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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

auf magerm Boden und in einem rauhen Klima durch harte Arbeit häusliches
Behagen. Das dürfte bis heute nicht anders geworden sein. Daß die Zustände
Andalusiens heute noch dieselben sind wie vor vierhundert Jahren, beweisen
die periodischen Berichte der Zeitungen über Landarbeiterunruhen.

Desdevises beschreibt ausführlich die verschiednen Kulturarten in den ver-
schiednen Gegenden und gibt eine genaue Statistik der Ernteerträge, der Vieh¬
haltung, der Wollproduktion usw. Ebenso eingehend berichtet er über die
einzelnen Gewerbe und über den Inlands- und den Auslandshandel. Wie es im
allgemeinen um das spanische Gewerbe gestanden hat, noch steht und bei dem
Charakter des spanischen Volkes nicht anders stehn kann, ist bekannt. Spanien
ist zum Beispiel nicht arm an Mineralschätzen, überläßt aber deren Ausbeutung
gewöhnlich Ausländern; verlegt sich einmal ein Spanier darauf, so betreibt er
nicht eine ernsthafte Montanindustrie sondern nur Schatzgräbern. Wird er
nicht mit einem Schlage reich, so läßt er die Sache liegen. Von Ausländern,
die einen erziehenden Einfluß ausüben könnten, nimmt der Spanier nicht leicht
Lehre an; dazu ist er zu stolz und zu verliebt in seine nationale Eigenart.
Die ausländischen Konsuln in den Handelsplätzen, namentlich die französischen
und die englischen, hatten mit Volk und Behörden manchen harten Strauß zu
bestehn; freilich mögen sich namentlich die englischen oft unverschämt genug
benommen haben. Die Handelskriege der Engländer nennt Desdevises mit
Recht Seeraub im größten Stile. "Wenn die spanischen Küstenwächter einmal
den englischen Schmugglern gar zu unbequem werden, behauptet England, die
Spanier störten seinen Handel und erklärt den Krieg; so 1719 und 1739."
Dieser besteht dann darin, daß es eine Anzahl spanische Schiffe kapert. Als
Konkurrenten hatte ja England die Spanier damals so wenig zu fürchten wie
heute. Der Spanier hat zwei Prunkfafsaden, hinter denen er seine Faulheit
und Genußsucht verbirgt. Die eine heißt Arg,?6Zg,ä ssxxmolg,. Sich mit Arbeit
abrackern, rennen, um einen kleinen Geldvorteil zu erHaschen, das ist nicht
einmal anstündig, geschweige denn nobel. Als im Jahre 1783 der König eine
Anzahl Gewerbe, die bis dahin für unehrlich gegolten hatten, darunter die
der Schneider, der Schuhflicker, der Hufschmiede und der Barbiere, für erlaubt
und ehrlich erklärte, da bewies ein Anonymus in einem Pamphlet, daß das
ein Attentat auf die Würde des Adels und besonders der Ritterorden sei. Auch
wußte man dem Widerstande gegen jede Begünstigung der Gewerbe eine volks¬
wirtschaftliche Wendung zu geben. Ein andrer Pamphletist brandmarkte die
Gewerbetreibenden als Übeltäter, die die Landleute in die Stadt lockten und
die Lebensmittel verteuerten; die Negierung habe die Pflicht, das maßlose
Wachstum der Städte zu hindern und den Handelsgeist zu bekämpfen, der das
^llerschlechteste und der Todfeind des Patriotismus sei.

In alledem steckt ja ein berechtigter Kern, sodaß die AraveÄaÄ nicht
bloß Borwand der Faulheit genannt werden darf, ebensowenig wie die andre
schöne Fassade, die spanische Lebensweisheit, die Desdevises gelegentlich seiner


Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

auf magerm Boden und in einem rauhen Klima durch harte Arbeit häusliches
Behagen. Das dürfte bis heute nicht anders geworden sein. Daß die Zustände
Andalusiens heute noch dieselben sind wie vor vierhundert Jahren, beweisen
die periodischen Berichte der Zeitungen über Landarbeiterunruhen.

