Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
llbrr dr" Breiuier

in möglichst gerader Richtung den Lech zu erreichen, dem sie bis Augsburg
(Angusta Vindelicorum) folgte. Noch erinnert der Name dieser Stadt an die
^eit ihrer Gründung, die vermutlich auf Augustus zurückgeht; gegen Ende des
ersten Jahrhunderts war es die glänzendste Kolonie Rätiens (sxlsncliäisÄnm
un"zeig.s piovinvms oolonm), aber römisches Stadtrecht erhielt es erst später nnter
Hadrianus (117 bis 138).

Sie blieb die einzige römische Stadtgemeinde im ganzen weiten Umfange
der Provinz Rätier, denn diese behandelten die Römer immer nur als Durch-
gangsland, sie haben sie niemals kolonisiert, deshalb blieb hier die alte Völker-
schafts(Gan)einteilung ebenso erhalten wie in Gallien, und die Provinziellen
dienten nicht in den Legionen, sondern in den Provinzialtruppen, den auxiliA,
von denen die Räder wenigstens acht Kohorten formierten; eine Legion, die
dritte italische, legte erst Mark Aurel (161 bis 180) in die Provinz, aber an
ihre Nordgrenze nach Regensburg ((Ästra rsAivg.) am Doncmknie; nur einzelne
kleine Abteilungen lagen an wichtigen Punkten der Brennerstraße. Also erhielt
sich das alte rätische Volkstum. Nach der Väter Weise lebten die Ruder als
Bauern und Hirten in kleinen geschlossenen Dörfern und in zahllosen Einzelhöfen,
besonders in den höhern Lagen, in großen, je nach der Gelegenheit aus Holz
oder Stein aufgeführten Häusern, die Wohnräume, Stall und Scheune unter
einem einzigen, breiten, flachen steinbeschwerten Dache umfassen und noch heute
in mannigfachen Ausgestaltungen die Alpen und ihre nördlichen Vorlande be¬
herrschen; aber sie dehnten die Alpenwirtschaft so weit ans, daß noch heute die
meisten Alpenweiden Tirols rätisch-romanische Namen tragen (eines im deutschen
Tirol zu einem Drittel); auch den Wald haben sie hier und da für neue An-
siedlungen gerötet. Die Schilderung des Lebens einer Talschaft, des Nontales,
aus dem Ende des vierten Jahrhunderts ist wie ein Bild aus dem heutigen
Tirol: ringsum zerstreut auf den Talhüugen wohnen die Bauern und Hirten
von der Viehzucht und in günstigern Lagen vom Ackerbau; das Läuten der
Herden, die Hörner und die Jodler der Sennen hallen von Berg zu Berg und
ins Tal hinab. Der rätische Viehschlng, der einen trefflichen, auch in Italien
geschätzten Käse lieferte, war klein, aber kräftig, auch der rätische, dem germanischen
nächstvcrwandte Pflug erregte die Aufmerksamkeit der römischen Forscher. Ebenso
zäh wie ihre alte Wirtschaftsweise bewahrten die Räder ihre alten Götterkulte,
sogar in Tälern, die politisch zu Italien gehörten, wie die Ancmner im Nontale
noch am Ende des vierten Jahrhunderts, als ringsum alles schon christlich war,
ihrem Saatengott, den sie Saturnus nannten, am 29. Mai ihr Fest mit feierlichen
Prozessionen unter Liedern und Musik zum Saturntempel in Clef begingen.

Diese südlichen Räder sind nun auch wohl früh romanisiert worden, denn
im Noutale sind die römischen Inschriften zahlreich, im übrigen Tirol fehlen
sie fast gänzlich. Trotzdem drang das Lateinische, die Sprache der Verwaltung,
des Heeres und des Verkehrs, allmählich auch hier durch. Die in der Armee
dienenden Roter, die immer außerhalb ihrer Heimat garuisouierteu, wurden


llbrr dr» Breiuier

in möglichst gerader Richtung den Lech zu erreichen, dem sie bis Augsburg
(Angusta Vindelicorum) folgte. Noch erinnert der Name dieser Stadt an die
^eit ihrer Gründung, die vermutlich auf Augustus zurückgeht; gegen Ende des
ersten Jahrhunderts war es die glänzendste Kolonie Rätiens (sxlsncliäisÄnm
un«zeig.s piovinvms oolonm), aber römisches Stadtrecht erhielt es erst später nnter
Hadrianus (117 bis 138).

