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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von 1,739

längere Reihe von Jahren, ferner die Vereinfachung der Erhebung der indirekten
Steuern, die fast alle den drei großen Gesellschaften (Mine- ZMörals, re^is
Asuörals und rögis ass äoivainss) übergeben wurden, sodann die Erleichterungen
im Fabrikbetriebe, endlich die fast völlige Beseitigung der Reste von persönlicher
Unfreiheit der Bauern. Schließlich tat Necker noch einen wichtigen Schritt auf
dem Gebiete der Verfassung, indem er unter Hinweis auf die englische Ver¬
fassung das Staatsbudget veröffentlichte; es geschah dies in dem schon erwähnten
Loinxts rsnäu in der Absicht, den Kredit des Staats durch offne Darlegung
der "günstigen" französischen Finanzen vor dem Auslande zu heben. In Wahr¬
heit suchte er aber seine eigne Tätigkeit dadurch ins hellste Licht zu setzen, und
das Ganze war, wie wir schon wissen, nichts als eine großartige Täuschung und
Fälschung. Weitere Reformen wurden von Necker noch in Aussicht gestellt,
und seine Beliebtheit war allgemein, auch bei den Parlamenten, die ja auch
nach Popularität haschten und dem Könige später auch erfolgreiche Vorstellungen,
zum Beispiel über den Gebrauch der Isttrss as oaonst und der Zivilrechts-
fühigkeit der Protestanten, machten. Um so größer war die allgemeine Be¬
stürzung und Trauer, als Necker am 20. Mai 1781 plötzlich gestürzt wurde;
die Königin trug nicht die geringste Schuld daran, wie man immer geglaubt
hat, sondern der Gründe gab es viele, vor allem die Unfähigkeit des Ministers
selbst, das Defizit zu beseitigen und die etwa 1600 Millionen Franken Kriegs¬
kosten aufzubringen, ferner seine Taktlosigkeit, sodann die Eifersucht des ersten
Ministers, des alten Maurepas, und endlich wohl auch die Eifersucht der
Parlamente auf die Erfolge Neckers bei der großen Masse.

Unter den beiden folgenden Finanzministern Joly de Fleury und Ormesson
wurden die Reformen nur langsam gefördert, die Budgetverhältnisfe aber dnrch
neue, schon recht ungünstige Anleihen und durch Erhöhung der direkten und
der indirekten Steuern recht und schlecht weiterhin über Wasser gehalten.

Am 3. November 1783 übernahm Calonne die Geschäfte. Er zeichnete
sich durch hervorragende Begabung, aber auch durch einen innerlichen und zur
Schau getragnen Leichtsinn aus. Er hatte einem Parlament angehört, genoß
aber infolge eines Prozesses bei den Gerichtshöfen kein großes Ansehen. Die
Höhe des jährlichen Defizits bei Übernahme seines Amtes betrug 80 Millionen
Franken, und da er im ganzen 653 Millionen aufnahm, so wuchs das Defizit
unter ihm mächtig an, zumal da er die Begriffe Sparsamkeit und Ärmlichkeit
nicht kannte. Am meisten ist ihm vorzuwerfen, daß er die Schulden der Brüder
des Königs und andrer vornehmer Herren leichten Herzens bezahlte. Übrigens
wurde der größte Teil der Summen durchaus praktisch verwandt, zum Beispiel
auf die Anlegung von Verkehrswegen, von Quais in den großen Städten, zu
hygienischen Verbesserungen, zu regelmäßigen Paketfahrten zwischen Frankreich
und seinen Kolonien. Ebensowenig ruhten die Reformen auf landwirtschaft¬
lichen und auf gewerblichen Gebiete. Alles das vollzog sich ohne große Auf¬
regung der Gemüter. Die eigentliche revolutionäre Stimmung in Frankreich


Vorgeschichte der französischen Revolution von 1,739

längere Reihe von Jahren, ferner die Vereinfachung der Erhebung der indirekten
Steuern, die fast alle den drei großen Gesellschaften (Mine- ZMörals, re^is
Asuörals und rögis ass äoivainss) übergeben wurden, sodann die Erleichterungen
im Fabrikbetriebe, endlich die fast völlige Beseitigung der Reste von persönlicher
Unfreiheit der Bauern. Schließlich tat Necker noch einen wichtigen Schritt auf
dem Gebiete der Verfassung, indem er unter Hinweis auf die englische Ver¬
fassung das Staatsbudget veröffentlichte; es geschah dies in dem schon erwähnten
Loinxts rsnäu in der Absicht, den Kredit des Staats durch offne Darlegung
der „günstigen" französischen Finanzen vor dem Auslande zu heben. In Wahr¬
heit suchte er aber seine eigne Tätigkeit dadurch ins hellste Licht zu setzen, und
das Ganze war, wie wir schon wissen, nichts als eine großartige Täuschung und
Fälschung. Weitere Reformen wurden von Necker noch in Aussicht gestellt,
und seine Beliebtheit war allgemein, auch bei den Parlamenten, die ja auch
nach Popularität haschten und dem Könige später auch erfolgreiche Vorstellungen,
zum Beispiel über den Gebrauch der Isttrss as oaonst und der Zivilrechts-
fühigkeit der Protestanten, machten. Um so größer war die allgemeine Be¬
stürzung und Trauer, als Necker am 20. Mai 1781 plötzlich gestürzt wurde;
die Königin trug nicht die geringste Schuld daran, wie man immer geglaubt
hat, sondern der Gründe gab es viele, vor allem die Unfähigkeit des Ministers
selbst, das Defizit zu beseitigen und die etwa 1600 Millionen Franken Kriegs¬
kosten aufzubringen, ferner seine Taktlosigkeit, sodann die Eifersucht des ersten
Ministers, des alten Maurepas, und endlich wohl auch die Eifersucht der
Parlamente auf die Erfolge Neckers bei der großen Masse.