Desdevises beschreibt ausführlich die verschiednen Kulturarten in den ver-
schiednen Gegenden und gibt eine genaue Statistik der Ernteerträge, der Vieh¬
haltung, der Wollproduktion usw. Ebenso eingehend berichtet er über die
einzelnen Gewerbe und über den Inlands- und den Auslandshandel. Wie es im
allgemeinen um das spanische Gewerbe gestanden hat, noch steht und bei dem
Charakter des spanischen Volkes nicht anders stehn kann, ist bekannt. Spanien
ist zum Beispiel nicht arm an Mineralschätzen, überläßt aber deren Ausbeutung
gewöhnlich Ausländern; verlegt sich einmal ein Spanier darauf, so betreibt er
nicht eine ernsthafte Montanindustrie sondern nur Schatzgräbern. Wird er
nicht mit einem Schlage reich, so läßt er die Sache liegen. Von Ausländern,
die einen erziehenden Einfluß ausüben könnten, nimmt der Spanier nicht leicht
Lehre an; dazu ist er zu stolz und zu verliebt in seine nationale Eigenart.
Die ausländischen Konsuln in den Handelsplätzen, namentlich die französischen
und die englischen, hatten mit Volk und Behörden manchen harten Strauß zu
bestehn; freilich mögen sich namentlich die englischen oft unverschämt genug
benommen haben. Die Handelskriege der Engländer nennt Desdevises mit
Recht Seeraub im größten Stile. „Wenn die spanischen Küstenwächter einmal
den englischen Schmugglern gar zu unbequem werden, behauptet England, die
Spanier störten seinen Handel und erklärt den Krieg; so 1719 und 1739."
Dieser besteht dann darin, daß es eine Anzahl spanische Schiffe kapert. Als
Konkurrenten hatte ja England die Spanier damals so wenig zu fürchten wie
heute. Der Spanier hat zwei Prunkfafsaden, hinter denen er seine Faulheit
und Genußsucht verbirgt. Die eine heißt Arg,?6Zg,ä ssxxmolg,. Sich mit Arbeit
abrackern, rennen, um einen kleinen Geldvorteil zu erHaschen, das ist nicht
einmal anstündig, geschweige denn nobel. Als im Jahre 1783 der König eine
Anzahl Gewerbe, die bis dahin für unehrlich gegolten hatten, darunter die
der Schneider, der Schuhflicker, der Hufschmiede und der Barbiere, für erlaubt
und ehrlich erklärte, da bewies ein Anonymus in einem Pamphlet, daß das
ein Attentat auf die Würde des Adels und besonders der Ritterorden sei. Auch
wußte man dem Widerstande gegen jede Begünstigung der Gewerbe eine volks¬
wirtschaftliche Wendung zu geben. Ein andrer Pamphletist brandmarkte die
Gewerbetreibenden als Übeltäter, die die Landleute in die Stadt lockten und
die Lebensmittel verteuerten; die Negierung habe die Pflicht, das maßlose
Wachstum der Städte zu hindern und den Handelsgeist zu bekämpfen, der das
^llerschlechteste und der Todfeind des Patriotismus sei.

In alledem steckt ja ein berechtigter Kern, sodaß die AraveÄaÄ nicht
bloß Borwand der Faulheit genannt werden darf, ebensowenig wie die andre
schöne Fassade, die spanische Lebensweisheit, die Desdevises gelegentlich seiner


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[0201] Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert auf magerm Boden und in einem rauhen Klima durch harte Arbeit häusliches Behagen. Das dürfte bis heute nicht anders geworden sein. Daß die Zustände Andalusiens heute noch dieselben sind wie vor vierhundert Jahren, beweisen die periodischen Berichte der Zeitungen über Landarbeiterunruhen. Desdevises beschreibt ausführlich die verschiednen Kulturarten in den ver- schiednen Gegenden und gibt eine genaue Statistik der Ernteerträge, der Vieh¬ haltung, der Wollproduktion usw. Ebenso eingehend berichtet er über die einzelnen Gewerbe und über den Inlands- und den Auslandshandel. Wie es im allgemeinen um das spanische Gewerbe gestanden hat, noch steht und bei dem Charakter des spanischen Volkes nicht anders stehn kann, ist bekannt. Spanien ist zum Beispiel nicht arm an Mineralschätzen, überläßt aber deren Ausbeutung gewöhnlich Ausländern; verlegt sich einmal ein Spanier darauf, so betreibt er nicht eine ernsthafte Montanindustrie sondern nur Schatzgräbern. Wird er nicht mit einem Schlage reich, so läßt er die Sache liegen. Von Ausländern, die einen erziehenden Einfluß ausüben könnten, nimmt der Spanier nicht leicht Lehre an; dazu ist er zu stolz und zu verliebt in seine nationale Eigenart. Die ausländischen Konsuln in den Handelsplätzen, namentlich die französischen und die englischen, hatten mit Volk und Behörden manchen harten Strauß zu bestehn; freilich mögen sich namentlich die englischen oft unverschämt genug benommen haben. Die Handelskriege der Engländer nennt Desdevises mit Recht Seeraub im größten Stile. „Wenn die spanischen Küstenwächter einmal den englischen Schmugglern gar zu unbequem werden, behauptet England, die Spanier störten seinen Handel und erklärt den Krieg; so 1719 und 1739." Dieser besteht dann darin, daß es eine Anzahl spanische Schiffe kapert. Als Konkurrenten hatte ja England die Spanier damals so wenig zu fürchten wie heute. Der Spanier hat zwei Prunkfafsaden, hinter denen er seine Faulheit und Genußsucht verbirgt. Die eine heißt Arg,?6Zg,ä ssxxmolg,. Sich mit Arbeit abrackern, rennen, um einen kleinen Geldvorteil zu erHaschen, das ist nicht einmal anstündig, geschweige denn nobel. Als im Jahre 1783 der König eine Anzahl Gewerbe, die bis dahin für unehrlich gegolten hatten, darunter die der Schneider, der Schuhflicker, der Hufschmiede und der Barbiere, für erlaubt und ehrlich erklärte, da bewies ein Anonymus in einem Pamphlet, daß das ein Attentat auf die Würde des Adels und besonders der Ritterorden sei. Auch wußte man dem Widerstande gegen jede Begünstigung der Gewerbe eine volks¬ wirtschaftliche Wendung zu geben. Ein andrer Pamphletist brandmarkte die Gewerbetreibenden als Übeltäter, die die Landleute in die Stadt lockten und die Lebensmittel verteuerten; die Negierung habe die Pflicht, das maßlose Wachstum der Städte zu hindern und den Handelsgeist zu bekämpfen, der das ^llerschlechteste und der Todfeind des Patriotismus sei. In alledem steckt ja ein berechtigter Kern, sodaß die AraveÄaÄ nicht bloß Borwand der Faulheit genannt werden darf, ebensowenig wie die andre schöne Fassade, die spanische Lebensweisheit, die Desdevises gelegentlich seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/201>, abgerufen am 25.08.2024.