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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von

fing erst an, als Calonne an seine grundstürzende Reform herantrat und sich
zu diesem Zweck 1787 an die Notabelnversammlung wandte. Damit begann
die eigentliche Revolution.

Aber vorbereitet war diese offenkundige Revolutionsstimmung doch durch
den Halsbandprozeß, den Napoleon der Erste geradezu als einen der drei
Gründe der französischen Umwälzung bezeichnet hat. Es unterliegt keinem
Zweifel mehr, daß die Königin völlig schuldlos dastand, aber ebenso sicher ist
es, daß ihr Ansehen und damit das Ansehen der Monarchie aufs schwerste ge¬
schädigt wurde. Die Hauptrolle im Prozeß spielte die Frau Jeanne de la Motte;
sie entstammte einem Bastard Heinrichs des Zweiten, verlebte die ersten Jahre
ihres Daseins in äußerstem Elend, erhielt dann durch eine vornehme Dame eine
gute Erziehung und heiratete einen Offizier, verfiel aber in völlige Ehrlosigkeit
und Unsittlichkeit. Um zu Reichtum zu gelangen, wandte sie sich an den bei
Hofe in Ungnade lebenden Bischof Rohan - Guemene von Straßburg, den sie
öfter mit Erfolg angebettelt hatte, und wußte ihm allmählich den Glauben
beizubringen, die Königin wünsche hinter dem Rücken Ludwigs des Sechzehnten
ein kostbares Diamantenhalsband zu kaufen. In Wahrheit hatte Marie
Antoinette das Geschenk ihres Gemahls schon 1774 mit den Worten ab¬
gelehnt: "Ein Kriegsschiff tut uns mehr not als ein Schmuckstück." Die
Lamotte, die Ende 1784 von dem Halsband hörte, ließ aber Billetts der
Königin an Rohan fälschen, und nachdem auch der berühmteste Betrüger der
Zeit, Graf Cagliostro, günstige Vorzeichen geweissagt hatte, dem Kardinal eine
nächtliche Szene vortäuschen, die sich im Garten von Versailles am Boskett
der Venus abspielte; eine Dirne namens Nicole stellte dabei die Königin vor.
Rohan brachte nun das Halsband an sich und übergab es in Gegenwart der
Lamotte dem vermeintlichen Abgesandten der Königin, in Wirklichkeit dem Ge¬
liebten der Verbrecherin, die es durch diesen und ihren Gatten im Auslande
in einzelnen Stücken verkaufen ließ. Da aber Rohan den Juwelieren keine
Zahlung leistete, kam die ganze Angelegenheit aus Tageslicht. Die Königin
erhielt am 12. Juli 1785 ein Billett von ihnen, das sie nicht verstand, das
jedoch auf die richtige Spur führte; Rohan und die Betrüger wurden verhaftet
und vor dem Pariser Parlament nach langem Prozeß abgeurteilt: danach
empfingen die Schuldigen ihre gerechte Strafe, Rohan aber, der nur ein Opfer
der Lamotte geworden war, wurde im Mai 1786 freigesprochen. Der König
geriet über dieses Urteil in den äußersten Zorn und verbannte den Kardinal
in eine entlegne Abtei. Die schmählichsten Verleumdungen und die gemeinsten
Ausstreuungen über das Leben bei Hofe und besonders über das der Königin,
die sich hieran knüpften, riefen die erste deutlich sichtbare Gärung hervor.

Fassen wir das Ergebnis der gesamten Untersuchungen zusammen, so
müssen wir sagen: der Umsturz in Frankreich erfolgte, nicht weil der Abso¬
lutismus ausgeartet, sondern weil er zu schwach geworden, weil er in sich
selbst zerfallen war, und zweitens: der alte Staat zeigte nicht Fäulnis und


Vorgeschichte der französischen Revolution von

fing erst an, als Calonne an seine grundstürzende Reform herantrat und sich
zu diesem Zweck 1787 an die Notabelnversammlung wandte. Damit begann
die eigentliche Revolution.

Aber vorbereitet war diese offenkundige Revolutionsstimmung doch durch
den Halsbandprozeß, den Napoleon der Erste geradezu als einen der drei
Gründe der französischen Umwälzung bezeichnet hat. Es unterliegt keinem
Zweifel mehr, daß die Königin völlig schuldlos dastand, aber ebenso sicher ist
es, daß ihr Ansehen und damit das Ansehen der Monarchie aufs schwerste ge¬
schädigt wurde. Die Hauptrolle im Prozeß spielte die Frau Jeanne de la Motte;
sie entstammte einem Bastard Heinrichs des Zweiten, verlebte die ersten Jahre
ihres Daseins in äußerstem Elend, erhielt dann durch eine vornehme Dame eine
gute Erziehung und heiratete einen Offizier, verfiel aber in völlige Ehrlosigkeit
und Unsittlichkeit. Um zu Reichtum zu gelangen, wandte sie sich an den bei
Hofe in Ungnade lebenden Bischof Rohan - Guemene von Straßburg, den sie
öfter mit Erfolg angebettelt hatte, und wußte ihm allmählich den Glauben
beizubringen, die Königin wünsche hinter dem Rücken Ludwigs des Sechzehnten
ein kostbares Diamantenhalsband zu kaufen. In Wahrheit hatte Marie
Antoinette das Geschenk ihres Gemahls schon 1774 mit den Worten ab¬
gelehnt: „Ein Kriegsschiff tut uns mehr not als ein Schmuckstück." Die
Lamotte, die Ende 1784 von dem Halsband hörte, ließ aber Billetts der
Königin an Rohan fälschen, und nachdem auch der berühmteste Betrüger der
Zeit, Graf Cagliostro, günstige Vorzeichen geweissagt hatte, dem Kardinal eine
nächtliche Szene vortäuschen, die sich im Garten von Versailles am Boskett
der Venus abspielte; eine Dirne namens Nicole stellte dabei die Königin vor.
Rohan brachte nun das Halsband an sich und übergab es in Gegenwart der
Lamotte dem vermeintlichen Abgesandten der Königin, in Wirklichkeit dem Ge¬
liebten der Verbrecherin, die es durch diesen und ihren Gatten im Auslande
in einzelnen Stücken verkaufen ließ. Da aber Rohan den Juwelieren keine
Zahlung leistete, kam die ganze Angelegenheit aus Tageslicht. Die Königin
erhielt am 12. Juli 1785 ein Billett von ihnen, das sie nicht verstand, das
jedoch auf die richtige Spur führte; Rohan und die Betrüger wurden verhaftet
und vor dem Pariser Parlament nach langem Prozeß abgeurteilt: danach
empfingen die Schuldigen ihre gerechte Strafe, Rohan aber, der nur ein Opfer
der Lamotte geworden war, wurde im Mai 1786 freigesprochen. Der König
geriet über dieses Urteil in den äußersten Zorn und verbannte den Kardinal
in eine entlegne Abtei. Die schmählichsten Verleumdungen und die gemeinsten
Ausstreuungen über das Leben bei Hofe und besonders über das der Königin,
die sich hieran knüpften, riefen die erste deutlich sichtbare Gärung hervor.

