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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Das türkische Schattentheater

sämtlicher Berliner Cabarets während einer ganzen Theatersaison zusammen¬
genommen.

Was auch nach unsern abendländischen Begriffen dem lustigen Helden der
türkischen Schattenbühne, als dessen Vater der zur Zeit Murads des Vierten
lebende Silhouettenkünstler Hasanzade gilt, ein erhöhtes geistiges Interesse
verleiht, ja ihm direkt eine ethische Bedeutung gibt, ist der Umstand, daß er
von seiner Narrenfreiheit den ausgiebigsten Gebrauch macht, und zwar im Sinne
eines öffentlichen Anklägers, der mit beißendem Spott und treffender, oft geist¬
reicher Satire die menschliche Komödie geißelt. In manchen seiner Äußerungen
nach dieser Seite hin steckt etwas von der Schürfe und Schlagkraft eines
Juvenal, und als Mitarbeiter unsrer Witzblätter würde er zweifelsohne brillante
Honorare einheimsen.

Als man einmal an ihn die Frage richtete, weshalb er sich bei seinem
Anstand und seiner Bildung nicht um eine Hofstelle bewerbe, entgegnete er:
Aus Sparsamkeitsrücksichten. -- Wieso aus Sparsamkeitsrücksichten? fragte
der Fragesteller erstaunt. -- Weil es kaum Wasser genug gibt, einen Höfling
rein zu waschen.

Einst ließ sich ein hochgestellter, aber keineswegs mit einem Übermaß von
Verstand gesegneter Beamter herab, mit dem Spaßvogel eine Unterredung an¬
zuknüpfen. Deine Witze sind gut, Karagöz, bemerkte er, manchmal haust du
aber auch daneben. Wenn mir hin und wieder mal ein ungereimter Einfall
entführt, muß ich immer laut auflachen. -- In Wahrheit, dann bist du zu
beneiden, Effendi, versetzte der Angeredete, denn da mußt du ja das lustigste
Leben von der Welt führen.

Ein andresmal kam ein Gelehrter zu ihm und sagte: Mein Freund, du
bist ein Mann von Geschmack und Kenntnissen. Hier bringe ich dir ein Heft,
das die Niederschrift meines neuesten Buches enthält. Lies es und unterbreite
mir nach einigen Tagen dein Urteil. Als der Gelehrte zur bestimmten Frist
wiederkehrte, um die Meinung des Karagöz zu hören, erklärte ihm dieser:
Deine Blätter haben am Licht meiner Lampe Feuer gefangen und sind ver¬
brannt. -- Unseliger, rief der Mann der Wissenschaft entsetzt, was hast du
getan? -- Tröste dich nur, erwiderte Karagöz. Ich habe ein vortreffliches
Gedächtnis, und mit dessen Hilfe habe ich dein Werk wort- und sinngetreu
niedergeschrieben. Hier ist es. -- Aber die Schrift kann ja niemand lesen! --
Das ist der beste Gefallen, den ich dir habe tun können, meinte der Schalk
"ut sarkastischen Lächeln.

Leider sehen wir unsern Helden mit einer Schwäche behaftet, die fast einer
direkten Verneinung seiner guten Eigenschaften gleichkommt, es ist dies ein
faunisches Behagen am Niedrig-Erotischen, das ihn in zahlreichen Komödien
Zu Obszönitäten verleitet, die sogar der in Dingen öffentlicher Moral gewiß
uicht sehr empfindlichen türkischen Polizei Veranlassung boten, gegen solche
Ausschreitungen mit strengen Maßregeln vorzugehn. Seine perverse Natur


Das türkische Schattentheater

sämtlicher Berliner Cabarets während einer ganzen Theatersaison zusammen¬
genommen.

Was auch nach unsern abendländischen Begriffen dem lustigen Helden der
türkischen Schattenbühne, als dessen Vater der zur Zeit Murads des Vierten
lebende Silhouettenkünstler Hasanzade gilt, ein erhöhtes geistiges Interesse
verleiht, ja ihm direkt eine ethische Bedeutung gibt, ist der Umstand, daß er
von seiner Narrenfreiheit den ausgiebigsten Gebrauch macht, und zwar im Sinne
eines öffentlichen Anklägers, der mit beißendem Spott und treffender, oft geist¬
reicher Satire die menschliche Komödie geißelt. In manchen seiner Äußerungen
nach dieser Seite hin steckt etwas von der Schürfe und Schlagkraft eines
Juvenal, und als Mitarbeiter unsrer Witzblätter würde er zweifelsohne brillante
Honorare einheimsen.

Als man einmal an ihn die Frage richtete, weshalb er sich bei seinem
Anstand und seiner Bildung nicht um eine Hofstelle bewerbe, entgegnete er:
Aus Sparsamkeitsrücksichten. — Wieso aus Sparsamkeitsrücksichten? fragte
der Fragesteller erstaunt. — Weil es kaum Wasser genug gibt, einen Höfling
rein zu waschen.

Einst ließ sich ein hochgestellter, aber keineswegs mit einem Übermaß von
Verstand gesegneter Beamter herab, mit dem Spaßvogel eine Unterredung an¬
zuknüpfen. Deine Witze sind gut, Karagöz, bemerkte er, manchmal haust du
aber auch daneben. Wenn mir hin und wieder mal ein ungereimter Einfall
entführt, muß ich immer laut auflachen. — In Wahrheit, dann bist du zu
beneiden, Effendi, versetzte der Angeredete, denn da mußt du ja das lustigste
Leben von der Welt führen.

