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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

Der Volksschulunterricht war überall sehr unvollkommen, und die Prügel¬
methode herrschte ziemlich allgemein in der Schule. Was der französische
Forscher von dem jämmerlichen Zustande der spanischen Universitäten erzählt, an
denen nur scholastischer Wortkram wiedergekäut wurde, berichtet Adam Smith
auch von dem Oxford seiner Zeit. Um Post, Straßen und sonstige Verkehrs¬
mittel stand es überall schlimm, und auch zur Überwindung der Strecke,
die zwischen Berlin und Leipzig liegt, brauchte man etliche Tage. Zünftlerei
und merkantilistische Handelspolitik wurden in allen Staaten betrieben, und
wenn Spanien in seinen Kolonien keine Industrie aufkommen lassen wollte,
so ahmte es nur das Beispiel Englands nach. Der Verfasser gliedert seinen
Stoff in sieben Kapitel: Landwirtschaft, Gewerbe, Handel, Unterricht, Wissen¬
schaft, Literatur und Musik, bildende Künste. Da er in jedem Abschnitte auch
über die Zustände und die Leistungen der Kolonien berichtet, so sieht er sich zu
der Bemerkung veranlaßt, daß die Alte wie die Neue Welt, auch abgesehen von
der Entdeckung der zweiten durch eine spanische Expedition, doch den Spaniern
zu großem Danke verpflichtet seien. Mögen sie, führt er aus, die Indianer
mitunter grausam behandelt haben, so haben sie sie doch nicht ausgerottet, wie
die Engländer getan haben. Sie haben Amerika mit allen europäischen Haus¬
tieren beschenkt, die dort trefflich gediehen; am Ende des achtzehnten Jahr¬
hunderts gab es im Laplatagebiet Gutsbesitzer, die hunderttausend Rinder
hatten; ein Ochs galt einen Piaster. Die Spanier haben alle unsre Getreide¬
arten, den Reis, unsre Obst- und Beerenarten, die Südfrüchte und den Kaffee
in Amerika angepflanzt und dafür dessen köstliche Erzeugnisse in Europa ein¬
gebürgert: edle Nutzhölzer, Cochenille, Kakao, Vanille, Rohrzucker, Koka,
Chinarinde.

In sehr lebhaften Kontakt mit Europa geriet das Land am Anfange des
achtzehnten Jahrhunderts durch den Spanischen Erbfolgekrieg, und da dieser
damit endigte, daß ein Bourbone den spanischen Thron bestieg, so wurde da¬
durch ein dauernder Verkehr und Gedankenaustausch zwischen Madrid und
Paris hergestellt. Die spanischen Bourbonen, meint Desdevises, seien freilich
keine Genies gewesen, aber immer noch ein wenig besser als ihre Vorgänger
aus dem Hause Habsburg. Sie hätten sich ehrlich, wenn auch beim Mangel
sachverständiger Ratgeber meist nicht sehr zweckmäßig, bemüht, das Land
wirtschaftlich und geistig zu heben und die Verachtung der Arbeit, die zu den
schlimmsten Vorurteilen des Spaniers gehöre, zu überwinden. Ihr Streben
habe sich einem Kreise fortschrittlich gesinnter spanischer Patrioten geistlichen
und weltlichen Standes mitgeteilt, und es seien eine Menge gemeinnütziger
Vereine: landwirtschaftliche, gewerbliche, wissenschaftliche, literarische, päda¬
gogische gegründet worden, unter diesen 1806 eine "Gesellschaft der Freunde
Pestalozzis". So sei im einzelnen manches gebessert, aber freilich, da sich das
Volk im ganzen ablehnend verhielt und auch den Reformern der Ernst der Arbeit
und die Ausdauer fehlten, kein durchschlagender Erfolg erreicht worden.


Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

Der Volksschulunterricht war überall sehr unvollkommen, und die Prügel¬
methode herrschte ziemlich allgemein in der Schule. Was der französische
Forscher von dem jämmerlichen Zustande der spanischen Universitäten erzählt, an
denen nur scholastischer Wortkram wiedergekäut wurde, berichtet Adam Smith
auch von dem Oxford seiner Zeit. Um Post, Straßen und sonstige Verkehrs¬
mittel stand es überall schlimm, und auch zur Überwindung der Strecke,
die zwischen Berlin und Leipzig liegt, brauchte man etliche Tage. Zünftlerei
und merkantilistische Handelspolitik wurden in allen Staaten betrieben, und
wenn Spanien in seinen Kolonien keine Industrie aufkommen lassen wollte,
so ahmte es nur das Beispiel Englands nach. Der Verfasser gliedert seinen
Stoff in sieben Kapitel: Landwirtschaft, Gewerbe, Handel, Unterricht, Wissen¬
schaft, Literatur und Musik, bildende Künste. Da er in jedem Abschnitte auch
über die Zustände und die Leistungen der Kolonien berichtet, so sieht er sich zu
der Bemerkung veranlaßt, daß die Alte wie die Neue Welt, auch abgesehen von
der Entdeckung der zweiten durch eine spanische Expedition, doch den Spaniern
zu großem Danke verpflichtet seien. Mögen sie, führt er aus, die Indianer
mitunter grausam behandelt haben, so haben sie sie doch nicht ausgerottet, wie
die Engländer getan haben. Sie haben Amerika mit allen europäischen Haus¬
tieren beschenkt, die dort trefflich gediehen; am Ende des achtzehnten Jahr¬
hunderts gab es im Laplatagebiet Gutsbesitzer, die hunderttausend Rinder
hatten; ein Ochs galt einen Piaster. Die Spanier haben alle unsre Getreide¬
arten, den Reis, unsre Obst- und Beerenarten, die Südfrüchte und den Kaffee
in Amerika angepflanzt und dafür dessen köstliche Erzeugnisse in Europa ein¬
gebürgert: edle Nutzhölzer, Cochenille, Kakao, Vanille, Rohrzucker, Koka,
Chinarinde.

