Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

führte seinen Stammbaum auf die Könige der Westgoten zurück. Goya zeichnet
einen Esel, der einen Stammbaum betrachtet, und schreibt darunter: "Die
Genealogisten und die Heraldiker haben das arme Tier verrückt gemacht, und
es ist nicht das einzige, dem es so ergeht." Ähnlich werden die Personen der
königlichen Familie, ihre Laster und Arkaden verhöhnt. Wer, schreibt Desdevises,
die Undankbarkeit des gut bezahlten Hofmalers Schelte, der urteile von einem
sehr niedrigen Standpunkt aus. Goya habe sein Vaterland leidenschaftlich
geliebt und darum die elenden herrschenden Gemälden und Stände notwendig
hassen müssen. So habe er auch die Kirche und den Klerus gehaßt, nicht aus
gemeiner Gesinnung, sondern weil ihr Leben im Widerspruch stand mit ihrem
Berufe. Zuletzt hat Goya in einem Kupferstich seinen eignen verwesenden
Leichnam dargestellt, wie er sich aufrichtet, um zu rufen, es gebe nichts jenseits
des Grabes. Desdevises glaubt jedoch zu wissen, böß Goya nicht in solcher
Verzweiflung gestorben sei, sondern in der Hoffnung, daß die Wahrheit und
das Vaterland ihre Auferstehung feiern würden. Unter den spanischen Malern
der Zeit erscheint auch unser Raphael Mengs. Karl der Dritte lernte ihn in
Neapel kennen und schätzen und stellte ihn, als er den spanischen Thron be¬
stieg, als Hofmaler an mit 120000 Realen Gehalt, freier Wohnung und
Equipage; für die Überfahrt nach Spanien stellte er ihm zwei Kriegsschiffe
zur Verfügung. Aus den von Azara herausgegebnen Obras as v. Antonio
RalÄöl NsnAs teilt Desdevises ein Urteil des Malers über Spanien mit,
dessen Hauptstelle wir als eine Kuriosität wiedergeben. "Die Spanier atmen
eine sehr reine und elastische Luft, die die Säfte in lebhafte Bewegung ver¬
setzt und die Nerven erregt. Von Haus aus Barbaren, haben sie erst von
ihren Herren, den Römern, einige Zivilisation empfangen, aber die Goten und
dann die Mauren haben diese Zivilisation bis auf den letzten Rest vernichtet.
Nachdem sie ihr Land wiedererobert hatten, sind sie mutig ans Werk gegangen
und haben viel gearbeitet; aber sie haben es zu nichts gebracht, weil es ihnen
an guten Mustern fehlte, und weil sie die Gesetze des guten Geschmacks nicht
kannten. Sie haben die Gotik und das Maurische nachgeahmt, das Geheimnis
der Schönheit aber nicht erfaßt. In Sevilla sind Malerschulen entstanden,
und Philipp der Vierte hat die Künstler in der Person des Velasquez hoch
geehrt, aber zur wahren Kunst haben sich die spanischen Maler nicht erhoben,
'"eil sie die Alten nicht studierten und nicht einmal die Überlegenheit der von
den Caracci wiedererweckten italienischen Schule erkannt haben."

Wer sich in Deutschland für Spanien interessiert, der darf d:e Bücher
und Schriften des französischen Gelehrten nicht unbeachtet lassen. Dieser
Erweist uns außerdem in einem liebenswürdigen Schreiben an Foulcher
Delbosc als den gründlichsten Kenner Spaniens und an die von diesem ge-
"tete ^ Li^mans. die seit einem Jahre das Organ der Htspame-
lmeriean Society geworden sei. "der bedeutendsten der Vereinigungen. dre
^ die Erforschung Spaniens zur Aufgabe gemacht haben". Zum Schluß


