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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich
Veto Kuntzemüller vonin

an hat wohl behauptet, die französische Republik habe mit dem
am 1, Juli in Kraft getretner Gesetze über die Trennung der
Kirchen und des Staats eigentlich nur das von den Vereinigten
Staate" von Amerika gegebne Beispiel nachgeahmt. Das trifft
jedoch nicht zu; denn in den Vereinigten Staaten hat es eine
kirchenpolitische Gesetzgebung überhaupt noch nicht gegeben. Gesetzgebung in
Sachen der Religion ist dem Bunde durch die Verfassung der Union ausdrücklich
verboten, den einzelnen Bundesstaaten steht sie ebenfalls nicht zu, da Freiheit
der Religion und des Gewissens als zu den dem Volke und den einzelnen
Menschen vorbehaltnen Rechten gehörend betrachtet werden. Von einer
Trennung der Kirchen und des Staats, wie sie jetzt in Frankreich als Abschluß
einer laugen Entwicklung und als Ergebnis einer allmählichen Umwandlung
der Volksanschauung gesetzlich vollzogen worden ist, kann man im Hinblick auf
die Vereinigten Staaten nicht reden. Dort hat eine Verbindung zwischen
Staat und Kirche überhaupt nie bestanden, und ein staatliches Kultusbudget
hat man dort nie gekannt; es ist sogar denkbar, daß sich mit dem fort¬
schreitenden Einflüsse einzelner Kirchen in der Union die entgegengesetzte Ent¬
wicklung wie in Frankreich vollziehn könnte.

Aus der ursprünglich sehr innigen Verbindung mit der römischen Kirche
ist Frankreich, das Rom sogar seine "älteste Tochter" nannte, allmählich zur
Trennung des Staats von den Kirchen gelangt und hat dafür dle entsprechende
gesetzgeberische Form gesucht. Damit hat es in der Tat etwas unternommen
was bisher noch nie versucht worden ist. Mit vollem Rechte kann deshalb Pan
Sabatier in seiner Schrift "Über die Trennung der Kernder und des Staats"
behaupten: "Es handelt sich um einen neuen Versuch, aus dessen Verlaufe die


Grenzboten III 1W6


Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich
Veto Kuntzemüller vonin

an hat wohl behauptet, die französische Republik habe mit dem
am 1, Juli in Kraft getretner Gesetze über die Trennung der
Kirchen und des Staats eigentlich nur das von den Vereinigten
Staate» von Amerika gegebne Beispiel nachgeahmt. Das trifft
jedoch nicht zu; denn in den Vereinigten Staaten hat es eine
kirchenpolitische Gesetzgebung überhaupt noch nicht gegeben. Gesetzgebung in
Sachen der Religion ist dem Bunde durch die Verfassung der Union ausdrücklich
verboten, den einzelnen Bundesstaaten steht sie ebenfalls nicht zu, da Freiheit
der Religion und des Gewissens als zu den dem Volke und den einzelnen
Menschen vorbehaltnen Rechten gehörend betrachtet werden. Von einer
Trennung der Kirchen und des Staats, wie sie jetzt in Frankreich als Abschluß
einer laugen Entwicklung und als Ergebnis einer allmählichen Umwandlung
der Volksanschauung gesetzlich vollzogen worden ist, kann man im Hinblick auf
die Vereinigten Staaten nicht reden. Dort hat eine Verbindung zwischen
Staat und Kirche überhaupt nie bestanden, und ein staatliches Kultusbudget
hat man dort nie gekannt; es ist sogar denkbar, daß sich mit dem fort¬
schreitenden Einflüsse einzelner Kirchen in der Union die entgegengesetzte Ent¬
wicklung wie in Frankreich vollziehn könnte.

Aus der ursprünglich sehr innigen Verbindung mit der römischen Kirche
ist Frankreich, das Rom sogar seine „älteste Tochter" nannte, allmählich zur
Trennung des Staats von den Kirchen gelangt und hat dafür dle entsprechende
gesetzgeberische Form gesucht. Damit hat es in der Tat etwas unternommen
was bisher noch nie versucht worden ist. Mit vollem Rechte kann deshalb Pan
Sabatier in seiner Schrift „Über die Trennung der Kernder und des Staats"
behaupten: „Es handelt sich um einen neuen Versuch, aus dessen Verlaufe die


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[0341] [Abbildung] Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich Veto Kuntzemüller vonin an hat wohl behauptet, die französische Republik habe mit dem am 1, Juli in Kraft getretner Gesetze über die Trennung der Kirchen und des Staats eigentlich nur das von den Vereinigten Staate» von Amerika gegebne Beispiel nachgeahmt. Das trifft jedoch nicht zu; denn in den Vereinigten Staaten hat es eine kirchenpolitische Gesetzgebung überhaupt noch nicht gegeben. Gesetzgebung in Sachen der Religion ist dem Bunde durch die Verfassung der Union ausdrücklich verboten, den einzelnen Bundesstaaten steht sie ebenfalls nicht zu, da Freiheit der Religion und des Gewissens als zu den dem Volke und den einzelnen Menschen vorbehaltnen Rechten gehörend betrachtet werden. Von einer Trennung der Kirchen und des Staats, wie sie jetzt in Frankreich als Abschluß einer laugen Entwicklung und als Ergebnis einer allmählichen Umwandlung der Volksanschauung gesetzlich vollzogen worden ist, kann man im Hinblick auf die Vereinigten Staaten nicht reden. Dort hat eine Verbindung zwischen Staat und Kirche überhaupt nie bestanden, und ein staatliches Kultusbudget hat man dort nie gekannt; es ist sogar denkbar, daß sich mit dem fort¬ schreitenden Einflüsse einzelner Kirchen in der Union die entgegengesetzte Ent¬ wicklung wie in Frankreich vollziehn könnte. Aus der ursprünglich sehr innigen Verbindung mit der römischen Kirche ist Frankreich, das Rom sogar seine „älteste Tochter" nannte, allmählich zur Trennung des Staats von den Kirchen gelangt und hat dafür dle entsprechende gesetzgeberische Form gesucht. Damit hat es in der Tat etwas unternommen was bisher noch nie versucht worden ist. Mit vollem Rechte kann deshalb Pan Sabatier in seiner Schrift „Über die Trennung der Kernder und des Staats" behaupten: „Es handelt sich um einen neuen Versuch, aus dessen Verlaufe die Grenzboten III 1W6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/341>, abgerufen am 27.12.2024.