Unter den beiden folgenden Finanzministern Joly de Fleury und Ormesson
wurden die Reformen nur langsam gefördert, die Budgetverhältnisfe aber dnrch
neue, schon recht ungünstige Anleihen und durch Erhöhung der direkten und
der indirekten Steuern recht und schlecht weiterhin über Wasser gehalten.

Am 3. November 1783 übernahm Calonne die Geschäfte. Er zeichnete
sich durch hervorragende Begabung, aber auch durch einen innerlichen und zur
Schau getragnen Leichtsinn aus. Er hatte einem Parlament angehört, genoß
aber infolge eines Prozesses bei den Gerichtshöfen kein großes Ansehen. Die
Höhe des jährlichen Defizits bei Übernahme seines Amtes betrug 80 Millionen
Franken, und da er im ganzen 653 Millionen aufnahm, so wuchs das Defizit
unter ihm mächtig an, zumal da er die Begriffe Sparsamkeit und Ärmlichkeit
nicht kannte. Am meisten ist ihm vorzuwerfen, daß er die Schulden der Brüder
des Königs und andrer vornehmer Herren leichten Herzens bezahlte. Übrigens
wurde der größte Teil der Summen durchaus praktisch verwandt, zum Beispiel
auf die Anlegung von Verkehrswegen, von Quais in den großen Städten, zu
hygienischen Verbesserungen, zu regelmäßigen Paketfahrten zwischen Frankreich
und seinen Kolonien. Ebensowenig ruhten die Reformen auf landwirtschaft¬
lichen und auf gewerblichen Gebiete. Alles das vollzog sich ohne große Auf¬
regung der Gemüter. Die eigentliche revolutionäre Stimmung in Frankreich


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[0306] Vorgeschichte der französischen Revolution von 1,739 längere Reihe von Jahren, ferner die Vereinfachung der Erhebung der indirekten Steuern, die fast alle den drei großen Gesellschaften (Mine- ZMörals, re^is Asuörals und rögis ass äoivainss) übergeben wurden, sodann die Erleichterungen im Fabrikbetriebe, endlich die fast völlige Beseitigung der Reste von persönlicher Unfreiheit der Bauern. Schließlich tat Necker noch einen wichtigen Schritt auf dem Gebiete der Verfassung, indem er unter Hinweis auf die englische Ver¬ fassung das Staatsbudget veröffentlichte; es geschah dies in dem schon erwähnten Loinxts rsnäu in der Absicht, den Kredit des Staats durch offne Darlegung der „günstigen" französischen Finanzen vor dem Auslande zu heben. In Wahr¬ heit suchte er aber seine eigne Tätigkeit dadurch ins hellste Licht zu setzen, und das Ganze war, wie wir schon wissen, nichts als eine großartige Täuschung und Fälschung. Weitere Reformen wurden von Necker noch in Aussicht gestellt, und seine Beliebtheit war allgemein, auch bei den Parlamenten, die ja auch nach Popularität haschten und dem Könige später auch erfolgreiche Vorstellungen, zum Beispiel über den Gebrauch der Isttrss as oaonst und der Zivilrechts- fühigkeit der Protestanten, machten. Um so größer war die allgemeine Be¬ stürzung und Trauer, als Necker am 20. Mai 1781 plötzlich gestürzt wurde; die Königin trug nicht die geringste Schuld daran, wie man immer geglaubt hat, sondern der Gründe gab es viele, vor allem die Unfähigkeit des Ministers selbst, das Defizit zu beseitigen und die etwa 1600 Millionen Franken Kriegs¬ kosten aufzubringen, ferner seine Taktlosigkeit, sodann die Eifersucht des ersten Ministers, des alten Maurepas, und endlich wohl auch die Eifersucht der Parlamente auf die Erfolge Neckers bei der großen Masse. Unter den beiden folgenden Finanzministern Joly de Fleury und Ormesson wurden die Reformen nur langsam gefördert, die Budgetverhältnisfe aber dnrch neue, schon recht ungünstige Anleihen und durch Erhöhung der direkten und der indirekten Steuern recht und schlecht weiterhin über Wasser gehalten. Am 3. November 1783 übernahm Calonne die Geschäfte. Er zeichnete sich durch hervorragende Begabung, aber auch durch einen innerlichen und zur Schau getragnen Leichtsinn aus. Er hatte einem Parlament angehört, genoß aber infolge eines Prozesses bei den Gerichtshöfen kein großes Ansehen. Die Höhe des jährlichen Defizits bei Übernahme seines Amtes betrug 80 Millionen Franken, und da er im ganzen 653 Millionen aufnahm, so wuchs das Defizit unter ihm mächtig an, zumal da er die Begriffe Sparsamkeit und Ärmlichkeit nicht kannte. Am meisten ist ihm vorzuwerfen, daß er die Schulden der Brüder des Königs und andrer vornehmer Herren leichten Herzens bezahlte. Übrigens wurde der größte Teil der Summen durchaus praktisch verwandt, zum Beispiel auf die Anlegung von Verkehrswegen, von Quais in den großen Städten, zu hygienischen Verbesserungen, zu regelmäßigen Paketfahrten zwischen Frankreich und seinen Kolonien. Ebensowenig ruhten die Reformen auf landwirtschaft¬ lichen und auf gewerblichen Gebiete. Alles das vollzog sich ohne große Auf¬ regung der Gemüter. Die eigentliche revolutionäre Stimmung in Frankreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/306>, abgerufen am 25.08.2024.