Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorgeschichte der französische" Revolution von ^739

mehrere Wochen in Anspruch nahmen. Aber solche Zustände herrschten in
damaliger Zeit wohl noch in vielen Staaten; schlimmer war die große Disziplin¬
losigkeit, die sich in der französischen Armee bemerkbar machte, und die ihren
Grund in der ungebührlichen Humanität der Vorgesetzten und in ihrer Unfähig¬
keit hatte. Dazu kamen als fernere Mängel die unerhörtesten Unterschleife in
der Armeeverwaltuug und die Unvollkommenheit der Kanonen und der Gewehre,
die unpraktischen (übrigens prächtigen) Uniformen, das ungenügende Spitalwesen.
Für die Flotte geschah so gut wie nichts, und als sie 1763 zugrunde gerichtet
war, machte man auch nur einen schwachen Versuch zu ihrer Wiederherstellung.

Das Finanzwesen war schon in den letzten Jahren Ludwigs des Vierzehnten
völlig zerrüttet; 1710, 1713, 1715 machte der Staat schimpflich bankrott. Nach
Ludwigs des Vierzehnten Tode versuchte man es mit dem Papiergeld, aber es
folgte 1721 ein neuer Zusammenbruch, aus dem sich dann Frankreich in den
nächsten Jahrzehnten durch Sparsamkeit wieder emporschwang. Der sieben¬
jährige Krieg endlich machte die Finanznot unheilbar; 1759 fand ein neuer
Staatsbankrott statt, und noch schlimmer war der von 1770/71. Die Schuld
an diesem trostlosen Zustande trugen weniger die hohen Kosten der Hofhaltung
als der ungeheure Aufwand für den Krieg mit England. Aber die Einnahmen
des Staats hätten viel größer sein können, wenn die Finanzverwaltung nicht
so schwere Fehler gehabt hätte. Es gab kein jährliches Budget, sondern man
verbrauchte die Einkünfte ziemlich regellos, oder man nahm Einnahmen des
folgenden Jahres schon vorweg; auch kostete die Verwaltung selbst übermäßig
viel. Etwa zwei Drittel der Einnahme kamen aus den indirekten, ein Drittel
aus den direkten Steuern ein. Zu diesen gehörten die Taille, die Kopfsteuer
und der Zwanzigste, die sämtlich ganz ungleich und ungerecht aufgebracht
wurden, denn eine Provinz war anders als die andre gestellt, die Städte
waren dem Lande gegenüber bevorzugt, der Klerus und der Adel von der
Taille gänzlich befreit, der Klerus auch von der Kopfsteuer und dem Zwanzigster,
und auch die wohlhabenden Bürger in den Städten wußten sich durch Zahlung
einer mäßigen Pauschalsumme von der direkten Steuer fast völlig frei zu halten.
Dagegen bezahlten die beiden ersten Stände doch in den Fällen die Taille, wo
sie ihre Güter verpachtet hatten, und das war für einen großen Teil üblich.
Deshalb darf man die Steuerprivilegien der beiden ersten Stunde nicht allzu
hoch anschlagen. Jedenfalls war der Ausfall an Steuern, der dadurch entstand,
daß man die Industrie und das mobile Vermögen überaus begünstigte, viel
größer; denn die gewaltigen Vermögen Einzelner und ganzer Korporationen,
Banken, Aktiengesellschaften usw. blieben nahezu steuerfrei. Am schwersten von
der Taille getroffen war jedenfalls der Bauer, der sein Eigentum selbst bebaute,
dann erst der Pächter, der eben wegen der zu zahlenden hohen Takte eine
entsprechend geringere Pacht zahlte. Außerdem erhob man als Zuschlag zur
Taille eine Kopfsteuer, die also auch den Bauern am meisten treffen mußte.
