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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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jesuitischer Richtung der Ketzerei verdächtig, denn die Bonner theologische Fakultät,
und darüber hinaus auch die katholischen Philosophen und Juristen, hatte der
Z831 gestorbne Professor Hermes beherrscht, dessen Lehren nach seinem Tode
verurteilt wurden. H. Schmid gibt in der protestantischen Enzyklopädie von
Herzog und Pult den Kirchenbehörden nicht unrecht. In dem aufrichtigen
Streben, die katholischen Glaubenslehren vernünftig zu begründen, habe ihnen
Hermes ihr Fundament, die kirchliche Autorität, entzogen. Und in der fanatischen
Überzeugung, daß sein Weg der allein richtige sei, habe er den Einfluß, den
die Regierung und der Erzbischof Graf Spiegel ihm einräumten, dazu benutzt,
alle Gegner ans der Fakultät zu verdrängen Md alle Lehrstühle mit seinen An¬
hängern zu besetzen, sodaß, was diesen später widerfuhr, nur als gerechte Ver-
geltung erscheint. Diese wurde nun von dem streng orthodoxen Erzbischof
Geißel schonungslos geübt. Es war natürlich, daß alle jungen Theologen von
regem Geist einer Lehre zuneigten, die es bei der Religion vorzugsweise auf
die Vernünftigkeit abgesehen hatte, und darum erschienen alle jungen Geistlichen,
die sich durch Geist und wissenschaftlichen Eifer auszeichneten, des Hermesianismns
verdächtig. Solche Leute waren die beiden Reinkens. Darum erfüllte Geißel
den Wunsch beider nicht, daß Joseph bei seinem ältern Bruder, der soeben eine
Bonner Pfarrei bekommen hatte, Kaplan würde. Der Erzbischof wollte ihn
in ein entlegnes Dorf schicken. Mit Mühe rang ihm Joseph die Erlaubnis
ab, der Studien wegen ohne Anstellung noch ein Jahr in Bonn bleiben zu
dürfen. Er half dabei die Woche über seinem Bruder in der Seelsorge und
hielt alle Sonntage in dem benachbarten Rheindorf Gottesdienst. Denn weit
entfernt davon, daß ihm die Seelsorge zuwider gewesen wäre, war sie ihm viel¬
mehr Bedürfnis; nur wollte er den Zusammenhang mit der Wissenschaft nicht
verlieren. Am Ende dieses Jahres, im August 1849, holte er sich in München
den theologischen Doktorgrad, und der Rektor sagte ihm beim Doktorschmause:
"Wenn Ihre Leistungen je am Rheine nicht Anerkennung finden sollten, so
kommen Sie zu uns; hier in München werden Sie jedenfalls anerkannt werden."
Den weitern Schikanen Geißels machte die Einladung ein Ende, nach Breslau
zu kommen, zu der sich der Fürstbischof Diepenbrock, die Professoren Baltzer
und Ritter und der Kanonikus Förster vereinigt hatten. Nun war zwar der
Hermesianismns beinahe vergessen, aber den Inquisitoren hatte sich der priester¬
liche Philosoph Anton Günther in Wien als neue erwünschte Jagdbeute dar¬
geboten. Die meisten Hermesicmer gingen zu Günther über, und Reinkens
Lehrer in der Philosophie, Knoodt, sowie seine Breslauer Gönner und Freunde,
der Dogmatiker Baltzer und der Philosoph Elvenich, waren erklärte Gnnthe-
rianer. Man denunzierte ihn, daß er an Beratungen dieser Häretiker teil¬
genommen habe. Weiter konnte man ihm nichts vorwerfen, aber es genügte, ihn als
der Ketzerei verdächtig zu verrufen. In der Tat hat sich Reinkens niemals aus¬
drücklich für Günther, sondern nur gegen seine Verdammung erklärt und sich
durch die Verurteilung seiner güntherischen Freunde vom vertrauten Umgange