Sie blieb die einzige römische Stadtgemeinde im ganzen weiten Umfange
der Provinz Rätier, denn diese behandelten die Römer immer nur als Durch-
gangsland, sie haben sie niemals kolonisiert, deshalb blieb hier die alte Völker-
schafts(Gan)einteilung ebenso erhalten wie in Gallien, und die Provinziellen
dienten nicht in den Legionen, sondern in den Provinzialtruppen, den auxiliA,
von denen die Räder wenigstens acht Kohorten formierten; eine Legion, die
dritte italische, legte erst Mark Aurel (161 bis 180) in die Provinz, aber an
ihre Nordgrenze nach Regensburg ((Ästra rsAivg.) am Doncmknie; nur einzelne
kleine Abteilungen lagen an wichtigen Punkten der Brennerstraße. Also erhielt
sich das alte rätische Volkstum. Nach der Väter Weise lebten die Ruder als
Bauern und Hirten in kleinen geschlossenen Dörfern und in zahllosen Einzelhöfen,
besonders in den höhern Lagen, in großen, je nach der Gelegenheit aus Holz
oder Stein aufgeführten Häusern, die Wohnräume, Stall und Scheune unter
einem einzigen, breiten, flachen steinbeschwerten Dache umfassen und noch heute
in mannigfachen Ausgestaltungen die Alpen und ihre nördlichen Vorlande be¬
herrschen; aber sie dehnten die Alpenwirtschaft so weit ans, daß noch heute die
meisten Alpenweiden Tirols rätisch-romanische Namen tragen (eines im deutschen
Tirol zu einem Drittel); auch den Wald haben sie hier und da für neue An-
siedlungen gerötet. Die Schilderung des Lebens einer Talschaft, des Nontales,
aus dem Ende des vierten Jahrhunderts ist wie ein Bild aus dem heutigen
Tirol: ringsum zerstreut auf den Talhüugen wohnen die Bauern und Hirten
von der Viehzucht und in günstigern Lagen vom Ackerbau; das Läuten der
Herden, die Hörner und die Jodler der Sennen hallen von Berg zu Berg und
ins Tal hinab. Der rätische Viehschlng, der einen trefflichen, auch in Italien
geschätzten Käse lieferte, war klein, aber kräftig, auch der rätische, dem germanischen
nächstvcrwandte Pflug erregte die Aufmerksamkeit der römischen Forscher. Ebenso
zäh wie ihre alte Wirtschaftsweise bewahrten die Räder ihre alten Götterkulte,
sogar in Tälern, die politisch zu Italien gehörten, wie die Ancmner im Nontale
noch am Ende des vierten Jahrhunderts, als ringsum alles schon christlich war,
ihrem Saatengott, den sie Saturnus nannten, am 29. Mai ihr Fest mit feierlichen
Prozessionen unter Liedern und Musik zum Saturntempel in Clef begingen.