Den Zwanzigster endlich (etwas über 2^ Prozent) erhob man vom Adel und


Grenzboten III 1906 ^
Vorgeschichte der französische» Revolution von ^739

mehrere Wochen in Anspruch nahmen. Aber solche Zustände herrschten in
damaliger Zeit wohl noch in vielen Staaten; schlimmer war die große Disziplin¬
losigkeit, die sich in der französischen Armee bemerkbar machte, und die ihren
Grund in der ungebührlichen Humanität der Vorgesetzten und in ihrer Unfähig¬
keit hatte. Dazu kamen als fernere Mängel die unerhörtesten Unterschleife in
der Armeeverwaltuug und die Unvollkommenheit der Kanonen und der Gewehre,
die unpraktischen (übrigens prächtigen) Uniformen, das ungenügende Spitalwesen.
Für die Flotte geschah so gut wie nichts, und als sie 1763 zugrunde gerichtet
war, machte man auch nur einen schwachen Versuch zu ihrer Wiederherstellung.

Das Finanzwesen war schon in den letzten Jahren Ludwigs des Vierzehnten
völlig zerrüttet; 1710, 1713, 1715 machte der Staat schimpflich bankrott. Nach
Ludwigs des Vierzehnten Tode versuchte man es mit dem Papiergeld, aber es
folgte 1721 ein neuer Zusammenbruch, aus dem sich dann Frankreich in den
nächsten Jahrzehnten durch Sparsamkeit wieder emporschwang. Der sieben¬
jährige Krieg endlich machte die Finanznot unheilbar; 1759 fand ein neuer
Staatsbankrott statt, und noch schlimmer war der von 1770/71. Die Schuld
an diesem trostlosen Zustande trugen weniger die hohen Kosten der Hofhaltung
als der ungeheure Aufwand für den Krieg mit England. Aber die Einnahmen
des Staats hätten viel größer sein können, wenn die Finanzverwaltung nicht
so schwere Fehler gehabt hätte. Es gab kein jährliches Budget, sondern man
verbrauchte die Einkünfte ziemlich regellos, oder man nahm Einnahmen des
folgenden Jahres schon vorweg; auch kostete die Verwaltung selbst übermäßig
viel. Etwa zwei Drittel der Einnahme kamen aus den indirekten, ein Drittel
aus den direkten Steuern ein. Zu diesen gehörten die Taille, die Kopfsteuer
und der Zwanzigste, die sämtlich ganz ungleich und ungerecht aufgebracht
wurden, denn eine Provinz war anders als die andre gestellt, die Städte
waren dem Lande gegenüber bevorzugt, der Klerus und der Adel von der
Taille gänzlich befreit, der Klerus auch von der Kopfsteuer und dem Zwanzigster,
und auch die wohlhabenden Bürger in den Städten wußten sich durch Zahlung
einer mäßigen Pauschalsumme von der direkten Steuer fast völlig frei zu halten.
Dagegen bezahlten die beiden ersten Stände doch in den Fällen die Taille, wo
sie ihre Güter verpachtet hatten, und das war für einen großen Teil üblich.
Deshalb darf man die Steuerprivilegien der beiden ersten Stunde nicht allzu
hoch anschlagen. Jedenfalls war der Ausfall an Steuern, der dadurch entstand,
daß man die Industrie und das mobile Vermögen überaus begünstigte, viel
größer; denn die gewaltigen Vermögen Einzelner und ganzer Korporationen,
Banken, Aktiengesellschaften usw. blieben nahezu steuerfrei. Am schwersten von
der Taille getroffen war jedenfalls der Bauer, der sein Eigentum selbst bebaute,
dann erst der Pächter, der eben wegen der zu zahlenden hohen Takte eine
entsprechend geringere Pacht zahlte. Außerdem erhob man als Zuschlag zur
Taille eine Kopfsteuer, die also auch den Bauern am meisten treffen mußte.
