Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reinkens

den Priester niederdrückten, vollendeten sie die Befreiung des Denkers aus den
Fesseln der Orthodoxie, Da heute jedermann weiß, wie es um das italienische
Christentum bestellt ist und im verflossenen Kirchenstaat bestellt war, brauchen
Einzelheiten nicht angeführt zu werden. Zwei Jesuiten hat er auch besucht;
der General, Beckx, war, wie er schreibt, ein kränklicher Mann, sunst, höflich
und voll Vorsicht. Der Pater Schrader aber rückte offen mit der Auffassung
seiner Sozietns heraus: die Kirche müsse einen dem sinnlichen Menschen fühl¬
baren Arm, das heißt weltliche Macht haben; die Masse sei nicht durch Über¬
zeugung zu leiten; für sie müsse den Geboten durch Polizei Nachdruck gegeben
werden; die Menge wolle genommen sein, man solle sie also nehmen und führen.
Pater Schrader hat nicht ganz Unrecht; das ist einer der Punkte, auf denen
jede Kirche in Widerspruch mit dem Geiste des Christentums geraten muß, und
dieser Widerspruch drängt Geister wie Reinkens nicht bloß aus der römischen
Kirche, sondern, wenn sie sich völlig klar werden, aus jeder Kirche hinaus.
Nachdem er "abgefallen" und gar Bischof der Ketzer geworden war, hat es an
Bekehrungsversuchen uicht gefehlt. Es kam vor, daß bigotte Fanatiker in Bonn
auf der Straße niederknieten, und während er vorüberging, laut für seine Seele
beteten. Priester, die ihn zu solchem Zweck besuchen wollten, ließen sich von
ihrem Bischof die Erlaubnis dazu geben, weil kein Katholik mit einem öffentlich
Exkommunizierten verkehren darf. Mit Beziehung darauf schreibt er an einen
Jugendfreund, den Benediktinerabt Wolter von Beuron, der einen brieflichen
Bekehrungsversuch gemacht hatte: "Das Versälle:, der Juden den Samaritern
gegenüber hat Christus verurteilt und nicht in sein Reich übertragen. Eine
Kirche, die es herstellt, ist in der Praxis nicht sein Reich." Wogegen die Katho¬
liken 2. Johannis 10 anführen können.

Reinkens ist am 4. Januar 1896 in apostolischer Armut gestorben. Alles,
was er von seinem sehr bescheidnen Einkommen erübrigen konnte, hat er auf
altkatholische Zwecke verwandt. Er war so glücklich, das Vertrauen auf den
schließlichen Sieg der von ihm vertretnen Sache bis zum Tode zu bewahren
und die Überzeugung, daß er dein Glauben seiner Kindheit tren geblieben sei.
In die Bahnen der protestantischen Theologie hat er niemals eingelenkt; was
er schlimmes in der römischen Kirche sah, war in seinen Augen nur von ciußeu
eingedrungne Verderbnis, nicht Ausgestaltung des Wesens der Kirche.


L I.


Reinkens

den Priester niederdrückten, vollendeten sie die Befreiung des Denkers aus den
Fesseln der Orthodoxie, Da heute jedermann weiß, wie es um das italienische
Christentum bestellt ist und im verflossenen Kirchenstaat bestellt war, brauchen
Einzelheiten nicht angeführt zu werden. Zwei Jesuiten hat er auch besucht;
der General, Beckx, war, wie er schreibt, ein kränklicher Mann, sunst, höflich
und voll Vorsicht. Der Pater Schrader aber rückte offen mit der Auffassung
seiner Sozietns heraus: die Kirche müsse einen dem sinnlichen Menschen fühl¬
baren Arm, das heißt weltliche Macht haben; die Masse sei nicht durch Über¬
zeugung zu leiten; für sie müsse den Geboten durch Polizei Nachdruck gegeben
werden; die Menge wolle genommen sein, man solle sie also nehmen und führen.
Pater Schrader hat nicht ganz Unrecht; das ist einer der Punkte, auf denen
jede Kirche in Widerspruch mit dem Geiste des Christentums geraten muß, und
dieser Widerspruch drängt Geister wie Reinkens nicht bloß aus der römischen
Kirche, sondern, wenn sie sich völlig klar werden, aus jeder Kirche hinaus.
Nachdem er „abgefallen" und gar Bischof der Ketzer geworden war, hat es an
Bekehrungsversuchen uicht gefehlt. Es kam vor, daß bigotte Fanatiker in Bonn
auf der Straße niederknieten, und während er vorüberging, laut für seine Seele
beteten. Priester, die ihn zu solchem Zweck besuchen wollten, ließen sich von
ihrem Bischof die Erlaubnis dazu geben, weil kein Katholik mit einem öffentlich
Exkommunizierten verkehren darf. Mit Beziehung darauf schreibt er an einen
Jugendfreund, den Benediktinerabt Wolter von Beuron, der einen brieflichen
Bekehrungsversuch gemacht hatte: „Das Versälle:, der Juden den Samaritern
gegenüber hat Christus verurteilt und nicht in sein Reich übertragen. Eine
Kirche, die es herstellt, ist in der Praxis nicht sein Reich." Wogegen die Katho¬
liken 2. Johannis 10 anführen können.

