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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Lckermann an Goethe

des Emperies, dessen zwey Kinder und die Magd, welche, Gott weiß wie! sich
und die Kinder eins den Trümmern rettete. . .. Beim Aufräumen des noch
immer brennenden Schuttes hat mau auch den Körper von dem Post-Commissair
Emperies gefunden. Der Kopf lag getrennt von dem Körper in einiger Ent¬
fernung, so auch Schenkel und Füße."*)

Die Übereinstimmung der Eckermcmnschen Erzählung mit diesem Bericht
ermöglicht ein Urteil über die Aufmerksamkeit, mit der er den Worten seines
Mitreisenden gefolgt ist, und über die Genauigkeit und die Gewissenhaftigkeit,
mit der er das Gehörte aufgezeichnet hat. Ebenso wie sein schon erwähnter
Bericht über Goethes Abschiedsgespräch mit Preller berechtigt deshalb auch
dieser gegenüber manchem Zweifel, der gegen Eckermanns Glaubwürdigkeit er¬
hoben worden ist, zu einem allgemeinern Schluß auf seine Zuverlässigkeit als
Gewährsmann.

Recht sonderbar mutet auf den ersten Blick die ziemlich weitschweifige
Auseinandersetzung über die Anlage der Chaussee von Hannover nach Celle
an <S. 135). Wie kann ein so durchaus praktischer Gegenstand die Aufmerk¬
samkeit eines Eckermann fesseln! Auch hier sehen wir den unverkennbaren
Einfluß Goethes. Dieser stand solchen Fragen und Aufgaben ans dem tech¬
nischen Gebiete nicht fremd gegenüber. War er doch selbst einst weimarischer
Wegebaudirektor gewesen! Auf seiner Reise in die Schweiz 1779 hat er des¬
halb einen Blick für den Stand des Wegebaus und lobt in seiner Reisebe-
schreibung die wohlgepflegten Straßen auf Schweizer Gebiet, denen er die
mangelhaften jenseits der französischen Grenze tadelnd gegenüberstellt. Und
noch im Jahre 1826 findet dieser Gegenstand in so hohem Grade seine Be¬
achtung, daß ihm der Bericht des Oberbaudirektors Coudray über die gelungne
Ausführung einer Chaussee bei Triptis wichtig genug ist, ihrer im Tagebuche
(25. März) zu gedenken. Wir werden darum in Eckermanns Darlegungen
über den Straßenbau in der Lüneburger Heide die Absicht erkennen, Goethe
eine Betrachtung mitzuteilen, für die er sein Interesse voraussetzen dürfte.
Zugleich aber sehen wir in ihnen wie in den vielen "Bemerkungen" beider
Briefe und in den Schilderungen der Mitreisenden das Bestreben, durch die
Beobachtung von Natur und Menschen seinen Blick zu erweitern und zu schärfen,
die Dinge, auch die nüchternsten, auf sich wirken zu lassen und so sich dem
Menschen Goethe innerlich immer mehr zu nähern.

Endlich noch ein Wort über den Schluß der Briefe, an dem Eckermaun
die Hoffnung ausspricht, bei seiner Rückkunft die Helena vollendet zu sehen



Ein Sondcrbericht über das ganze Begebnis, der uns nicht zugänglich ist, erschien
damals bei der Hoffmannschen Hofbuchhandlung in Weimar unter dem Titel: "Erzählende
Darstellung des entsetzlichen Unglücks und Vrandschadens und der wunderbaren und gräßlichen
Wirkungen, welche am l. September 1810 die Explosion dreyer auf der Messcrschmidtstraße
in Entzündung gerathener Frauzös. Pulverwagen der Stadt Eisenach zugefügt hat, nebst einen,
Aufruf zur Unterstützung und andern dazu gehörigen Bemerkungen, Anekdoten und Zusätzen."
Grenzboten IN 1906 19
Lckermann an Goethe

des Emperies, dessen zwey Kinder und die Magd, welche, Gott weiß wie! sich
und die Kinder eins den Trümmern rettete. . .. Beim Aufräumen des noch
immer brennenden Schuttes hat mau auch den Körper von dem Post-Commissair
Emperies gefunden. Der Kopf lag getrennt von dem Körper in einiger Ent¬
fernung, so auch Schenkel und Füße."*)