Grenzboten III 1906
Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

führte seinen Stammbaum auf die Könige der Westgoten zurück. Goya zeichnet
einen Esel, der einen Stammbaum betrachtet, und schreibt darunter: „Die
Genealogisten und die Heraldiker haben das arme Tier verrückt gemacht, und
es ist nicht das einzige, dem es so ergeht." Ähnlich werden die Personen der
königlichen Familie, ihre Laster und Arkaden verhöhnt. Wer, schreibt Desdevises,
die Undankbarkeit des gut bezahlten Hofmalers Schelte, der urteile von einem
sehr niedrigen Standpunkt aus. Goya habe sein Vaterland leidenschaftlich
geliebt und darum die elenden herrschenden Gemälden und Stände notwendig
hassen müssen. So habe er auch die Kirche und den Klerus gehaßt, nicht aus
gemeiner Gesinnung, sondern weil ihr Leben im Widerspruch stand mit ihrem
Berufe. Zuletzt hat Goya in einem Kupferstich seinen eignen verwesenden
Leichnam dargestellt, wie er sich aufrichtet, um zu rufen, es gebe nichts jenseits
des Grabes. Desdevises glaubt jedoch zu wissen, böß Goya nicht in solcher
Verzweiflung gestorben sei, sondern in der Hoffnung, daß die Wahrheit und
das Vaterland ihre Auferstehung feiern würden. Unter den spanischen Malern
der Zeit erscheint auch unser Raphael Mengs. Karl der Dritte lernte ihn in
Neapel kennen und schätzen und stellte ihn, als er den spanischen Thron be¬
stieg, als Hofmaler an mit 120000 Realen Gehalt, freier Wohnung und
Equipage; für die Überfahrt nach Spanien stellte er ihm zwei Kriegsschiffe
zur Verfügung. Aus den von Azara herausgegebnen Obras as v. Antonio
RalÄöl NsnAs teilt Desdevises ein Urteil des Malers über Spanien mit,
dessen Hauptstelle wir als eine Kuriosität wiedergeben. „Die Spanier atmen
eine sehr reine und elastische Luft, die die Säfte in lebhafte Bewegung ver¬
setzt und die Nerven erregt. Von Haus aus Barbaren, haben sie erst von
ihren Herren, den Römern, einige Zivilisation empfangen, aber die Goten und
dann die Mauren haben diese Zivilisation bis auf den letzten Rest vernichtet.
Nachdem sie ihr Land wiedererobert hatten, sind sie mutig ans Werk gegangen
und haben viel gearbeitet; aber sie haben es zu nichts gebracht, weil es ihnen
an guten Mustern fehlte, und weil sie die Gesetze des guten Geschmacks nicht
kannten. Sie haben die Gotik und das Maurische nachgeahmt, das Geheimnis
der Schönheit aber nicht erfaßt. In Sevilla sind Malerschulen entstanden,
und Philipp der Vierte hat die Künstler in der Person des Velasquez hoch
geehrt, aber zur wahren Kunst haben sich die spanischen Maler nicht erhoben,
'"eil sie die Alten nicht studierten und nicht einmal die Überlegenheit der von
den Caracci wiedererweckten italienischen Schule erkannt haben."

Wer sich in Deutschland für Spanien interessiert, der darf d:e Bücher
und Schriften des französischen Gelehrten nicht unbeachtet lassen. Dieser
Erweist uns außerdem in einem liebenswürdigen Schreiben an Foulcher
Delbosc als den gründlichsten Kenner Spaniens und an die von diesem ge-
"tete ^ Li^mans. die seit einem Jahre das Organ der Htspame-
lmeriean Society geworden sei. „der bedeutendsten der Vereinigungen. dre
^ die Erforschung Spaniens zur Aufgabe gemacht haben". Zum Schluß