Reinkens ist am 4. Januar 1896 in apostolischer Armut gestorben. Alles,
was er von seinem sehr bescheidnen Einkommen erübrigen konnte, hat er auf
altkatholische Zwecke verwandt. Er war so glücklich, das Vertrauen auf den
schließlichen Sieg der von ihm vertretnen Sache bis zum Tode zu bewahren
und die Überzeugung, daß er dein Glauben seiner Kindheit tren geblieben sei.
In die Bahnen der protestantischen Theologie hat er niemals eingelenkt; was
er schlimmes in der römischen Kirche sah, war in seinen Augen nur von ciußeu
eingedrungne Verderbnis, nicht Ausgestaltung des Wesens der Kirche.


L I.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299819"/>
          <fw type="header" place="top"> Reinkens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_51" prev="#ID_50"> den Priester niederdrückten, vollendeten sie die Befreiung des Denkers aus den<lb/>
Fesseln der Orthodoxie, Da heute jedermann weiß, wie es um das italienische<lb/>
Christentum bestellt ist und im verflossenen Kirchenstaat bestellt war, brauchen<lb/>
Einzelheiten nicht angeführt zu werden. Zwei Jesuiten hat er auch besucht;<lb/>
der General, Beckx, war, wie er schreibt, ein kränklicher Mann, sunst, höflich<lb/>
und voll Vorsicht. Der Pater Schrader aber rückte offen mit der Auffassung<lb/>
seiner Sozietns heraus: die Kirche müsse einen dem sinnlichen Menschen fühl¬<lb/>
baren Arm, das heißt weltliche Macht haben; die Masse sei nicht durch Über¬<lb/>
zeugung zu leiten; für sie müsse den Geboten durch Polizei Nachdruck gegeben<lb/>
werden; die Menge wolle genommen sein, man solle sie also nehmen und führen.<lb/>
Pater Schrader hat nicht ganz Unrecht; das ist einer der Punkte, auf denen<lb/>
jede Kirche in Widerspruch mit dem Geiste des Christentums geraten muß, und<lb/>
dieser Widerspruch drängt Geister wie Reinkens nicht bloß aus der römischen<lb/>
Kirche, sondern, wenn sie sich völlig klar werden, aus jeder Kirche hinaus.<lb/>
Nachdem er &#x201E;abgefallen" und gar Bischof der Ketzer geworden war, hat es an<lb/>
Bekehrungsversuchen uicht gefehlt. Es kam vor, daß bigotte Fanatiker in Bonn<lb/>
auf der Straße niederknieten, und während er vorüberging, laut für seine Seele<lb/>
beteten. Priester, die ihn zu solchem Zweck besuchen wollten, ließen sich von<lb/>
ihrem Bischof die Erlaubnis dazu geben, weil kein Katholik mit einem öffentlich<lb/>
Exkommunizierten verkehren darf. Mit Beziehung darauf schreibt er an einen<lb/>
Jugendfreund, den Benediktinerabt Wolter von Beuron, der einen brieflichen<lb/>
Bekehrungsversuch gemacht hatte: &#x201E;Das Versälle:, der Juden den Samaritern<lb/>
gegenüber hat Christus verurteilt und nicht in sein Reich übertragen. Eine<lb/>
Kirche, die es herstellt, ist in der Praxis nicht sein Reich." Wogegen die Katho¬<lb/>
liken 2. Johannis 10 anführen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_52"> Reinkens ist am 4. Januar 1896 in apostolischer Armut gestorben. Alles,<lb/>
was er von seinem sehr bescheidnen Einkommen erübrigen konnte, hat er auf<lb/>
altkatholische Zwecke verwandt. Er war so glücklich, das Vertrauen auf den<lb/>
