Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Die württembergische Verfassungsrcform einer Gelegenheit trachteten, sich von dieser Mitregierung zu befreien. Die Von da an war Württemberg ein absoluter Staat, und man kann nicht Die württembergische Verfassungsrcform einer Gelegenheit trachteten, sich von dieser Mitregierung zu befreien. Die Von da an war Württemberg ein absoluter Staat, und man kann nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300077"/> <fw type="header" place="top"> Die württembergische Verfassungsrcform</fw><lb/> <p xml:id="ID_1023" prev="#ID_1022"> einer Gelegenheit trachteten, sich von dieser Mitregierung zu befreien. Die<lb/> Gelegenheit kam im Jahre 1805. Der Friede von Preßburg verlieh dem<lb/> Herzog Friedrich, dem Verbündeten des französischen Kaisers, die Königswürde<lb/> und die Souveränität. Infolge davon hielt er sich für berechtigt und zur<lb/> leichtern Erfüllung seiner Vertragspflicht gegen Frankreich sogar für verbunden,<lb/> auch die Fesseln gegenüber seinem Lande abzustreifen, nicht bloß gegenüber dem<lb/> Kaiser, und hob am 30. Dezember die 324 Jahre alte Verfassung auf. Die<lb/> Mitglieder des ständischen Ausschusses wurden gMisnäunr verbum, rsgis<lb/> ins alte Schloß zu Stuttgart beschieden, ihnen das Archiv und der Schlüssel<lb/> zur Landestruhe abgefordert und sie bedeutet, daß jede weitere Versammlung<lb/> ihrerseits als ein aufrührerischer Schritt angesehen und behandelt werden würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1024" next="#ID_1025"> Von da an war Württemberg ein absoluter Staat, und man kann nicht<lb/> bestreiten, daß die große Erweiterung des Staatsgebiets, wie sie 1803, 1805<lb/> und 1306 stattgefunden hat, von selbst die altwürttembergische Verfassung<lb/> unterhöhlte, da sie auf die neuen Gebiete nicht ohne weiteres übertragbar war<lb/> und ihre Aufrechterhaltung somit die Einheit des Staats unmöglich gemacht<lb/> hätte. Auch das kann nicht geleugnet werden, daß die absolute Monarchie von<lb/> 1806 bis 1814 eine Reihe nützlicher und fortschrittlicher Maßnahmen ins Leben<lb/> gerufen hat, die die Landstände wohl schwerlich angenommen haben würden,<lb/> wenn man sie hätte befragen müssen. Nachdem aber 1813 das napoleonische<lb/> Wesen in Deutschland endgiltig gestürzt war, mußte auch König Friedrich der Erste<lb/> wieder einlenken und im März 1815 die Landstände Altwürttembergs wieder<lb/> berufen, um so mehr als die deutsche Bundesakte (veröffentlicht am 8. Juni 1815)<lb/> in ihrem dreizehnten Artikel vorschrieb: „In allen Bundesstaaten wird eine<lb/> landständische Verfassung statthaben." Die Hauptzüge der nun folgenden<lb/> Kämpfe sind so bekannt, daß wir sie hier übergehn können; es genügt, daran<lb/> zu erinnern, daß die Altwürttemberger jahrelang an der Forderung festhielten,<lb/> daß zur Sühne des Rechtsbruchs von 1806 einfach die alte Landesverfassung<lb/> hergestellt werden müsse; daß aber sowohl König Friedrich als sein Sohn<lb/> König Wilhelm der Erste (1316 bis 1864) diesen Standpunkt aus verschiednen<lb/> Gründen ablehnten und eine neue Verfassung für notwendig ansahen. Im<lb/> Jahre 1319 einigten sich die streitenden Parteien in einem Augenblick, wo bei<lb/> mangelnder Verständigung Metternich jede Verfassung, die alte wie die neue,<lb/> verhindert haben würde; und die Verfassung vom 25. September 1819 trat in<lb/> Kraft, die mit einigen Veränderungen von da an bis 1906, also 87 Jahre<lb/> bestehn sollte. Sie setzte fest, daß der König die gesetzgebende Gewalt mit<lb/> zwei Kammern teilen und der zweiten Kammer die Verwilligung von Ausgaben<lb/> und Einnahmen mit der einzigen Maßgabe zustehn sollte, daß die erste Kammer<lb/> den Staatshaushalt als Ganzes annehmen oder verwerfen könne, nicht aber<lb/> einzelne Posten des Haushalts. Die Zusammensetzung der beiden Kammern<lb/> wurde folgendermaßen geordnet. Die „Kammer der Standesherren" wurde<lb/> gebildet aus den königlichen Prinzen, den 1806 „mediatisiertcn", d.h. aus</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0290]
