu und Kirschlorbeer übersponnenen Mauern und Grabsteine sowie die kurze</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Drei Tage in Traxezimt Abreißzettel aus dem Eintragungsbuch und einer über den Trennungsstrich geklebten Stempelmarke quittiert wird, ist die Beförderung unsicher. Die Armenier, die mangels geeigneter Beamter angestellt werden müssen, finden immer noch Mittel und Wege, durch Unterschlagungen eine Zulage zu ihrer kärglichen Besoldung zu erübrigen oder durch Schikcmicrung der Kaufleute mit verzögerter Telcgrammbestellung sie zu besondern Leistungen, zum Beispiel dem Geschenk eines neuen Umzugs. zu nötigen. Ein Glück ist noch, daß sich diese verlangten Zuwendungen immerhin in mäßigen Grenzen halten, sonst wäre diese Art Gehaltszuschußsteuer bei der großen Zahl der sich dazu für berechtigt haltenden Empfänger bei der Negierung, der Munizipalitüt und der Polizei schier unerschwinglich. Sehr niedlich ist, daß zum Beispiel der vom Gouverneur unabhängige Hafenpolizeibeamtc, der an dem vom Koran nicht gerade ausdrück¬ lich und namentlich verbotnen Bier Gefallen gefunden hat, einigen von seiner Gefälligkeit abhängigen Geschäftshäusern öfters diskrete Lieferungen von zehn Flaschen auferlegt; weniger schön, daß der in Ungnade verabschiedete frühere Polizeigcwaltige doch noch so viel Verbindungen unterhält, daß es nicht ge¬ raten ist, seine bei Begegnungen sehr deutlich ausgesprochne Bitte um einige Piaster abzuschlagen. Von dem lebhaften Handelstreiben der Oststadt sticht die Ruhe in den engen, mit hohen Mauern besetzten Straßen der Türkenstadt fast unheimlich ab. Auch hier ist jedoch keine reinliche Scheidung nach Völkerstämmen erfolgt. Es gibt Teile, die von Griechen und von Armeniern bewohnt sind. Vor¬ nehmlich im Basar, der sich an den vom Kleinhandel mit Lebensmitteln, Früchten, Manufakturen und manchem europäischen Schund belegten Teil der Oststadt anschließt, sind gewisse Gewerbe in den dafür bestimmten Gassen in armenischen Händen. Das Hauptleben konzentriert sich auf die nach der West¬ vorstadt ziehende Hauptstraße, an der der große unschöne rote Gebäudekomplcx des Generalgouverneurs liegt. Der Hauptsache nach dehnt sich die eigentliche Türkenstadt auf einer von zwei Schluchten eingerahmten Felsplatte aus, die zum Meere hinablüuft und außer starken Mauern der ehemaligen byzantinischen Stadt die Ruinen des Kaiserschlosses der Komnenen trägt. Hochgeführte Viadukte überspannen die Schluchten und die auf ihrem Grunde fließenden Bäche und sind ebenso auffallend ordentlich gehalten wie die über sie führende Haussierte Hauptstraße, die davon Zeugnis ablegt, daß ein energischer General- gouvemeur mit einigem Sinn für Ordnung auch in der kleinasiatischen Türkei solche schaffen kann. Die Ruhe der Friedhöfe isoliert die alte und die neue Murad- Jmcired-Moschee von dem Treiben auf der Hauptstraße. Die Moscheen selber bieten ebensowenig Sehenswertes wie die Kirchen mit ihrem dürftigen Schmuck, der ärmlichen unkünstlerischen Decken- und Wandmalerei; aber die gesamte An¬ ordnung des mit saubern Steinplatten belegten Vorhofs, der Türbes und des Brunnens am Eingang, des Minaretts und der mit immergrünen Gewächsen, Efeu und Kirschlorbeer übersponnenen Mauern und Grabsteine sowie die kurze

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/419>, abgerufen am 23.07.2024.