Den Zwanzigster endlich (etwas über 2^ Prozent) erhob man vom Adel und


Grenzboten III 1906 ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300040"/>
          <fw type="header" place="top"> Vorgeschichte der französische» Revolution von ^739</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_897" prev="#ID_896"> mehrere Wochen in Anspruch nahmen. Aber solche Zustände herrschten in<lb/>
damaliger Zeit wohl noch in vielen Staaten; schlimmer war die große Disziplin¬<lb/>
losigkeit, die sich in der französischen Armee bemerkbar machte, und die ihren<lb/>
Grund in der ungebührlichen Humanität der Vorgesetzten und in ihrer Unfähig¬<lb/>
keit hatte. Dazu kamen als fernere Mängel die unerhörtesten Unterschleife in<lb/>
der Armeeverwaltuug und die Unvollkommenheit der Kanonen und der Gewehre,<lb/>
die unpraktischen (übrigens prächtigen) Uniformen, das ungenügende Spitalwesen.<lb/>
Für die Flotte geschah so gut wie nichts, und als sie 1763 zugrunde gerichtet<lb/>
war, machte man auch nur einen schwachen Versuch zu ihrer Wiederherstellung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_898" next="#ID_899"> Das Finanzwesen war schon in den letzten Jahren Ludwigs des Vierzehnten<lb/>
völlig zerrüttet; 1710, 1713, 1715 machte der Staat schimpflich bankrott. Nach<lb/>
Ludwigs des Vierzehnten Tode versuchte man es mit dem Papiergeld, aber es<lb/>
folgte 1721 ein neuer Zusammenbruch, aus dem sich dann Frankreich in den<lb/>
nächsten Jahrzehnten durch Sparsamkeit wieder emporschwang.  Der sieben¬<lb/>
jährige Krieg endlich machte die Finanznot unheilbar; 1759 fand ein neuer<lb/>
Staatsbankrott statt, und noch schlimmer war der von 1770/71.  Die Schuld<lb/>
an diesem trostlosen Zustande trugen weniger die hohen Kosten der Hofhaltung<lb/>
als der ungeheure Aufwand für den Krieg mit England. Aber die Einnahmen<lb/>
des Staats hätten viel größer sein können, wenn die Finanzverwaltung nicht<lb/>
so schwere Fehler gehabt hätte.  Es gab kein jährliches Budget, sondern man<lb/>
verbrauchte die Einkünfte ziemlich regellos, oder man nahm Einnahmen des<lb/>
folgenden Jahres schon vorweg; auch kostete die Verwaltung selbst übermäßig<lb/>
viel.  Etwa zwei Drittel der Einnahme kamen aus den indirekten, ein Drittel<lb/>
aus den direkten Steuern ein.  Zu diesen gehörten die Taille, die Kopfsteuer<lb/>
und der Zwanzigste, die sämtlich ganz ungleich und ungerecht aufgebracht<lb/>
wurden, denn eine Provinz war anders als die andre gestellt, die Städte<lb/>
waren dem Lande gegenüber bevorzugt, der Klerus und der Adel von der<lb/>
Taille gänzlich befreit, der Klerus auch von der Kopfsteuer und dem Zwanzigster,<lb/>
und auch die wohlhabenden Bürger in den Städten wußten sich durch Zahlung<lb/>
einer mäßigen Pauschalsumme von der direkten Steuer fast völlig frei zu halten.<lb/>
Dagegen bezahlten die beiden ersten Stände doch in den Fällen die Taille, wo<lb/>
sie ihre Güter verpachtet hatten, und das war für einen großen Teil üblich.<lb/>
Deshalb darf man die Steuerprivilegien der beiden ersten Stunde nicht allzu<lb/>
hoch anschlagen. Jedenfalls war der Ausfall an Steuern, der dadurch entstand,<lb/>
daß man die Industrie und das mobile Vermögen überaus begünstigte, viel<lb/>
größer; denn die gewaltigen Vermögen Einzelner und ganzer Korporationen,<lb/>
Banken, Aktiengesellschaften usw. blieben nahezu steuerfrei.  Am schwersten von<lb/>
der Taille getroffen war jedenfalls der Bauer, der sein Eigentum selbst bebaute,<lb/>
dann erst der Pächter, der eben wegen der zu zahlenden hohen Takte eine<lb/>
entsprechend geringere Pacht zahlte.  Außerdem erhob man als Zuschlag zur<lb/>