Grenzboten III 1906
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299992"/>
          <fw type="header" place="top"> Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_707" prev="#ID_706"> führte seinen Stammbaum auf die Könige der Westgoten zurück. Goya zeichnet<lb/>
einen Esel, der einen Stammbaum betrachtet, und schreibt darunter: &#x201E;Die<lb/>
Genealogisten und die Heraldiker haben das arme Tier verrückt gemacht, und<lb/>
es ist nicht das einzige, dem es so ergeht." Ähnlich werden die Personen der<lb/>
königlichen Familie, ihre Laster und Arkaden verhöhnt. Wer, schreibt Desdevises,<lb/>
die Undankbarkeit des gut bezahlten Hofmalers Schelte, der urteile von einem<lb/>
sehr niedrigen Standpunkt aus. Goya habe sein Vaterland leidenschaftlich<lb/>
geliebt und darum die elenden herrschenden Gemälden und Stände notwendig<lb/>
hassen müssen. So habe er auch die Kirche und den Klerus gehaßt, nicht aus<lb/>
gemeiner Gesinnung, sondern weil ihr Leben im Widerspruch stand mit ihrem<lb/>
Berufe. Zuletzt hat Goya in einem Kupferstich seinen eignen verwesenden<lb/>
Leichnam dargestellt, wie er sich aufrichtet, um zu rufen, es gebe nichts jenseits<lb/>
des Grabes. Desdevises glaubt jedoch zu wissen, böß Goya nicht in solcher<lb/>
Verzweiflung gestorben sei, sondern in der Hoffnung, daß die Wahrheit und<lb/>
das Vaterland ihre Auferstehung feiern würden. Unter den spanischen Malern<lb/>
der Zeit erscheint auch unser Raphael Mengs. Karl der Dritte lernte ihn in<lb/>
Neapel kennen und schätzen und stellte ihn, als er den spanischen Thron be¬<lb/>
stieg, als Hofmaler an mit 120000 Realen Gehalt, freier Wohnung und<lb/>
Equipage; für die Überfahrt nach Spanien stellte er ihm zwei Kriegsschiffe<lb/>
zur Verfügung. Aus den von Azara herausgegebnen Obras as v. Antonio<lb/>
RalÄöl NsnAs teilt Desdevises ein Urteil des Malers über Spanien mit,<lb/>
dessen Hauptstelle wir als eine Kuriosität wiedergeben. &#x201E;Die Spanier atmen<lb/>
eine sehr reine und elastische Luft, die die Säfte in lebhafte Bewegung ver¬<lb/>
setzt und die Nerven erregt. Von Haus aus Barbaren, haben sie erst von<lb/>
ihren Herren, den Römern, einige Zivilisation empfangen, aber die Goten und<lb/>
dann die Mauren haben diese Zivilisation bis auf den letzten Rest vernichtet.<lb/>
Nachdem sie ihr Land wiedererobert hatten, sind sie mutig ans Werk gegangen<lb/>
und haben viel gearbeitet; aber sie haben es zu nichts gebracht, weil es ihnen<lb/>
an guten Mustern fehlte, und weil sie die Gesetze des guten Geschmacks nicht<lb/>
kannten. Sie haben die Gotik und das Maurische nachgeahmt, das Geheimnis<lb/>
der Schönheit aber nicht erfaßt. In Sevilla sind Malerschulen entstanden,<lb/>
und Philipp der Vierte hat die Künstler in der Person des Velasquez hoch<lb/>
geehrt, aber zur wahren Kunst haben sich die spanischen Maler nicht erhoben,<lb/>
'"eil sie die Alten nicht studierten und nicht einmal die Überlegenheit der von<lb/>
den Caracci wiedererweckten italienischen Schule erkannt haben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_708" next="#ID_709"> Wer sich in Deutschland für Spanien interessiert, der darf d:e Bücher<lb/>
und Schriften des französischen Gelehrten nicht unbeachtet lassen. Dieser<lb/>
Erweist uns außerdem in einem liebenswürdigen Schreiben an Foulcher<lb/>
Delbosc als den gründlichsten Kenner Spaniens und an die von diesem ge-<lb/>
"tete ^ Li^mans. die seit einem Jahre das Organ der Htspame-<lb/>
lmeriean Society geworden sei. &#x201E;der bedeutendsten der Vereinigungen. dre<lb/>