schließlichen Sieg der von ihm vertretnen Sache bis zum Tode zu bewahren<lb/>
und die Überzeugung, daß er dein Glauben seiner Kindheit tren geblieben sei.<lb/>
In die Bahnen der protestantischen Theologie hat er niemals eingelenkt; was<lb/>
er schlimmes in der römischen Kirche sah, war in seinen Augen nur von ciußeu<lb/>
eingedrungne Verderbnis, nicht Ausgestaltung des Wesens der Kirche.</p><lb/>
          <note type="byline"> L I.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] Reinkens den Priester niederdrückten, vollendeten sie die Befreiung des Denkers aus den Fesseln der Orthodoxie, Da heute jedermann weiß, wie es um das italienische Christentum bestellt ist und im verflossenen Kirchenstaat bestellt war, brauchen Einzelheiten nicht angeführt zu werden. Zwei Jesuiten hat er auch besucht; der General, Beckx, war, wie er schreibt, ein kränklicher Mann, sunst, höflich und voll Vorsicht. Der Pater Schrader aber rückte offen mit der Auffassung seiner Sozietns heraus: die Kirche müsse einen dem sinnlichen Menschen fühl¬ baren Arm, das heißt weltliche Macht haben; die Masse sei nicht durch Über¬ zeugung zu leiten; für sie müsse den Geboten durch Polizei Nachdruck gegeben werden; die Menge wolle genommen sein, man solle sie also nehmen und führen. Pater Schrader hat nicht ganz Unrecht; das ist einer der Punkte, auf denen jede Kirche in Widerspruch mit dem Geiste des Christentums geraten muß, und dieser Widerspruch drängt Geister wie Reinkens nicht bloß aus der römischen Kirche, sondern, wenn sie sich völlig klar werden, aus jeder Kirche hinaus. Nachdem er „abgefallen" und gar Bischof der Ketzer geworden war, hat es an Bekehrungsversuchen uicht gefehlt. Es kam vor, daß bigotte Fanatiker in Bonn auf der Straße niederknieten, und während er vorüberging, laut für seine Seele beteten. Priester, die ihn zu solchem Zweck besuchen wollten, ließen sich von ihrem Bischof die Erlaubnis dazu geben, weil kein Katholik mit einem öffentlich Exkommunizierten verkehren darf. Mit Beziehung darauf schreibt er an einen Jugendfreund, den Benediktinerabt Wolter von Beuron, der einen brieflichen Bekehrungsversuch gemacht hatte: „Das Versälle:, der Juden den Samaritern gegenüber hat Christus verurteilt und nicht in sein Reich übertragen. Eine Kirche, die es herstellt, ist in der Praxis nicht sein Reich." Wogegen die Katho¬ liken 2. Johannis 10 anführen können. Reinkens ist am 4. Januar 1896 in apostolischer Armut gestorben. Alles, was er von seinem sehr bescheidnen Einkommen erübrigen konnte, hat er auf altkatholische Zwecke verwandt. Er war so glücklich, das Vertrauen auf den schließlichen Sieg der von ihm vertretnen Sache bis zum Tode zu bewahren und die Überzeugung, daß er dein Glauben seiner Kindheit tren geblieben sei. In die Bahnen der protestantischen Theologie hat er niemals eingelenkt; was er schlimmes in der römischen Kirche sah, war in seinen Augen nur von ciußeu eingedrungne Verderbnis, nicht Ausgestaltung des Wesens der Kirche. L I.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/32
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/32>, abgerufen am 23.07.2024.