Sinkens

jesuitischer Richtung der Ketzerei verdächtig, denn die Bonner theologische Fakultät,
und darüber hinaus auch die katholischen Philosophen und Juristen, hatte der
Z831 gestorbne Professor Hermes beherrscht, dessen Lehren nach seinem Tode
verurteilt wurden. H. Schmid gibt in der protestantischen Enzyklopädie von
Herzog und Pult den Kirchenbehörden nicht unrecht. In dem aufrichtigen
Streben, die katholischen Glaubenslehren vernünftig zu begründen, habe ihnen
Hermes ihr Fundament, die kirchliche Autorität, entzogen. Und in der fanatischen
Überzeugung, daß sein Weg der allein richtige sei, habe er den Einfluß, den
die Regierung und der Erzbischof Graf Spiegel ihm einräumten, dazu benutzt,
alle Gegner ans der Fakultät zu verdrängen Md alle Lehrstühle mit seinen An¬
hängern zu besetzen, sodaß, was diesen später widerfuhr, nur als gerechte Ver-
geltung erscheint. Diese wurde nun von dem streng orthodoxen Erzbischof
Geißel schonungslos geübt. Es war natürlich, daß alle jungen Theologen von
regem Geist einer Lehre zuneigten, die es bei der Religion vorzugsweise auf
die Vernünftigkeit abgesehen hatte, und darum erschienen alle jungen Geistlichen,
die sich durch Geist und wissenschaftlichen Eifer auszeichneten, des Hermesianismns
verdächtig. Solche Leute waren die beiden Reinkens. Darum erfüllte Geißel
den Wunsch beider nicht, daß Joseph bei seinem ältern Bruder, der soeben eine
Bonner Pfarrei bekommen hatte, Kaplan würde. Der Erzbischof wollte ihn
in ein entlegnes Dorf schicken. Mit Mühe rang ihm Joseph die Erlaubnis
ab, der Studien wegen ohne Anstellung noch ein Jahr in Bonn bleiben zu
dürfen. Er half dabei die Woche über seinem Bruder in der Seelsorge und
hielt alle Sonntage in dem benachbarten Rheindorf Gottesdienst. Denn weit
entfernt davon, daß ihm die Seelsorge zuwider gewesen wäre, war sie ihm viel¬
mehr Bedürfnis; nur wollte er den Zusammenhang mit der Wissenschaft nicht
verlieren. Am Ende dieses Jahres, im August 1849, holte er sich in München
den theologischen Doktorgrad, und der Rektor sagte ihm beim Doktorschmause:
„Wenn Ihre Leistungen je am Rheine nicht Anerkennung finden sollten, so
kommen Sie zu uns; hier in München werden Sie jedenfalls anerkannt werden."
Den weitern Schikanen Geißels machte die Einladung ein Ende, nach Breslau
zu kommen, zu der sich der Fürstbischof Diepenbrock, die Professoren Baltzer
und Ritter und der Kanonikus Förster vereinigt hatten. Nun war zwar der
Hermesianismns beinahe vergessen, aber den Inquisitoren hatte sich der priester¬
liche Philosoph Anton Günther in Wien als neue erwünschte Jagdbeute dar¬
geboten. Die meisten Hermesicmer gingen zu Günther über, und Reinkens
Lehrer in der Philosophie, Knoodt, sowie seine Breslauer Gönner und Freunde,
der Dogmatiker Baltzer und der Philosoph Elvenich, waren erklärte Gnnthe-
rianer. Man denunzierte ihn, daß er an Beratungen dieser Häretiker teil¬
genommen habe. Weiter konnte man ihm nichts vorwerfen, aber es genügte, ihn als
der Ketzerei verdächtig zu verrufen. In der Tat hat sich Reinkens niemals aus¬
drücklich für Günther, sondern nur gegen seine Verdammung erklärt und sich
durch die Verurteilung seiner güntherischen Freunde vom vertrauten Umgange


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/28>, abgerufen am 23.07.2024.