Diese südlichen Räder sind nun auch wohl früh romanisiert worden, denn
im Noutale sind die römischen Inschriften zahlreich, im übrigen Tirol fehlen
sie fast gänzlich. Trotzdem drang das Lateinische, die Sprache der Verwaltung,
des Heeres und des Verkehrs, allmählich auch hier durch. Die in der Armee
dienenden Roter, die immer außerhalb ihrer Heimat garuisouierteu, wurden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299801"/>
          <fw type="header" place="top"> llbrr dr» Breiuier</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_17" prev="#ID_16"> in möglichst gerader Richtung den Lech zu erreichen, dem sie bis Augsburg<lb/>
(Angusta Vindelicorum) folgte. Noch erinnert der Name dieser Stadt an die<lb/>
^eit ihrer Gründung, die vermutlich auf Augustus zurückgeht; gegen Ende des<lb/>
ersten Jahrhunderts war es die glänzendste Kolonie Rätiens (sxlsncliäisÄnm<lb/>
un«zeig.s piovinvms oolonm), aber römisches Stadtrecht erhielt es erst später nnter<lb/>
Hadrianus (117 bis 138).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_18"> Sie blieb die einzige römische Stadtgemeinde im ganzen weiten Umfange<lb/>
der Provinz Rätier, denn diese behandelten die Römer immer nur als Durch-<lb/>
gangsland, sie haben sie niemals kolonisiert, deshalb blieb hier die alte Völker-<lb/>
schafts(Gan)einteilung ebenso erhalten wie in Gallien, und die Provinziellen<lb/>
dienten nicht in den Legionen, sondern in den Provinzialtruppen, den auxiliA,<lb/>
von denen die Räder wenigstens acht Kohorten formierten; eine Legion, die<lb/>
dritte italische, legte erst Mark Aurel (161 bis 180) in die Provinz, aber an<lb/>
ihre Nordgrenze nach Regensburg ((Ästra rsAivg.) am Doncmknie; nur einzelne<lb/>
kleine Abteilungen lagen an wichtigen Punkten der Brennerstraße. Also erhielt<lb/>
sich das alte rätische Volkstum. Nach der Väter Weise lebten die Ruder als<lb/>
Bauern und Hirten in kleinen geschlossenen Dörfern und in zahllosen Einzelhöfen,<lb/>
besonders in den höhern Lagen, in großen, je nach der Gelegenheit aus Holz<lb/>
oder Stein aufgeführten Häusern, die Wohnräume, Stall und Scheune unter<lb/>
einem einzigen, breiten, flachen steinbeschwerten Dache umfassen und noch heute<lb/>
in mannigfachen Ausgestaltungen die Alpen und ihre nördlichen Vorlande be¬<lb/>
herrschen; aber sie dehnten die Alpenwirtschaft so weit ans, daß noch heute die<lb/>
meisten Alpenweiden Tirols rätisch-romanische Namen tragen (eines im deutschen<lb/>
Tirol zu einem Drittel); auch den Wald haben sie hier und da für neue An-<lb/>
siedlungen gerötet. Die Schilderung des Lebens einer Talschaft, des Nontales,<lb/>
aus dem Ende des vierten Jahrhunderts ist wie ein Bild aus dem heutigen<lb/>
Tirol: ringsum zerstreut auf den Talhüugen wohnen die Bauern und Hirten<lb/>
von der Viehzucht und in günstigern Lagen vom Ackerbau; das Läuten der<lb/>
Herden, die Hörner und die Jodler der Sennen hallen von Berg zu Berg und<lb/>
ins Tal hinab. Der rätische Viehschlng, der einen trefflichen, auch in Italien<lb/>
geschätzten Käse lieferte, war klein, aber kräftig, auch der rätische, dem germanischen<lb/>
nächstvcrwandte Pflug erregte die Aufmerksamkeit der römischen Forscher. Ebenso<lb/>
zäh wie ihre alte Wirtschaftsweise bewahrten die Räder ihre alten Götterkulte,<lb/>
sogar in Tälern, die politisch zu Italien gehörten, wie die Ancmner im Nontale<lb/>
noch am Ende des vierten Jahrhunderts, als ringsum alles schon christlich war,<lb/>
ihrem Saatengott, den sie Saturnus nannten, am 29. Mai ihr Fest mit feierlichen<lb/>
Prozessionen unter Liedern und Musik zum Saturntempel in Clef begingen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_19" next="#ID_20"> Diese südlichen Räder sind nun auch wohl früh romanisiert worden, denn<lb/>
