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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Lckermann an Goethe

Schreiben komme. Mehrere Nächte hat mir von Ihnen geträumt und ich habe
Sie in aller Lebendigkeit gesehen. Ich bitte um die herzlichsten Grüße an alle
Ihre lieben Ihrigen, und um die Fortdauer Ihrer Gewogenheit. Ich habe in
den letzten Tagen an mir bemerkt, daß ich durch Ihre Nähe mehr gelernt habe
als ich selbst wußte. Es kommt mir nicht leicht etwas vor das ich nicht zurecht¬
zulegen und zu behandeln wüßte. Leben Sie recht wohl! Ich hoffe bey meiner
Rückkunft die Helena vollendet zu finden. Mit höchster Verehrung und Liebe
Eckermann. der Ihrige



Betrachten wir einzelne Gegenstände dieser beiden Briefe näher, zunächst
den Rat, den Goethe dem jungen Preller (S. 28) auf die Reise mitgibt! "Sie
kommen in ein Land," das sind nach Prellers Aufzeichnung, die Roquette
mitteilt, Goethes damalige Abschiedsworte, "wo die Schönheit deutlicher, ver¬
ständlicher ist, als bei uns." Das Bild der eignen italienischen Reise, die er
vor vier Jahrzehnten angetreten hatte, mochte dem Greise vorschweben. Auch
er hatte einst im sonnigen Süden künstlerische Studien gemacht und selbst den
Griffel geführt, bis ihm die Erkenntnis aufging, daß er für den Beruf des
ausübenden Künstlers nicht geschaffen sei. Die Kunst der Poussins und des
Claude Lorrain, die er, wie aus vielen seiner Briefe und Gespräche erkennbar
ist, hoch verehrte und jetzt dem jungen Freunde und werdenden Künstler als
Vorbilder hinstellte, hatte er damals in Italien würdigen lernen. "Die großen
Szenen der Natur, schrieb er am 25. Januar 1788 aus Rom dem Herzog, hatten
mein Gemüt ausgeweidet und alle Falten herausgeglüttet. Von der Würde der
Landschaftsmalerei hatte ich einen Begriff erlangt; ich sah Claude und Poussin
mit andern Augen."

Wie getreulich Preller dem Rate Goethes gefolgt ist, zeigen seine Briefe
aus Rom, wo er in der Tat besonders die Werke der Poussins, aber auch des
Claude Lorrain, neben denen Tizians seinen Studien zugrunde gelegt hat. Er
schreibt z. B. am 8. Februar 1830 aus Rom an Goethe*): "Meine Führer siud
die mir so werthen Poussins, deren ernster Gedanke in ihren Kunstwerken sie
mir fast höher stellt, als alles, was ich in der Landschaftsmalerei kenne. Sie
sind es, die mich täglich die Natur mehr verstehen lehren, und unter ihrer
Leitung werde ich mich bestreben einer höhern weitern Ausbildung entgegen¬
zugehen." Auf eine frühere ähnliche Äußerung Prellers hat Goethe im Dezember
1829 geantwortet*): "Sie verschaffen mir, mein Werthester Herr Preller, ein
wahrhaftes Vergnügen, wenn Sie mir Ihre Verehrung für die beiden Poussins
im Landschaftsfache so treulich ausdrücken."

Auch der andre Rat Goethes, einen landschaftlichen Gegenstand nicht einzeln
herauszuzeichnen, sondern ihn in einer passenden Umgebung darzustellen, damit
ein kleines Ganze entstehe, ist aus Goethes eigner Erfahrung geflossen. Erwähnt



*) Goethe-Jahrbuch Bd. XXIII, S. 6-8.
Lckermann an Goethe

Schreiben komme. Mehrere Nächte hat mir von Ihnen geträumt und ich habe
Sie in aller Lebendigkeit gesehen. Ich bitte um die herzlichsten Grüße an alle
Ihre lieben Ihrigen, und um die Fortdauer Ihrer Gewogenheit. Ich habe in
den letzten Tagen an mir bemerkt, daß ich durch Ihre Nähe mehr gelernt habe
als ich selbst wußte. Es kommt mir nicht leicht etwas vor das ich nicht zurecht¬
zulegen und zu behandeln wüßte. Leben Sie recht wohl! Ich hoffe bey meiner
Rückkunft die Helena vollendet zu finden. Mit höchster Verehrung und Liebe
Eckermann. der Ihrige



Betrachten wir einzelne Gegenstände dieser beiden Briefe näher, zunächst
den Rat, den Goethe dem jungen Preller (S. 28) auf die Reise mitgibt! „Sie
kommen in ein Land," das sind nach Prellers Aufzeichnung, die Roquette
mitteilt, Goethes damalige Abschiedsworte, „wo die Schönheit deutlicher, ver¬
ständlicher ist, als bei uns." Das Bild der eignen italienischen Reise, die er
vor vier Jahrzehnten angetreten hatte, mochte dem Greise vorschweben. Auch
er hatte einst im sonnigen Süden künstlerische Studien gemacht und selbst den
Griffel geführt, bis ihm die Erkenntnis aufging, daß er für den Beruf des
ausübenden Künstlers nicht geschaffen sei. Die Kunst der Poussins und des
Claude Lorrain, die er, wie aus vielen seiner Briefe und Gespräche erkennbar
ist, hoch verehrte und jetzt dem jungen Freunde und werdenden Künstler als
Vorbilder hinstellte, hatte er damals in Italien würdigen lernen. „Die großen
Szenen der Natur, schrieb er am 25. Januar 1788 aus Rom dem Herzog, hatten
mein Gemüt ausgeweidet und alle Falten herausgeglüttet. Von der Würde der
Landschaftsmalerei hatte ich einen Begriff erlangt; ich sah Claude und Poussin
mit andern Augen."

