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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich

Generation angehört. Mit der Verwerfung wird dagegen die Kirche ihren
Verzicht auf die Stellung aussprechen, die sie bisher einnahm, und bald wird
der Tag kommen, wo die Karte des katholischen Frankreichs Punkt für Punkt
der Karte des unaufgeklärten Frankreichs entsprechen wird. Die Kantone
ohne Verkehrsstraßen und ohne Schulen werden die letzten Bollwerke der
Kirche sein, und unsre Nachkommen werden die Erscheinung sich erneuern
sehen, die das Ende der heidnischen Zivilisation bezeichnete, als das Wort
x^fünf, xaz^n, Bauer, den Sinn von xaien, Heide annahm. Am Ende des
zwanzigsten Jahrhunderts wird xaz^an, Bauer, des Synonym von Katholik
geworden sein."

Zunächst hat Pius der Zehnte in seinem an den Episkopat, den Klerus
und das Volk Frankreichs gerichteten Rundschreiben vom 11. Februar 1906
namens der Kirche das Trennungsgesetz in aller Form feierlichst verworfen
und verdammt. Sabatier will zwar noch nicht annehmen, daß Rom damit
sein letztes Wort gesprochen hat, er hofft vielmehr, daß es den Versuch machen
wird, sich in loyaler Weise mit den Tatsachen abzufinden. Es ist ja möglich,
daß die abweisende Antwort, die die französische Demokratie auf das päpst¬
liche Verdammungsurteil durch die allgemeinen Wahlen erteilt hat, im Vatikan
Eindruck macht und den Papst zum Einlenken bestimmt. Sicher ist zu¬
nächst nur, daß die Politik, die Pius der Zehnte Frankreich gegenüber ein¬
schlägt, für die Zukunft der römisch-katholischen Kirche im allgemeinen von
entscheidenden Einflüsse sein wird. Darin aber liegt die weltgeschichtliche Be¬
deutung des französischen Gesetzes über die Trennung der Kirchen und des
Staats. Jedenfalls hat die dritte französische Republik das Verdienst, zum
erstenmal den Versuch gemacht zu haben, die politischen Herrschaftsansprüche
der Kirche ohne jeden Eingriff in die Religionsfreiheit des Einzelnen im Wege
autonomer Gesetzgebung abzuweisen. Rein auf sich selbst gestellt, hat die
römisch-katholische Kirche in Frankreich Gelegenheit, ihre innere geistige Kraft
zu beweisen, und jedem einzelnen Franzosen ist volle Freiheit auf religiösem
Gebiete gewährleistet. Sollte sich nun bestätigen, was von vielen behauptet
wird, daß die Macht Roms nur in der Unterstützung durch die Staatsgewalt
liegt, daß sie "des weltlichen Armes" nicht entbehren kann, um sich zu er¬
halten, dann werden sich die Wirkungen der neusten kirchenpolitischen Gesetz¬
gebung Frankreichs weit über die Grenzen der dritten Republik hinaus er¬
strecken und die Fortführung des in seinen Anfängen stecken gebliebner Werkes
°er deutschen Reformation anbahnen. Dann wird aber auch Paul Sabatier
Recht behalten mit seiner Ansicht, daß es sich bei den kirchenpolitischen Vor¬
gängen in Frankreich um eine religiöse Umwälzung von weltgeschichtlicher Be¬
deutung handelt.




Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich

Generation angehört. Mit der Verwerfung wird dagegen die Kirche ihren
Verzicht auf die Stellung aussprechen, die sie bisher einnahm, und bald wird
der Tag kommen, wo die Karte des katholischen Frankreichs Punkt für Punkt
der Karte des unaufgeklärten Frankreichs entsprechen wird. Die Kantone
ohne Verkehrsstraßen und ohne Schulen werden die letzten Bollwerke der
Kirche sein, und unsre Nachkommen werden die Erscheinung sich erneuern
sehen, die das Ende der heidnischen Zivilisation bezeichnete, als das Wort
x^fünf, xaz^n, Bauer, den Sinn von xaien, Heide annahm. Am Ende des
zwanzigsten Jahrhunderts wird xaz^an, Bauer, des Synonym von Katholik
geworden sein."

Zunächst hat Pius der Zehnte in seinem an den Episkopat, den Klerus
und das Volk Frankreichs gerichteten Rundschreiben vom 11. Februar 1906
namens der Kirche das Trennungsgesetz in aller Form feierlichst verworfen
und verdammt. Sabatier will zwar noch nicht annehmen, daß Rom damit
sein letztes Wort gesprochen hat, er hofft vielmehr, daß es den Versuch machen
wird, sich in loyaler Weise mit den Tatsachen abzufinden. Es ist ja möglich,
daß die abweisende Antwort, die die französische Demokratie auf das päpst¬
liche Verdammungsurteil durch die allgemeinen Wahlen erteilt hat, im Vatikan
Eindruck macht und den Papst zum Einlenken bestimmt. Sicher ist zu¬
nächst nur, daß die Politik, die Pius der Zehnte Frankreich gegenüber ein¬
schlägt, für die Zukunft der römisch-katholischen Kirche im allgemeinen von
entscheidenden Einflüsse sein wird. Darin aber liegt die weltgeschichtliche Be¬
deutung des französischen Gesetzes über die Trennung der Kirchen und des
Staats. Jedenfalls hat die dritte französische Republik das Verdienst, zum
erstenmal den Versuch gemacht zu haben, die politischen Herrschaftsansprüche
der Kirche ohne jeden Eingriff in die Religionsfreiheit des Einzelnen im Wege
autonomer Gesetzgebung abzuweisen. Rein auf sich selbst gestellt, hat die
römisch-katholische Kirche in Frankreich Gelegenheit, ihre innere geistige Kraft
zu beweisen, und jedem einzelnen Franzosen ist volle Freiheit auf religiösem
Gebiete gewährleistet. Sollte sich nun bestätigen, was von vielen behauptet
wird, daß die Macht Roms nur in der Unterstützung durch die Staatsgewalt
liegt, daß sie „des weltlichen Armes" nicht entbehren kann, um sich zu er¬
halten, dann werden sich die Wirkungen der neusten kirchenpolitischen Gesetz¬
gebung Frankreichs weit über die Grenzen der dritten Republik hinaus er¬
strecken und die Fortführung des in seinen Anfängen stecken gebliebner Werkes
°er deutschen Reformation anbahnen. Dann wird aber auch Paul Sabatier
Recht behalten mit seiner Ansicht, daß es sich bei den kirchenpolitischen Vor¬
gängen in Frankreich um eine religiöse Umwälzung von weltgeschichtlicher Be¬
deutung handelt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/347>, abgerufen am 23.07.2024.