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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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im August desselben Jahres in abenteuerlicher Flucht nach der Burg Canossa
bei Reggio entkam und sich mit dem deutschen König Otto dem Ersten ver¬
mählte, dem sie gewissermaßen ihr Recht zubrachte. Seit der auch dadurch
vermittelten Vereinigung Italiens mit Deutschland wurde Garda Neichsburg
und Mittelpunkt einer Grafschaft, die wenigstens später den Landstrich zwischen
Torri, Lazise und Rivoli am Etschtale umfaßte. Hier lagerte Kaiser Lothar
im August 1136 nach Überwindung der Veroneser Klause und vor dem Einmarsch
in Verona (in Milo Italie iuxta (Z^ra-zu, Otto ^ris.), vielleicht um über den
See bequemer Lebensmittel heranzuziehn. Hier erschien Friedrich Barbarossa
im Juli 1158, doch behauptete der Veroneser Turisend (altlangobardischen
Namens) die Burg, deren er sich irgendwie bemächtigt hatte, und der Kaiser
konnte nur die fruchtbare Umgegend verheeren. Erst 1162 kam er wieder und
zwang endlich 1163 Garda nach langer Einschließung zur Übergabe. Er verlieh
die starke Burg zunächst dem bayrischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, doch
gab sie dieser schon 1167 wieder zurück, und nun erhielt sie (15. Februar) der
Bischof Albert von Trident mitsamt der Grafschaft als Reichslehen, getren der
kaiserlichen Politik, die wichtigsten Paßstraßen nach Italien in die Hände geist¬
licher Herren zu bringen. Friedrichs Nachfolger, Kaiser Heinrich der Sechste,
verkaufte dagegen, mit der Zurüstung des Feldzuges gegen Neapel beschäftigt,
Garda 1193 (15. August) an Verona, dem es seitdem verblieb. Die Venezianer
ließen die Burg verfallen und erlaubten, daß sie die Karmeliter 1665 als
Steinbruch benutzten, um auf der rückwärts liegenden Höhe ein Kloster zu
bauen; doch erst die Franzosen zerstörten sie beim Beginn des Spanischen Erb¬
folgekriegs 1701 vollständig.

In der Tat war Garda nicht nur für mittelalterliche Waffen so gut wie
uneinnehmbar, sondern es beherrschte auch das ganze südliche Becken des Sees
vollständig und zugleich eine wichtige Verbindung nach der Etsch und Verona
hinüber, die jetzt durch eine Lokalbahn vermittelt wird. Noch Goethe ist diese
Straße gezogen, indem er um 14. September, von der Riviera herüberkommend,
in Bardoliuo landete und hier sein Gepäck auf ein Maultier, sich auf ein andres
lud; nach drei Stunden ritt er in Verona ein. Ein langgestreckter niedriger
Höhenrücken, über den die blauen Berge der Veroneser Klause herüberschauen,
scheidet hier den Gardasee vom Etschgebiet, ein überaus fruchtbarer Landstrich,
mit Obstgärten weithin längs des flachen Seegestades bedeckt, im Frühling rosig
schimmernd von den zarten Blüten der Pfirsiche, die von hier in Massen aus¬
geführt werden. Südlich von Bardolino aber erhebt sich abermals an einer
Stelle, wo schon Kaiser Otto der Zweite auf seinem letzten Reichstage in Verona
(Mai und Juni 983) die Erbauung einer Burg angeordnet hatte, eine mächtige
wohlerhaltne Scaligerburg, Lazise, die den zugeschütteten, in einen Park ver¬
wandelten Hafen mit umfaßte, unter Venedig einst "die aufmerksame Hüterin der
Schiffahrt und reich an Waren", denn hier fand jeden Montag ein vielbesuchter
Wochenmarkt statt. Noch steht das venezianische Zollhaus am neuen Hafen.


im August desselben Jahres in abenteuerlicher Flucht nach der Burg Canossa
bei Reggio entkam und sich mit dem deutschen König Otto dem Ersten ver¬
mählte, dem sie gewissermaßen ihr Recht zubrachte. Seit der auch dadurch
vermittelten Vereinigung Italiens mit Deutschland wurde Garda Neichsburg
und Mittelpunkt einer Grafschaft, die wenigstens später den Landstrich zwischen
Torri, Lazise und Rivoli am Etschtale umfaßte. Hier lagerte Kaiser Lothar
im August 1136 nach Überwindung der Veroneser Klause und vor dem Einmarsch
in Verona (in Milo Italie iuxta (Z^ra-zu, Otto ^ris.), vielleicht um über den
See bequemer Lebensmittel heranzuziehn. Hier erschien Friedrich Barbarossa
im Juli 1158, doch behauptete der Veroneser Turisend (altlangobardischen
Namens) die Burg, deren er sich irgendwie bemächtigt hatte, und der Kaiser
konnte nur die fruchtbare Umgegend verheeren. Erst 1162 kam er wieder und
zwang endlich 1163 Garda nach langer Einschließung zur Übergabe. Er verlieh
die starke Burg zunächst dem bayrischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, doch
gab sie dieser schon 1167 wieder zurück, und nun erhielt sie (15. Februar) der
Bischof Albert von Trident mitsamt der Grafschaft als Reichslehen, getren der
kaiserlichen Politik, die wichtigsten Paßstraßen nach Italien in die Hände geist¬
licher Herren zu bringen. Friedrichs Nachfolger, Kaiser Heinrich der Sechste,
verkaufte dagegen, mit der Zurüstung des Feldzuges gegen Neapel beschäftigt,
Garda 1193 (15. August) an Verona, dem es seitdem verblieb. Die Venezianer
ließen die Burg verfallen und erlaubten, daß sie die Karmeliter 1665 als
Steinbruch benutzten, um auf der rückwärts liegenden Höhe ein Kloster zu
bauen; doch erst die Franzosen zerstörten sie beim Beginn des Spanischen Erb¬
folgekriegs 1701 vollständig.

In der Tat war Garda nicht nur für mittelalterliche Waffen so gut wie
uneinnehmbar, sondern es beherrschte auch das ganze südliche Becken des Sees
vollständig und zugleich eine wichtige Verbindung nach der Etsch und Verona
hinüber, die jetzt durch eine Lokalbahn vermittelt wird. Noch Goethe ist diese
Straße gezogen, indem er um 14. September, von der Riviera herüberkommend,
in Bardoliuo landete und hier sein Gepäck auf ein Maultier, sich auf ein andres
lud; nach drei Stunden ritt er in Verona ein. Ein langgestreckter niedriger
Höhenrücken, über den die blauen Berge der Veroneser Klause herüberschauen,
scheidet hier den Gardasee vom Etschgebiet, ein überaus fruchtbarer Landstrich,
mit Obstgärten weithin längs des flachen Seegestades bedeckt, im Frühling rosig
schimmernd von den zarten Blüten der Pfirsiche, die von hier in Massen aus¬
geführt werden. Südlich von Bardolino aber erhebt sich abermals an einer
Stelle, wo schon Kaiser Otto der Zweite auf seinem letzten Reichstage in Verona
(Mai und Juni 983) die Erbauung einer Burg angeordnet hatte, eine mächtige
wohlerhaltne Scaligerburg, Lazise, die den zugeschütteten, in einen Park ver¬
wandelten Hafen mit umfaßte, unter Venedig einst „die aufmerksame Hüterin der
Schiffahrt und reich an Waren", denn hier fand jeden Montag ein vielbesuchter
Wochenmarkt statt. Noch steht das venezianische Zollhaus am neuen Hafen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/161>, abgerufen am 25.08.2024.