Fassen wir das Ergebnis der gesamten Untersuchungen zusammen, so
müssen wir sagen: der Umsturz in Frankreich erfolgte, nicht weil der Abso¬
lutismus ausgeartet, sondern weil er zu schwach geworden, weil er in sich
selbst zerfallen war, und zweitens: der alte Staat zeigte nicht Fäulnis und


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[0307] Vorgeschichte der französischen Revolution von fing erst an, als Calonne an seine grundstürzende Reform herantrat und sich zu diesem Zweck 1787 an die Notabelnversammlung wandte. Damit begann die eigentliche Revolution. Aber vorbereitet war diese offenkundige Revolutionsstimmung doch durch den Halsbandprozeß, den Napoleon der Erste geradezu als einen der drei Gründe der französischen Umwälzung bezeichnet hat. Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die Königin völlig schuldlos dastand, aber ebenso sicher ist es, daß ihr Ansehen und damit das Ansehen der Monarchie aufs schwerste ge¬ schädigt wurde. Die Hauptrolle im Prozeß spielte die Frau Jeanne de la Motte; sie entstammte einem Bastard Heinrichs des Zweiten, verlebte die ersten Jahre ihres Daseins in äußerstem Elend, erhielt dann durch eine vornehme Dame eine gute Erziehung und heiratete einen Offizier, verfiel aber in völlige Ehrlosigkeit und Unsittlichkeit. Um zu Reichtum zu gelangen, wandte sie sich an den bei Hofe in Ungnade lebenden Bischof Rohan - Guemene von Straßburg, den sie öfter mit Erfolg angebettelt hatte, und wußte ihm allmählich den Glauben beizubringen, die Königin wünsche hinter dem Rücken Ludwigs des Sechzehnten ein kostbares Diamantenhalsband zu kaufen. In Wahrheit hatte Marie Antoinette das Geschenk ihres Gemahls schon 1774 mit den Worten ab¬ gelehnt: „Ein Kriegsschiff tut uns mehr not als ein Schmuckstück." Die Lamotte, die Ende 1784 von dem Halsband hörte, ließ aber Billetts der Königin an Rohan fälschen, und nachdem auch der berühmteste Betrüger der Zeit, Graf Cagliostro, günstige Vorzeichen geweissagt hatte, dem Kardinal eine nächtliche Szene vortäuschen, die sich im Garten von Versailles am Boskett der Venus abspielte; eine Dirne namens Nicole stellte dabei die Königin vor. Rohan brachte nun das Halsband an sich und übergab es in Gegenwart der Lamotte dem vermeintlichen Abgesandten der Königin, in Wirklichkeit dem Ge¬ liebten der Verbrecherin, die es durch diesen und ihren Gatten im Auslande in einzelnen Stücken verkaufen ließ. Da aber Rohan den Juwelieren keine Zahlung leistete, kam die ganze Angelegenheit aus Tageslicht. Die Königin erhielt am 12. Juli 1785 ein Billett von ihnen, das sie nicht verstand, das jedoch auf die richtige Spur führte; Rohan und die Betrüger wurden verhaftet und vor dem Pariser Parlament nach langem Prozeß abgeurteilt: danach empfingen die Schuldigen ihre gerechte Strafe, Rohan aber, der nur ein Opfer der Lamotte geworden war, wurde im Mai 1786 freigesprochen. Der König geriet über dieses Urteil in den äußersten Zorn und verbannte den Kardinal in eine entlegne Abtei. Die schmählichsten Verleumdungen und die gemeinsten Ausstreuungen über das Leben bei Hofe und besonders über das der Königin, die sich hieran knüpften, riefen die erste deutlich sichtbare Gärung hervor. Fassen wir das Ergebnis der gesamten Untersuchungen zusammen, so müssen wir sagen: der Umsturz in Frankreich erfolgte, nicht weil der Abso¬ lutismus ausgeartet, sondern weil er zu schwach geworden, weil er in sich selbst zerfallen war, und zweitens: der alte Staat zeigte nicht Fäulnis und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/307>, abgerufen am 23.07.2024.