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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Allerlei aus einem Strafrechtskommentar der guten alten Zeit

richter den Richter, ob er recht gerichtet habe. Dieser bejaht das, oder er ant¬
wortet: "Du hast nicht gericht, wie es Urteil und Recht mitgebracht, und bleibt
dir die Straff bevor."

Die Leiche darf "denen Nscllois, Barbieren zu der Anatomie und Zer¬
gliederung" nur mit Genehmigung der vorgesetzten Behörde und Vorwissen der
"Freundschafft" des Gerichteten überlassen werden, ja einzelne Doktores lehren,
daß man den armen Sünder vor dessen Tode darum ansprechen solle.

Die "Gerichtlichen Feri-Zeiten" sollen die Ausführung der Strafvoll¬
streckung nicht hemmen, wohl aber im allgemeinen die von der christlichen Kirche
gebotnen Feiertage. Ausnahmen werden gegen besonders abscheuliche Mörder
zugelassen, wiewohl jede Hinrichtung an Feiertagen bedenklich bleibt. Denn es
sei der verschieden "zweiffelhafften Fürfallenheiten, so sich am Tag der Exemtion
begeben mögen, nicht zu vergessen: als erstlich, wenn der Scharpffrichter den
Kopff nicht abhauen kan, oder der Strick nicht haltet, zerbricht, der NaleÄeÄnt,
Lebendig herab fallet, da er unbeschädigt auß dem Feuer heraußgehet usw."
Die Rechtsgelehrten sagen, daß man mit der Vollstreckung nicht fortfahren,
sondern "zunächst der Sache weiter nachsuchen" solle, wenn der Vorgang "gleich-
samb übernatürlich und Miraculoß" erscheine, zumal wenn sich der arme Sünder
auch noch am Hinrichtungstage für unschuldig erklärt hatte. Im Zweifel soll
"die Entledigung für Miraculoß prassuiniert" werden. Andernfalls soll man
sich durch das erste Fehlgehn nicht beirren lassen und mit der Vollstreckung
fortfahren. Selbstverständlich ist bei der Vollstreckung scharf darüber zu wachen,
daß der Delinquent nicht etwa "gähling in ein Kirchen oder Freydhoff einen
Absprung nemme und sich also entledige", falls es sich um ein "der geistlichen
Freyheit" fähiges Delikt handelt. In diesem Falle würde er auch schon da¬
durch die Vollstreckung vereiteln können, daß er einen das heilige Sakrament
tragenden Geistlichen oder einen Kardinal zu berühren Gelegenheit findet.

Die Kosten des Verfahrens sind vom Verurteilten und bei dessen Unver¬
mögen von der Gerichtsherrschaft zu tragen, die die Unkosten "nicht ansehen"
und deshalb "das Übel ungestraffter lassen" sollen, "sondern dessen eingedenk"
sein sollen, daß sie auch die Nutzungen der Gerichtsherrlichkeit genießen. Der
Freigesprochne kann zu den Kosten des Verfahrens verurteilt werden, wenn er
dazu "genügsame Ursach" gegeben hat.

Soviel auch im Laufe des Verfahrens höherer Bescheid einzuholen und
ein Rechtsmittel erlaubt ist, so besteht doch unter den Rechtsgelehrten darüber
Streit, ob "bey des Heil. Römischen Reichs Chur-Fürsten und Höfen" von
dem Endurteil eines Jnquisitionsprozesses sxpslliört werden darf. In Tirol
findet die Appellation gegen das Urteil nicht statt, es gilt als vox äsoisiva.
"Nicht destominder, damit die etwa nicht genugsamb defendierte Delinquenten
nicht übereylet, sondern mit aller Nothdurfft überflüssig angehört werden, würde
einem Richter obliegen, dafern der verdambte Delinquent bey Ankündigung deß
Urteils sich beschwärete. daß ihm zu vit und Unrecht beschehe, selben von


Allerlei aus einem Strafrechtskommentar der guten alten Zeit

richter den Richter, ob er recht gerichtet habe. Dieser bejaht das, oder er ant¬
wortet: „Du hast nicht gericht, wie es Urteil und Recht mitgebracht, und bleibt
dir die Straff bevor."