Die Übereinstimmung der Eckermcmnschen Erzählung mit diesem Bericht
ermöglicht ein Urteil über die Aufmerksamkeit, mit der er den Worten seines
Mitreisenden gefolgt ist, und über die Genauigkeit und die Gewissenhaftigkeit,
mit der er das Gehörte aufgezeichnet hat. Ebenso wie sein schon erwähnter
Bericht über Goethes Abschiedsgespräch mit Preller berechtigt deshalb auch
dieser gegenüber manchem Zweifel, der gegen Eckermanns Glaubwürdigkeit er¬
hoben worden ist, zu einem allgemeinern Schluß auf seine Zuverlässigkeit als
Gewährsmann.

Recht sonderbar mutet auf den ersten Blick die ziemlich weitschweifige
Auseinandersetzung über die Anlage der Chaussee von Hannover nach Celle
an <S. 135). Wie kann ein so durchaus praktischer Gegenstand die Aufmerk¬
samkeit eines Eckermann fesseln! Auch hier sehen wir den unverkennbaren
Einfluß Goethes. Dieser stand solchen Fragen und Aufgaben ans dem tech¬
nischen Gebiete nicht fremd gegenüber. War er doch selbst einst weimarischer
Wegebaudirektor gewesen! Auf seiner Reise in die Schweiz 1779 hat er des¬
halb einen Blick für den Stand des Wegebaus und lobt in seiner Reisebe-
schreibung die wohlgepflegten Straßen auf Schweizer Gebiet, denen er die
mangelhaften jenseits der französischen Grenze tadelnd gegenüberstellt. Und
noch im Jahre 1826 findet dieser Gegenstand in so hohem Grade seine Be¬
achtung, daß ihm der Bericht des Oberbaudirektors Coudray über die gelungne
Ausführung einer Chaussee bei Triptis wichtig genug ist, ihrer im Tagebuche
(25. März) zu gedenken. Wir werden darum in Eckermanns Darlegungen
über den Straßenbau in der Lüneburger Heide die Absicht erkennen, Goethe
eine Betrachtung mitzuteilen, für die er sein Interesse voraussetzen dürfte.
Zugleich aber sehen wir in ihnen wie in den vielen „Bemerkungen" beider
Briefe und in den Schilderungen der Mitreisenden das Bestreben, durch die
Beobachtung von Natur und Menschen seinen Blick zu erweitern und zu schärfen,
die Dinge, auch die nüchternsten, auf sich wirken zu lassen und so sich dem
Menschen Goethe innerlich immer mehr zu nähern.

Endlich noch ein Wort über den Schluß der Briefe, an dem Eckermaun
die Hoffnung ausspricht, bei seiner Rückkunft die Helena vollendet zu sehen



Ein Sondcrbericht über das ganze Begebnis, der uns nicht zugänglich ist, erschien
damals bei der Hoffmannschen Hofbuchhandlung in Weimar unter dem Titel: „Erzählende
Darstellung des entsetzlichen Unglücks und Vrandschadens und der wunderbaren und gräßlichen
Wirkungen, welche am l. September 1810 die Explosion dreyer auf der Messcrschmidtstraße
in Entzündung gerathener Frauzös. Pulverwagen der Stadt Eisenach zugefügt hat, nebst einen,
Aufruf zur Unterstützung und andern dazu gehörigen Bemerkungen, Anekdoten und Zusätzen."
Grenzboten IN 1906 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/149>, abgerufen am 25.08.2024.