In sehr lebhaften Kontakt mit Europa geriet das Land am Anfange des
achtzehnten Jahrhunderts durch den Spanischen Erbfolgekrieg, und da dieser
damit endigte, daß ein Bourbone den spanischen Thron bestieg, so wurde da¬
durch ein dauernder Verkehr und Gedankenaustausch zwischen Madrid und
Paris hergestellt. Die spanischen Bourbonen, meint Desdevises, seien freilich
keine Genies gewesen, aber immer noch ein wenig besser als ihre Vorgänger
aus dem Hause Habsburg. Sie hätten sich ehrlich, wenn auch beim Mangel
sachverständiger Ratgeber meist nicht sehr zweckmäßig, bemüht, das Land
wirtschaftlich und geistig zu heben und die Verachtung der Arbeit, die zu den
schlimmsten Vorurteilen des Spaniers gehöre, zu überwinden. Ihr Streben
habe sich einem Kreise fortschrittlich gesinnter spanischer Patrioten geistlichen
und weltlichen Standes mitgeteilt, und es seien eine Menge gemeinnütziger
Vereine: landwirtschaftliche, gewerbliche, wissenschaftliche, literarische, päda¬
gogische gegründet worden, unter diesen 1806 eine „Gesellschaft der Freunde
Pestalozzis". So sei im einzelnen manches gebessert, aber freilich, da sich das
Volk im ganzen ablehnend verhielt und auch den Reformern der Ernst der Arbeit
und die Ausdauer fehlten, kein durchschlagender Erfolg erreicht worden.


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[0198] Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert Der Volksschulunterricht war überall sehr unvollkommen, und die Prügel¬ methode herrschte ziemlich allgemein in der Schule. Was der französische Forscher von dem jämmerlichen Zustande der spanischen Universitäten erzählt, an denen nur scholastischer Wortkram wiedergekäut wurde, berichtet Adam Smith auch von dem Oxford seiner Zeit. Um Post, Straßen und sonstige Verkehrs¬ mittel stand es überall schlimm, und auch zur Überwindung der Strecke, die zwischen Berlin und Leipzig liegt, brauchte man etliche Tage. Zünftlerei und merkantilistische Handelspolitik wurden in allen Staaten betrieben, und wenn Spanien in seinen Kolonien keine Industrie aufkommen lassen wollte, so ahmte es nur das Beispiel Englands nach. Der Verfasser gliedert seinen Stoff in sieben Kapitel: Landwirtschaft, Gewerbe, Handel, Unterricht, Wissen¬ schaft, Literatur und Musik, bildende Künste. Da er in jedem Abschnitte auch über die Zustände und die Leistungen der Kolonien berichtet, so sieht er sich zu der Bemerkung veranlaßt, daß die Alte wie die Neue Welt, auch abgesehen von der Entdeckung der zweiten durch eine spanische Expedition, doch den Spaniern zu großem Danke verpflichtet seien. Mögen sie, führt er aus, die Indianer mitunter grausam behandelt haben, so haben sie sie doch nicht ausgerottet, wie die Engländer getan haben. Sie haben Amerika mit allen europäischen Haus¬ tieren beschenkt, die dort trefflich gediehen; am Ende des achtzehnten Jahr¬ hunderts gab es im Laplatagebiet Gutsbesitzer, die hunderttausend Rinder hatten; ein Ochs galt einen Piaster. Die Spanier haben alle unsre Getreide¬ arten, den Reis, unsre Obst- und Beerenarten, die Südfrüchte und den Kaffee in Amerika angepflanzt und dafür dessen köstliche Erzeugnisse in Europa ein¬ gebürgert: edle Nutzhölzer, Cochenille, Kakao, Vanille, Rohrzucker, Koka, Chinarinde. In sehr lebhaften Kontakt mit Europa geriet das Land am Anfange des achtzehnten Jahrhunderts durch den Spanischen Erbfolgekrieg, und da dieser damit endigte, daß ein Bourbone den spanischen Thron bestieg, so wurde da¬ durch ein dauernder Verkehr und Gedankenaustausch zwischen Madrid und Paris hergestellt. Die spanischen Bourbonen, meint Desdevises, seien freilich keine Genies gewesen, aber immer noch ein wenig besser als ihre Vorgänger aus dem Hause Habsburg. Sie hätten sich ehrlich, wenn auch beim Mangel sachverständiger Ratgeber meist nicht sehr zweckmäßig, bemüht, das Land wirtschaftlich und geistig zu heben und die Verachtung der Arbeit, die zu den schlimmsten Vorurteilen des Spaniers gehöre, zu überwinden. Ihr Streben habe sich einem Kreise fortschrittlich gesinnter spanischer Patrioten geistlichen und weltlichen Standes mitgeteilt, und es seien eine Menge gemeinnütziger Vereine: landwirtschaftliche, gewerbliche, wissenschaftliche, literarische, päda¬ gogische gegründet worden, unter diesen 1806 eine „Gesellschaft der Freunde Pestalozzis". So sei im einzelnen manches gebessert, aber freilich, da sich das Volk im ganzen ablehnend verhielt und auch den Reformern der Ernst der Arbeit und die Ausdauer fehlten, kein durchschlagender Erfolg erreicht worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/198>, abgerufen am 23.07.2024.