Wie getreulich Preller dem Rate Goethes gefolgt ist, zeigen seine Briefe
aus Rom, wo er in der Tat besonders die Werke der Poussins, aber auch des
Claude Lorrain, neben denen Tizians seinen Studien zugrunde gelegt hat. Er
schreibt z. B. am 8. Februar 1830 aus Rom an Goethe*): „Meine Führer siud
die mir so werthen Poussins, deren ernster Gedanke in ihren Kunstwerken sie
mir fast höher stellt, als alles, was ich in der Landschaftsmalerei kenne. Sie
sind es, die mich täglich die Natur mehr verstehen lehren, und unter ihrer
Leitung werde ich mich bestreben einer höhern weitern Ausbildung entgegen¬
zugehen." Auf eine frühere ähnliche Äußerung Prellers hat Goethe im Dezember
1829 geantwortet*): „Sie verschaffen mir, mein Werthester Herr Preller, ein
wahrhaftes Vergnügen, wenn Sie mir Ihre Verehrung für die beiden Poussins
im Landschaftsfache so treulich ausdrücken."

Auch der andre Rat Goethes, einen landschaftlichen Gegenstand nicht einzeln
herauszuzeichnen, sondern ihn in einer passenden Umgebung darzustellen, damit
ein kleines Ganze entstehe, ist aus Goethes eigner Erfahrung geflossen. Erwähnt



*) Goethe-Jahrbuch Bd. XXIII, S. 6-8.
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[0145] Lckermann an Goethe Schreiben komme. Mehrere Nächte hat mir von Ihnen geträumt und ich habe Sie in aller Lebendigkeit gesehen. Ich bitte um die herzlichsten Grüße an alle Ihre lieben Ihrigen, und um die Fortdauer Ihrer Gewogenheit. Ich habe in den letzten Tagen an mir bemerkt, daß ich durch Ihre Nähe mehr gelernt habe als ich selbst wußte. Es kommt mir nicht leicht etwas vor das ich nicht zurecht¬ zulegen und zu behandeln wüßte. Leben Sie recht wohl! Ich hoffe bey meiner Rückkunft die Helena vollendet zu finden. Mit höchster Verehrung und Liebe Eckermann. der Ihrige Betrachten wir einzelne Gegenstände dieser beiden Briefe näher, zunächst den Rat, den Goethe dem jungen Preller (S. 28) auf die Reise mitgibt! „Sie kommen in ein Land," das sind nach Prellers Aufzeichnung, die Roquette mitteilt, Goethes damalige Abschiedsworte, „wo die Schönheit deutlicher, ver¬ ständlicher ist, als bei uns." Das Bild der eignen italienischen Reise, die er vor vier Jahrzehnten angetreten hatte, mochte dem Greise vorschweben. Auch er hatte einst im sonnigen Süden künstlerische Studien gemacht und selbst den Griffel geführt, bis ihm die Erkenntnis aufging, daß er für den Beruf des ausübenden Künstlers nicht geschaffen sei. Die Kunst der Poussins und des Claude Lorrain, die er, wie aus vielen seiner Briefe und Gespräche erkennbar ist, hoch verehrte und jetzt dem jungen Freunde und werdenden Künstler als Vorbilder hinstellte, hatte er damals in Italien würdigen lernen. „Die großen Szenen der Natur, schrieb er am 25. Januar 1788 aus Rom dem Herzog, hatten mein Gemüt ausgeweidet und alle Falten herausgeglüttet. Von der Würde der Landschaftsmalerei hatte ich einen Begriff erlangt; ich sah Claude und Poussin mit andern Augen." Wie getreulich Preller dem Rate Goethes gefolgt ist, zeigen seine Briefe aus Rom, wo er in der Tat besonders die Werke der Poussins, aber auch des Claude Lorrain, neben denen Tizians seinen Studien zugrunde gelegt hat. Er schreibt z. B. am 8. Februar 1830 aus Rom an Goethe*): „Meine Führer siud die mir so werthen Poussins, deren ernster Gedanke in ihren Kunstwerken sie mir fast höher stellt, als alles, was ich in der Landschaftsmalerei kenne. Sie sind es, die mich täglich die Natur mehr verstehen lehren, und unter ihrer Leitung werde ich mich bestreben einer höhern weitern Ausbildung entgegen¬ zugehen." Auf eine frühere ähnliche Äußerung Prellers hat Goethe im Dezember 1829 geantwortet*): „Sie verschaffen mir, mein Werthester Herr Preller, ein wahrhaftes Vergnügen, wenn Sie mir Ihre Verehrung für die beiden Poussins im Landschaftsfache so treulich ausdrücken." Auch der andre Rat Goethes, einen landschaftlichen Gegenstand nicht einzeln herauszuzeichnen, sondern ihn in einer passenden Umgebung darzustellen, damit ein kleines Ganze entstehe, ist aus Goethes eigner Erfahrung geflossen. Erwähnt *) Goethe-Jahrbuch Bd. XXIII, S. 6-8.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/145>, abgerufen am 23.07.2024.