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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Lckermann an Goethe

der Welt, doch erst theilweise chcmssirt. In diesen noch umgebauten sandigen
Stellen trösten jedoch die zu beyden Seiten des Weges angehäuften zum künf¬
tigen Chausseebau bestimmten Kieselsteine, die in der Heide gesammelt und zu¬
sammengefahren worden. Die bereits gebauten Stellen der Chaussee waren
vortrefflich und gaben zu der Bemerkung Anlaß, daß kein besseres Material
hätte benutzt werden können, als wie es eben die nächste Gegend biethet. Dieß
sind große Kieselsteine die in der Haide zerstreut liegen. Diese, in ihrer ganzen
Größe hingelegt, geben in dem tiefen Sande eine feste Unterlage. Von leichtem
Kies und Great wird ein Überzug gemacht und so fährt man denn auf der
festesten ebensten Chaussee, die fast gar keiner Pflege bedarf. Chausseen von
zerschlagenen Kalksteinen würde man in dieser Gegend gar nicht gebrauchen
können, sie würden in dem Sande nicht Stich halten.

Nachmittags 3. Uhr waren wir in veUs. Wir accordirten hier mit einem
neuen Mieths kutsch er. Nachdem wir gegessen und getrunken hatten machte ich
einen Besuch bey Fräulein von ^Vsrtoll*), wie ich dem Kanzler versprochen.
Es ist diese Dame eine sehr vertraute Freundin von Gräfin (üarolins, und da
in solchem Fall eine Verwandschaft der Gemüther zu erwarten war, so ging
ich mit Freuden hin. Auf das Herzlichste wurde ich empfangen, sie sagte es
hätte einer Empfehlung nicht bedurft, sie kenne mich schon. Auch meine Freunde
in Hannover waren ihr nicht unbekannt. Von V/siinar mußte ich ihr viel er¬
zählen. Sie sagte mir von zwey jungen Freunden die neulich das Glück gehabt
Eure Excellenz zu sehen. Den einen nannte sie Nuri^). Wir sprachen viel
von trefflichen Menschen und Büchern, und ich konnte ihr manches Neue sagen,
und manche ihrer Meinungen berichtigen. Eine Stunde verging sehr schnell.
Als ich in den Gasthof zurückkehrte, wartete der Wagen, wir stiegen ein und
fuhren in der Kühle des Abends noch einige Meilen tiefer in die Lüneburger
Heide hinein, wo wir übernachteten.




Hier schließe ich heute, wiewohl ungern. Um in meiner Reiseerzählung
nicht vorzugreifen, sage ich nicht wo ich bin und wo ich dieses schreibe. Ich
habe diese Blätter schon eine Weile mit mir herumgeschleppt in Hoffnung sie
fortzusetzen. Allein ich lebte zu wohl und zu bedeutend in der Gegenwart, um
des Vergangenen mit Ruhe und Neigung gedenken zu können. Ich wünsche
mir daher bald wieder einige langweilige Stunden, damit ich wieder zum




Über Fräulein von Werloff war nichts Näheres festzustellen. Johanne Bertram
erwähnt in einem Briefe an Eckermann einen Herrn von Werlhosf, den Dr. Wilhelm Gottfried
von Werlhoff (auch in der Allgemeinen deutschen Biographie Bd. 42, S. 17 flüchtig genannt),
der Vizepräsident des hannoverschen Appellationsgerichts und deshalb wohl in Celle ansässig war.
Die Weimarischen Bekannten des Fräuleins von Werloff sind der Kanzler von Müller und
die Gräfin Karoline von Egloffstein.
**) Der Name "Muri" ist vielleicht ungenau gehört. Eine Vermutung, wer gemeint sein
könnte, läßt sich auch aus Goethes Tagebüchern nicht schöpfen.
Lckermann an Goethe

der Welt, doch erst theilweise chcmssirt. In diesen noch umgebauten sandigen
Stellen trösten jedoch die zu beyden Seiten des Weges angehäuften zum künf¬
tigen Chausseebau bestimmten Kieselsteine, die in der Heide gesammelt und zu¬
sammengefahren worden. Die bereits gebauten Stellen der Chaussee waren
vortrefflich und gaben zu der Bemerkung Anlaß, daß kein besseres Material
hätte benutzt werden können, als wie es eben die nächste Gegend biethet. Dieß
sind große Kieselsteine die in der Haide zerstreut liegen. Diese, in ihrer ganzen
Größe hingelegt, geben in dem tiefen Sande eine feste Unterlage. Von leichtem
Kies und Great wird ein Überzug gemacht und so fährt man denn auf der
festesten ebensten Chaussee, die fast gar keiner Pflege bedarf. Chausseen von
zerschlagenen Kalksteinen würde man in dieser Gegend gar nicht gebrauchen
können, sie würden in dem Sande nicht Stich halten.

Nachmittags 3. Uhr waren wir in veUs. Wir accordirten hier mit einem
neuen Mieths kutsch er. Nachdem wir gegessen und getrunken hatten machte ich
einen Besuch bey Fräulein von ^Vsrtoll*), wie ich dem Kanzler versprochen.
Es ist diese Dame eine sehr vertraute Freundin von Gräfin (üarolins, und da
in solchem Fall eine Verwandschaft der Gemüther zu erwarten war, so ging
ich mit Freuden hin. Auf das Herzlichste wurde ich empfangen, sie sagte es
hätte einer Empfehlung nicht bedurft, sie kenne mich schon. Auch meine Freunde
in Hannover waren ihr nicht unbekannt. Von V/siinar mußte ich ihr viel er¬
zählen. Sie sagte mir von zwey jungen Freunden die neulich das Glück gehabt
Eure Excellenz zu sehen. Den einen nannte sie Nuri^). Wir sprachen viel
von trefflichen Menschen und Büchern, und ich konnte ihr manches Neue sagen,
und manche ihrer Meinungen berichtigen. Eine Stunde verging sehr schnell.
Als ich in den Gasthof zurückkehrte, wartete der Wagen, wir stiegen ein und
fuhren in der Kühle des Abends noch einige Meilen tiefer in die Lüneburger
Heide hinein, wo wir übernachteten.