Die württembergische Verfassungsrcform
einer Gelegenheit trachteten, sich von dieser Mitregierung zu befreien. Die
Gelegenheit kam im Jahre 1805. Der Friede von Preßburg verlieh dem
Herzog Friedrich, dem Verbündeten des französischen Kaisers, die Königswürde
und die Souveränität. Infolge davon hielt er sich für berechtigt und zur
leichtern Erfüllung seiner Vertragspflicht gegen Frankreich sogar für verbunden,
auch die Fesseln gegenüber seinem Lande abzustreifen, nicht bloß gegenüber dem
Kaiser, und hob am 30. Dezember die 324 Jahre alte Verfassung auf. Die
Mitglieder des ständischen Ausschusses wurden gMisnäunr verbum, rsgis
ins alte Schloß zu Stuttgart beschieden, ihnen das Archiv und der Schlüssel
zur Landestruhe abgefordert und sie bedeutet, daß jede weitere Versammlung
ihrerseits als ein aufrührerischer Schritt angesehen und behandelt werden würde.
Von da an war Württemberg ein absoluter Staat, und man kann nicht
bestreiten, daß die große Erweiterung des Staatsgebiets, wie sie 1803, 1805
und 1306 stattgefunden hat, von selbst die altwürttembergische Verfassung
unterhöhlte, da sie auf die neuen Gebiete nicht ohne weiteres übertragbar war
und ihre Aufrechterhaltung somit die Einheit des Staats unmöglich gemacht
hätte. Auch das kann nicht geleugnet werden, daß die absolute Monarchie von
1806 bis 1814 eine Reihe nützlicher und fortschrittlicher Maßnahmen ins Leben
gerufen hat, die die Landstände wohl schwerlich angenommen haben würden,
wenn man sie hätte befragen müssen. Nachdem aber 1813 das napoleonische
Wesen in Deutschland endgiltig gestürzt war, mußte auch König Friedrich der Erste
wieder einlenken und im März 1815 die Landstände Altwürttembergs wieder
berufen, um so mehr als die deutsche Bundesakte (veröffentlicht am 8. Juni 1815)
in ihrem dreizehnten Artikel vorschrieb: „In allen Bundesstaaten wird eine
landständische Verfassung statthaben." Die Hauptzüge der nun folgenden
Kämpfe sind so bekannt, daß wir sie hier übergehn können; es genügt, daran
zu erinnern, daß die Altwürttemberger jahrelang an der Forderung festhielten,
daß zur Sühne des Rechtsbruchs von 1806 einfach die alte Landesverfassung
hergestellt werden müsse; daß aber sowohl König Friedrich als sein Sohn
König Wilhelm der Erste (1316 bis 1864) diesen Standpunkt aus verschiednen
Gründen ablehnten und eine neue Verfassung für notwendig ansahen. Im
Jahre 1319 einigten sich die streitenden Parteien in einem Augenblick, wo bei
mangelnder Verständigung Metternich jede Verfassung, die alte wie die neue,
verhindert haben würde; und die Verfassung vom 25. September 1819 trat in
Kraft, die mit einigen Veränderungen von da an bis 1906, also 87 Jahre
bestehn sollte. Sie setzte fest, daß der König die gesetzgebende Gewalt mit
zwei Kammern teilen und der zweiten Kammer die Verwilligung von Ausgaben
und Einnahmen mit der einzigen Maßgabe zustehn sollte, daß die erste Kammer
den Staatshaushalt als Ganzes annehmen oder verwerfen könne, nicht aber
einzelne Posten des Haushalts. Die Zusammensetzung der beiden Kammern
wurde folgendermaßen geordnet. Die „Kammer der Standesherren" wurde
gebildet aus den königlichen Prinzen, den 1806 „mediatisiertcn", d.h. aus
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