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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Allerlei aus einem Strafrechtskommentar der guten alten Zeit

Verfolgte muß wieder an die Kirche zurückgegeben werden. Diese Freiheit er¬
streckt sich räumlich, je nach dem Range der Kirche, auch noch auf ein größeres
oder geringeres spatium um die Kirche herum. Der mittellose Delinquent ist
auf Kosten der Kirche gegen Erstattungsversprechen zu verpflegen und kann zur
Deckung der Kosten auch zur Hausarbeit angehalten werden. Die Berührung
der Ehrensäulen der römischen Kaiser und der Landesfürsten soll zwar nach
kaiserlichen Rechten dem verfolgten Delinquenten denselben Schutz gewähren.
"Aber es ist nit vit darauff zu verlassen, theils weilen dise Freyheit durch
Weltliche Gewalt gegeben, leichtlich durch Weltliche Gewalt wider genommen
werden mag, theils, weilen es ein unpracticierliche und ungewöhnliche Frey¬
heit ist."

Bei der Behandlung der Gerichtspersonen bemerkt der Verfasser: "Selig
der Richter, der mit einem verständigen und vertrauten Gerichtsschreiber ver¬
sehen ist, als an wessen Person nach dem Richter am mehristen gelegen."
"sovil aber die Gerichts-Diener betrifft" -- "seynd zu solcher Bedienung gute
gewissenhafste, mutsame, leutseelige und auch rechtliche, fromme Persohnen" zu
verpflichten. Sie tragen von Stunde der Gefangensetzung die Verantwortung
und Gefahr des Gerichts wegen der Person des Gefangenen. Keychenwärter,
die einem gefangenen "Weibsbild, ob es gleich ein beschryene gemaine Vellt
wäre, auch mit dero Willen flaischlichen beyhalten," haben die Strafe des
Schwertes verdient, denn es "gezihmet sich nit, das Orth der Gerechtigkeit zu
bemalten".

Die Beysassen, die das Urteil zu fällen haben, ohne daß dem Richter eine
Änderungsbefugnis zusteht, sollen, wenn sie "ein mwrössiertes oder auß Leiden¬
schafft hervor gebrochenes Urtheil schopffen und ihre aydliche Pflicht übertretten
wurden, neben zu erwarten habender Göttlichen Nach nach Beschaffenheit der
Umbständen mit Geldt, Keychen, ja Laib- und Lebens-Straff belegt werden"
können.

Die Gefangnen sollen "in leydentlichen Gefänknusfen" verpflegt werden,
ja, wenn sie erkranken, "der Keychen erlassen, jedoch mittelst Oautiov., oder
sonsten verwahret werden. Dann die ungesunde, unterirdische, finstere Gefänk¬
nusfen, welche mehr zum Schröcken, rormkntier- und AbPeinigung, ja noth¬
wendiger Abkürtzung deß Lebens, wegen ungesunder Lufft und Demmigkeit als
zu bloßer Verwahrung geraichen, sollen niemalens gebraucht werden, es wäre
dann ein völwauMt mittelst Urtels zu wohlverdienter Straff darhin verfällt
worden."

Das vonstiwwm (verantwortliche Vernehmung des Beschuldigten) wird
unter Beteiligung von Beysassen von Richter und Gerichtsschreiber zu Protokoll
gebracht. Zwar soll auf Erlangung eines Geständnisses hingearbeitet werden,
aber nicht ein solches "durch vor Augenlegung der Tortur" erpreßt werden,
geschweige denn protokolliert werden, daß der OonMwt em so erlangtes Ge¬
ständnis "in Güte" abgelegt habe. Der in Welschland allgemeine 8tM8. dem


Grenzboten III 1906
Allerlei aus einem Strafrechtskommentar der guten alten Zeit

Verfolgte muß wieder an die Kirche zurückgegeben werden. Diese Freiheit er¬
streckt sich räumlich, je nach dem Range der Kirche, auch noch auf ein größeres
oder geringeres spatium um die Kirche herum. Der mittellose Delinquent ist
auf Kosten der Kirche gegen Erstattungsversprechen zu verpflegen und kann zur
Deckung der Kosten auch zur Hausarbeit angehalten werden. Die Berührung
der Ehrensäulen der römischen Kaiser und der Landesfürsten soll zwar nach
kaiserlichen Rechten dem verfolgten Delinquenten denselben Schutz gewähren.
„Aber es ist nit vit darauff zu verlassen, theils weilen dise Freyheit durch
Weltliche Gewalt gegeben, leichtlich durch Weltliche Gewalt wider genommen
werden mag, theils, weilen es ein unpracticierliche und ungewöhnliche Frey¬
heit ist."

Bei der Behandlung der Gerichtspersonen bemerkt der Verfasser: „Selig
der Richter, der mit einem verständigen und vertrauten Gerichtsschreiber ver¬
sehen ist, als an wessen Person nach dem Richter am mehristen gelegen."
„sovil aber die Gerichts-Diener betrifft" — „seynd zu solcher Bedienung gute
gewissenhafste, mutsame, leutseelige und auch rechtliche, fromme Persohnen" zu
verpflichten. Sie tragen von Stunde der Gefangensetzung die Verantwortung
und Gefahr des Gerichts wegen der Person des Gefangenen. Keychenwärter,
die einem gefangenen „Weibsbild, ob es gleich ein beschryene gemaine Vellt
wäre, auch mit dero Willen flaischlichen beyhalten," haben die Strafe des
Schwertes verdient, denn es „gezihmet sich nit, das Orth der Gerechtigkeit zu
bemalten".

Die Beysassen, die das Urteil zu fällen haben, ohne daß dem Richter eine
Änderungsbefugnis zusteht, sollen, wenn sie „ein mwrössiertes oder auß Leiden¬
schafft hervor gebrochenes Urtheil schopffen und ihre aydliche Pflicht übertretten
wurden, neben zu erwarten habender Göttlichen Nach nach Beschaffenheit der
Umbständen mit Geldt, Keychen, ja Laib- und Lebens-Straff belegt werden"
können.

Die Gefangnen sollen „in leydentlichen Gefänknusfen" verpflegt werden,
ja, wenn sie erkranken, „der Keychen erlassen, jedoch mittelst Oautiov., oder
sonsten verwahret werden. Dann die ungesunde, unterirdische, finstere Gefänk¬
nusfen, welche mehr zum Schröcken, rormkntier- und AbPeinigung, ja noth¬
wendiger Abkürtzung deß Lebens, wegen ungesunder Lufft und Demmigkeit als
zu bloßer Verwahrung geraichen, sollen niemalens gebraucht werden, es wäre
dann ein völwauMt mittelst Urtels zu wohlverdienter Straff darhin verfällt
worden."

Das vonstiwwm (verantwortliche Vernehmung des Beschuldigten) wird
unter Beteiligung von Beysassen von Richter und Gerichtsschreiber zu Protokoll
gebracht. Zwar soll auf Erlangung eines Geständnisses hingearbeitet werden,
aber nicht ein solches „durch vor Augenlegung der Tortur" erpreßt werden,
geschweige denn protokolliert werden, daß der OonMwt em so erlangtes Ge¬
ständnis „in Güte" abgelegt habe. Der in Welschland allgemeine 8tM8. dem


Grenzboten III 1906
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/313>, abgerufen am 29.12.2024.