^ die Erforschung Spaniens zur Aufgabe gemacht haben".  Zum Schluß</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1906</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0205] Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert führte seinen Stammbaum auf die Könige der Westgoten zurück. Goya zeichnet einen Esel, der einen Stammbaum betrachtet, und schreibt darunter: „Die Genealogisten und die Heraldiker haben das arme Tier verrückt gemacht, und es ist nicht das einzige, dem es so ergeht." Ähnlich werden die Personen der königlichen Familie, ihre Laster und Arkaden verhöhnt. Wer, schreibt Desdevises, die Undankbarkeit des gut bezahlten Hofmalers Schelte, der urteile von einem sehr niedrigen Standpunkt aus. Goya habe sein Vaterland leidenschaftlich geliebt und darum die elenden herrschenden Gemälden und Stände notwendig hassen müssen. So habe er auch die Kirche und den Klerus gehaßt, nicht aus gemeiner Gesinnung, sondern weil ihr Leben im Widerspruch stand mit ihrem Berufe. Zuletzt hat Goya in einem Kupferstich seinen eignen verwesenden Leichnam dargestellt, wie er sich aufrichtet, um zu rufen, es gebe nichts jenseits des Grabes. Desdevises glaubt jedoch zu wissen, böß Goya nicht in solcher Verzweiflung gestorben sei, sondern in der Hoffnung, daß die Wahrheit und das Vaterland ihre Auferstehung feiern würden. Unter den spanischen Malern der Zeit erscheint auch unser Raphael Mengs. Karl der Dritte lernte ihn in Neapel kennen und schätzen und stellte ihn, als er den spanischen Thron be¬ stieg, als Hofmaler an mit 120000 Realen Gehalt, freier Wohnung und Equipage; für die Überfahrt nach Spanien stellte er ihm zwei Kriegsschiffe zur Verfügung. Aus den von Azara herausgegebnen Obras as v. Antonio RalÄöl NsnAs teilt Desdevises ein Urteil des Malers über Spanien mit, dessen Hauptstelle wir als eine Kuriosität wiedergeben. „Die Spanier atmen eine sehr reine und elastische Luft, die die Säfte in lebhafte Bewegung ver¬ setzt und die Nerven erregt. Von Haus aus Barbaren, haben sie erst von ihren Herren, den Römern, einige Zivilisation empfangen, aber die Goten und dann die Mauren haben diese Zivilisation bis auf den letzten Rest vernichtet. Nachdem sie ihr Land wiedererobert hatten, sind sie mutig ans Werk gegangen und haben viel gearbeitet; aber sie haben es zu nichts gebracht, weil es ihnen an guten Mustern fehlte, und weil sie die Gesetze des guten Geschmacks nicht kannten. Sie haben die Gotik und das Maurische nachgeahmt, das Geheimnis der Schönheit aber nicht erfaßt. In Sevilla sind Malerschulen entstanden, und Philipp der Vierte hat die Künstler in der Person des Velasquez hoch geehrt, aber zur wahren Kunst haben sich die spanischen Maler nicht erhoben, '"eil sie die Alten nicht studierten und nicht einmal die Überlegenheit der von den Caracci wiedererweckten italienischen Schule erkannt haben." Wer sich in Deutschland für Spanien interessiert, der darf d:e Bücher und Schriften des französischen Gelehrten nicht unbeachtet lassen. Dieser Erweist uns außerdem in einem liebenswürdigen Schreiben an Foulcher Delbosc als den gründlichsten Kenner Spaniens und an die von diesem ge- "tete ^ Li^mans. die seit einem Jahre das Organ der Htspame- lmeriean Society geworden sei. „der bedeutendsten der Vereinigungen. dre ^ die Erforschung Spaniens zur Aufgabe gemacht haben". Zum Schluß Grenzboten III 1906

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/205
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/205>, abgerufen am 23.07.2024.