Taille eine Kopfsteuer, die also auch den Bauern am meisten treffen mußte.<lb/>
Den Zwanzigster endlich (etwas über 2^ Prozent) erhob man vom Adel und</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1906 ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] Vorgeschichte der französische» Revolution von ^739 mehrere Wochen in Anspruch nahmen. Aber solche Zustände herrschten in damaliger Zeit wohl noch in vielen Staaten; schlimmer war die große Disziplin¬ losigkeit, die sich in der französischen Armee bemerkbar machte, und die ihren Grund in der ungebührlichen Humanität der Vorgesetzten und in ihrer Unfähig¬ keit hatte. Dazu kamen als fernere Mängel die unerhörtesten Unterschleife in der Armeeverwaltuug und die Unvollkommenheit der Kanonen und der Gewehre, die unpraktischen (übrigens prächtigen) Uniformen, das ungenügende Spitalwesen. Für die Flotte geschah so gut wie nichts, und als sie 1763 zugrunde gerichtet war, machte man auch nur einen schwachen Versuch zu ihrer Wiederherstellung. Das Finanzwesen war schon in den letzten Jahren Ludwigs des Vierzehnten völlig zerrüttet; 1710, 1713, 1715 machte der Staat schimpflich bankrott. Nach Ludwigs des Vierzehnten Tode versuchte man es mit dem Papiergeld, aber es folgte 1721 ein neuer Zusammenbruch, aus dem sich dann Frankreich in den nächsten Jahrzehnten durch Sparsamkeit wieder emporschwang. Der sieben¬ jährige Krieg endlich machte die Finanznot unheilbar; 1759 fand ein neuer Staatsbankrott statt, und noch schlimmer war der von 1770/71. Die Schuld an diesem trostlosen Zustande trugen weniger die hohen Kosten der Hofhaltung als der ungeheure Aufwand für den Krieg mit England. Aber die Einnahmen des Staats hätten viel größer sein können, wenn die Finanzverwaltung nicht so schwere Fehler gehabt hätte. Es gab kein jährliches Budget, sondern man verbrauchte die Einkünfte ziemlich regellos, oder man nahm Einnahmen des folgenden Jahres schon vorweg; auch kostete die Verwaltung selbst übermäßig viel. Etwa zwei Drittel der Einnahme kamen aus den indirekten, ein Drittel aus den direkten Steuern ein. Zu diesen gehörten die Taille, die Kopfsteuer und der Zwanzigste, die sämtlich ganz ungleich und ungerecht aufgebracht wurden, denn eine Provinz war anders als die andre gestellt, die Städte waren dem Lande gegenüber bevorzugt, der Klerus und der Adel von der Taille gänzlich befreit, der Klerus auch von der Kopfsteuer und dem Zwanzigster, und auch die wohlhabenden Bürger in den Städten wußten sich durch Zahlung einer mäßigen Pauschalsumme von der direkten Steuer fast völlig frei zu halten. Dagegen bezahlten die beiden ersten Stände doch in den Fällen die Taille, wo sie ihre Güter verpachtet hatten, und das war für einen großen Teil üblich. Deshalb darf man die Steuerprivilegien der beiden ersten Stunde nicht allzu hoch anschlagen. Jedenfalls war der Ausfall an Steuern, der dadurch entstand, daß man die Industrie und das mobile Vermögen überaus begünstigte, viel größer; denn die gewaltigen Vermögen Einzelner und ganzer Korporationen, Banken, Aktiengesellschaften usw. blieben nahezu steuerfrei. Am schwersten von der Taille getroffen war jedenfalls der Bauer, der sein Eigentum selbst bebaute, dann erst der Pächter, der eben wegen der zu zahlenden hohen Takte eine entsprechend geringere Pacht zahlte. Außerdem erhob man als Zuschlag zur Taille eine Kopfsteuer, die also auch den Bauern am meisten treffen mußte. Den Zwanzigster endlich (etwas über 2^ Prozent) erhob man vom Adel und Grenzboten III 1906 ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/253>, abgerufen am 23.07.2024.