Ein andresmal kam ein Gelehrter zu ihm und sagte: Mein Freund, du
bist ein Mann von Geschmack und Kenntnissen. Hier bringe ich dir ein Heft,
das die Niederschrift meines neuesten Buches enthält. Lies es und unterbreite
mir nach einigen Tagen dein Urteil. Als der Gelehrte zur bestimmten Frist
wiederkehrte, um die Meinung des Karagöz zu hören, erklärte ihm dieser:
Deine Blätter haben am Licht meiner Lampe Feuer gefangen und sind ver¬
brannt. — Unseliger, rief der Mann der Wissenschaft entsetzt, was hast du
getan? — Tröste dich nur, erwiderte Karagöz. Ich habe ein vortreffliches
Gedächtnis, und mit dessen Hilfe habe ich dein Werk wort- und sinngetreu
niedergeschrieben. Hier ist es. — Aber die Schrift kann ja niemand lesen! —
Das ist der beste Gefallen, den ich dir habe tun können, meinte der Schalk
"ut sarkastischen Lächeln.

Leider sehen wir unsern Helden mit einer Schwäche behaftet, die fast einer
direkten Verneinung seiner guten Eigenschaften gleichkommt, es ist dies ein
faunisches Behagen am Niedrig-Erotischen, das ihn in zahlreichen Komödien
Zu Obszönitäten verleitet, die sogar der in Dingen öffentlicher Moral gewiß
uicht sehr empfindlichen türkischen Polizei Veranlassung boten, gegen solche
Ausschreitungen mit strengen Maßregeln vorzugehn. Seine perverse Natur


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[0361] Das türkische Schattentheater sämtlicher Berliner Cabarets während einer ganzen Theatersaison zusammen¬ genommen. Was auch nach unsern abendländischen Begriffen dem lustigen Helden der türkischen Schattenbühne, als dessen Vater der zur Zeit Murads des Vierten lebende Silhouettenkünstler Hasanzade gilt, ein erhöhtes geistiges Interesse verleiht, ja ihm direkt eine ethische Bedeutung gibt, ist der Umstand, daß er von seiner Narrenfreiheit den ausgiebigsten Gebrauch macht, und zwar im Sinne eines öffentlichen Anklägers, der mit beißendem Spott und treffender, oft geist¬ reicher Satire die menschliche Komödie geißelt. In manchen seiner Äußerungen nach dieser Seite hin steckt etwas von der Schürfe und Schlagkraft eines Juvenal, und als Mitarbeiter unsrer Witzblätter würde er zweifelsohne brillante Honorare einheimsen. Als man einmal an ihn die Frage richtete, weshalb er sich bei seinem Anstand und seiner Bildung nicht um eine Hofstelle bewerbe, entgegnete er: Aus Sparsamkeitsrücksichten. — Wieso aus Sparsamkeitsrücksichten? fragte der Fragesteller erstaunt. — Weil es kaum Wasser genug gibt, einen Höfling rein zu waschen. Einst ließ sich ein hochgestellter, aber keineswegs mit einem Übermaß von Verstand gesegneter Beamter herab, mit dem Spaßvogel eine Unterredung an¬ zuknüpfen. Deine Witze sind gut, Karagöz, bemerkte er, manchmal haust du aber auch daneben. Wenn mir hin und wieder mal ein ungereimter Einfall entführt, muß ich immer laut auflachen. — In Wahrheit, dann bist du zu beneiden, Effendi, versetzte der Angeredete, denn da mußt du ja das lustigste Leben von der Welt führen. Ein andresmal kam ein Gelehrter zu ihm und sagte: Mein Freund, du bist ein Mann von Geschmack und Kenntnissen. Hier bringe ich dir ein Heft, das die Niederschrift meines neuesten Buches enthält. Lies es und unterbreite mir nach einigen Tagen dein Urteil. Als der Gelehrte zur bestimmten Frist wiederkehrte, um die Meinung des Karagöz zu hören, erklärte ihm dieser: Deine Blätter haben am Licht meiner Lampe Feuer gefangen und sind ver¬ brannt. — Unseliger, rief der Mann der Wissenschaft entsetzt, was hast du getan? — Tröste dich nur, erwiderte Karagöz. Ich habe ein vortreffliches Gedächtnis, und mit dessen Hilfe habe ich dein Werk wort- und sinngetreu niedergeschrieben. Hier ist es. — Aber die Schrift kann ja niemand lesen! — Das ist der beste Gefallen, den ich dir habe tun können, meinte der Schalk "ut sarkastischen Lächeln. Leider sehen wir unsern Helden mit einer Schwäche behaftet, die fast einer direkten Verneinung seiner guten Eigenschaften gleichkommt, es ist dies ein faunisches Behagen am Niedrig-Erotischen, das ihn in zahlreichen Komödien Zu Obszönitäten verleitet, die sogar der in Dingen öffentlicher Moral gewiß uicht sehr empfindlichen türkischen Polizei Veranlassung boten, gegen solche Ausschreitungen mit strengen Maßregeln vorzugehn. Seine perverse Natur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/361>, abgerufen am 23.07.2024.