Die Leiche darf „denen Nscllois, Barbieren zu der Anatomie und Zer¬
gliederung" nur mit Genehmigung der vorgesetzten Behörde und Vorwissen der
„Freundschafft" des Gerichteten überlassen werden, ja einzelne Doktores lehren,
daß man den armen Sünder vor dessen Tode darum ansprechen solle.

Die „Gerichtlichen Feri-Zeiten" sollen die Ausführung der Strafvoll¬
streckung nicht hemmen, wohl aber im allgemeinen die von der christlichen Kirche
gebotnen Feiertage. Ausnahmen werden gegen besonders abscheuliche Mörder
zugelassen, wiewohl jede Hinrichtung an Feiertagen bedenklich bleibt. Denn es
sei der verschieden „zweiffelhafften Fürfallenheiten, so sich am Tag der Exemtion
begeben mögen, nicht zu vergessen: als erstlich, wenn der Scharpffrichter den
Kopff nicht abhauen kan, oder der Strick nicht haltet, zerbricht, der NaleÄeÄnt,
Lebendig herab fallet, da er unbeschädigt auß dem Feuer heraußgehet usw."
Die Rechtsgelehrten sagen, daß man mit der Vollstreckung nicht fortfahren,
sondern „zunächst der Sache weiter nachsuchen" solle, wenn der Vorgang „gleich-
samb übernatürlich und Miraculoß" erscheine, zumal wenn sich der arme Sünder
auch noch am Hinrichtungstage für unschuldig erklärt hatte. Im Zweifel soll
„die Entledigung für Miraculoß prassuiniert" werden. Andernfalls soll man
sich durch das erste Fehlgehn nicht beirren lassen und mit der Vollstreckung
fortfahren. Selbstverständlich ist bei der Vollstreckung scharf darüber zu wachen,
daß der Delinquent nicht etwa „gähling in ein Kirchen oder Freydhoff einen
Absprung nemme und sich also entledige", falls es sich um ein „der geistlichen
Freyheit" fähiges Delikt handelt. In diesem Falle würde er auch schon da¬
durch die Vollstreckung vereiteln können, daß er einen das heilige Sakrament
tragenden Geistlichen oder einen Kardinal zu berühren Gelegenheit findet.

Die Kosten des Verfahrens sind vom Verurteilten und bei dessen Unver¬
mögen von der Gerichtsherrschaft zu tragen, die die Unkosten „nicht ansehen"
und deshalb „das Übel ungestraffter lassen" sollen, „sondern dessen eingedenk"
sein sollen, daß sie auch die Nutzungen der Gerichtsherrlichkeit genießen. Der
Freigesprochne kann zu den Kosten des Verfahrens verurteilt werden, wenn er
dazu „genügsame Ursach" gegeben hat.

Soviel auch im Laufe des Verfahrens höherer Bescheid einzuholen und
ein Rechtsmittel erlaubt ist, so besteht doch unter den Rechtsgelehrten darüber
Streit, ob „bey des Heil. Römischen Reichs Chur-Fürsten und Höfen" von
dem Endurteil eines Jnquisitionsprozesses sxpslliört werden darf. In Tirol
findet die Appellation gegen das Urteil nicht statt, es gilt als vox äsoisiva.
"Nicht destominder, damit die etwa nicht genugsamb defendierte Delinquenten
nicht übereylet, sondern mit aller Nothdurfft überflüssig angehört werden, würde
einem Richter obliegen, dafern der verdambte Delinquent bey Ankündigung deß
Urteils sich beschwärete. daß ihm zu vit und Unrecht beschehe, selben von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/405>, abgerufen am 23.07.2024.