Hier schließe ich heute, wiewohl ungern. Um in meiner Reiseerzählung
nicht vorzugreifen, sage ich nicht wo ich bin und wo ich dieses schreibe. Ich
habe diese Blätter schon eine Weile mit mir herumgeschleppt in Hoffnung sie
fortzusetzen. Allein ich lebte zu wohl und zu bedeutend in der Gegenwart, um
des Vergangenen mit Ruhe und Neigung gedenken zu können. Ich wünsche
mir daher bald wieder einige langweilige Stunden, damit ich wieder zum




Über Fräulein von Werloff war nichts Näheres festzustellen. Johanne Bertram
erwähnt in einem Briefe an Eckermann einen Herrn von Werlhosf, den Dr. Wilhelm Gottfried
von Werlhoff (auch in der Allgemeinen deutschen Biographie Bd. 42, S. 17 flüchtig genannt),
der Vizepräsident des hannoverschen Appellationsgerichts und deshalb wohl in Celle ansässig war.
Die Weimarischen Bekannten des Fräuleins von Werloff sind der Kanzler von Müller und
die Gräfin Karoline von Egloffstein.
**) Der Name „Muri" ist vielleicht ungenau gehört. Eine Vermutung, wer gemeint sein
könnte, läßt sich auch aus Goethes Tagebüchern nicht schöpfen.
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[0144] Lckermann an Goethe der Welt, doch erst theilweise chcmssirt. In diesen noch umgebauten sandigen Stellen trösten jedoch die zu beyden Seiten des Weges angehäuften zum künf¬ tigen Chausseebau bestimmten Kieselsteine, die in der Heide gesammelt und zu¬ sammengefahren worden. Die bereits gebauten Stellen der Chaussee waren vortrefflich und gaben zu der Bemerkung Anlaß, daß kein besseres Material hätte benutzt werden können, als wie es eben die nächste Gegend biethet. Dieß sind große Kieselsteine die in der Haide zerstreut liegen. Diese, in ihrer ganzen Größe hingelegt, geben in dem tiefen Sande eine feste Unterlage. Von leichtem Kies und Great wird ein Überzug gemacht und so fährt man denn auf der festesten ebensten Chaussee, die fast gar keiner Pflege bedarf. Chausseen von zerschlagenen Kalksteinen würde man in dieser Gegend gar nicht gebrauchen können, sie würden in dem Sande nicht Stich halten. Nachmittags 3. Uhr waren wir in veUs. Wir accordirten hier mit einem neuen Mieths kutsch er. Nachdem wir gegessen und getrunken hatten machte ich einen Besuch bey Fräulein von ^Vsrtoll*), wie ich dem Kanzler versprochen. Es ist diese Dame eine sehr vertraute Freundin von Gräfin (üarolins, und da in solchem Fall eine Verwandschaft der Gemüther zu erwarten war, so ging ich mit Freuden hin. Auf das Herzlichste wurde ich empfangen, sie sagte es hätte einer Empfehlung nicht bedurft, sie kenne mich schon. Auch meine Freunde in Hannover waren ihr nicht unbekannt. Von V/siinar mußte ich ihr viel er¬ zählen. Sie sagte mir von zwey jungen Freunden die neulich das Glück gehabt Eure Excellenz zu sehen. Den einen nannte sie Nuri^). Wir sprachen viel von trefflichen Menschen und Büchern, und ich konnte ihr manches Neue sagen, und manche ihrer Meinungen berichtigen. Eine Stunde verging sehr schnell. Als ich in den Gasthof zurückkehrte, wartete der Wagen, wir stiegen ein und fuhren in der Kühle des Abends noch einige Meilen tiefer in die Lüneburger Heide hinein, wo wir übernachteten. Hier schließe ich heute, wiewohl ungern. Um in meiner Reiseerzählung nicht vorzugreifen, sage ich nicht wo ich bin und wo ich dieses schreibe. Ich habe diese Blätter schon eine Weile mit mir herumgeschleppt in Hoffnung sie fortzusetzen. Allein ich lebte zu wohl und zu bedeutend in der Gegenwart, um des Vergangenen mit Ruhe und Neigung gedenken zu können. Ich wünsche mir daher bald wieder einige langweilige Stunden, damit ich wieder zum Über Fräulein von Werloff war nichts Näheres festzustellen. Johanne Bertram erwähnt in einem Briefe an Eckermann einen Herrn von Werlhosf, den Dr. Wilhelm Gottfried von Werlhoff (auch in der Allgemeinen deutschen Biographie Bd. 42, S. 17 flüchtig genannt), der Vizepräsident des hannoverschen Appellationsgerichts und deshalb wohl in Celle ansässig war. Die Weimarischen Bekannten des Fräuleins von Werloff sind der Kanzler von Müller und die Gräfin Karoline von Egloffstein. **) Der Name „Muri" ist vielleicht ungenau gehört. Eine Vermutung, wer gemeint sein könnte, läßt sich auch aus Goethes Tagebüchern nicht schöpfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/144>, abgerufen am 25.08.2024.