im Noutale sind die römischen Inschriften zahlreich, im übrigen Tirol fehlen<lb/>
sie fast gänzlich. Trotzdem drang das Lateinische, die Sprache der Verwaltung,<lb/>
des Heeres und des Verkehrs, allmählich auch hier durch. Die in der Armee<lb/>
dienenden Roter, die immer außerhalb ihrer Heimat garuisouierteu, wurden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] llbrr dr» Breiuier in möglichst gerader Richtung den Lech zu erreichen, dem sie bis Augsburg (Angusta Vindelicorum) folgte. Noch erinnert der Name dieser Stadt an die ^eit ihrer Gründung, die vermutlich auf Augustus zurückgeht; gegen Ende des ersten Jahrhunderts war es die glänzendste Kolonie Rätiens (sxlsncliäisÄnm un«zeig.s piovinvms oolonm), aber römisches Stadtrecht erhielt es erst später nnter Hadrianus (117 bis 138). Sie blieb die einzige römische Stadtgemeinde im ganzen weiten Umfange der Provinz Rätier, denn diese behandelten die Römer immer nur als Durch- gangsland, sie haben sie niemals kolonisiert, deshalb blieb hier die alte Völker- schafts(Gan)einteilung ebenso erhalten wie in Gallien, und die Provinziellen dienten nicht in den Legionen, sondern in den Provinzialtruppen, den auxiliA, von denen die Räder wenigstens acht Kohorten formierten; eine Legion, die dritte italische, legte erst Mark Aurel (161 bis 180) in die Provinz, aber an ihre Nordgrenze nach Regensburg ((Ästra rsAivg.) am Doncmknie; nur einzelne kleine Abteilungen lagen an wichtigen Punkten der Brennerstraße. Also erhielt sich das alte rätische Volkstum. Nach der Väter Weise lebten die Ruder als Bauern und Hirten in kleinen geschlossenen Dörfern und in zahllosen Einzelhöfen, besonders in den höhern Lagen, in großen, je nach der Gelegenheit aus Holz oder Stein aufgeführten Häusern, die Wohnräume, Stall und Scheune unter einem einzigen, breiten, flachen steinbeschwerten Dache umfassen und noch heute in mannigfachen Ausgestaltungen die Alpen und ihre nördlichen Vorlande be¬ herrschen; aber sie dehnten die Alpenwirtschaft so weit ans, daß noch heute die meisten Alpenweiden Tirols rätisch-romanische Namen tragen (eines im deutschen Tirol zu einem Drittel); auch den Wald haben sie hier und da für neue An- siedlungen gerötet. Die Schilderung des Lebens einer Talschaft, des Nontales, aus dem Ende des vierten Jahrhunderts ist wie ein Bild aus dem heutigen Tirol: ringsum zerstreut auf den Talhüugen wohnen die Bauern und Hirten von der Viehzucht und in günstigern Lagen vom Ackerbau; das Läuten der Herden, die Hörner und die Jodler der Sennen hallen von Berg zu Berg und ins Tal hinab. Der rätische Viehschlng, der einen trefflichen, auch in Italien geschätzten Käse lieferte, war klein, aber kräftig, auch der rätische, dem germanischen nächstvcrwandte Pflug erregte die Aufmerksamkeit der römischen Forscher. Ebenso zäh wie ihre alte Wirtschaftsweise bewahrten die Räder ihre alten Götterkulte, sogar in Tälern, die politisch zu Italien gehörten, wie die Ancmner im Nontale noch am Ende des vierten Jahrhunderts, als ringsum alles schon christlich war, ihrem Saatengott, den sie Saturnus nannten, am 29. Mai ihr Fest mit feierlichen Prozessionen unter Liedern und Musik zum Saturntempel in Clef begingen. Diese südlichen Räder sind nun auch wohl früh romanisiert worden, denn im Noutale sind die römischen Inschriften zahlreich, im übrigen Tirol fehlen sie fast gänzlich. Trotzdem drang das Lateinische, die Sprache der Verwaltung, des Heeres und des Verkehrs, allmählich auch hier durch. Die in der Armee dienenden Roter, die immer außerhalb ihrer Heimat garuisouierteu, wurden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/14>, abgerufen am 23.07.2024.